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Graf Kotz?“, fragte er und streckte seine Hände aus, damit ich ihm meine Decke und das Kissen gab.

      „Mitnichten, Lord Latrine“, erwiderte ich. Was er konnte, konnte ich schon lange! Ich warf ihm mit aller Kraft, die ich aufbringen konnte, das Schlafzeug zu und hüpfte die Böschung hinunter. Als ich weich auf dem mit Laub bedeckten Boden gelandet war, entriss ich Rousel meine Sachen wieder und machte mich daran, das Nachtlager herzurichten. Lord Latrine - erm- Rousel lachte herzhaft. Ein Geräusch, welches eher dem Bellen eines großen Hundes ähnelte.

      „Du lernst schnell, Graf Kotz. Das muss ich dir lassen“, meinte er und klopfte mir anerkennend auf die Schulter. Ich hatte bekommen, was ich wollte: Anerkennung. Bedauerlicherweise von dem falschen Mann und für eine äußerst fragwürdige Leistung.

      „Wie ich sehe, verstehen sich meine Reisebegleiter. Hervorragend“, sprach es über unseren Köpfen. Der dunkle Umriss de Forestiers ragte drohend in dem Wald auf, den die Nacht fast gänzlich eingenommen hatte. Des Bischofs Größe jagte mir einen kurzen Schreck ein. Wir waren zwar in etwa gleichauf, doch während ich dünner Hänfling kaum einem Hasen Angst einjagen konnte, stellte de Forestier eine beeindruckende und einschüchternde Gestalt dar, so sehr, dass ich die Bemerkung über die zarten Freundschaftsbande, die der Kutscher und ich gerade erst geknüpft hatten, vergaß. Nun, wir mussten nicht unbedingt Kumpel werden und auch Seelenverwandtschaft war mir nicht wichtig. So lange wie er mir nicht weitere sonderbare Spitznamen verpasste, konnte ich gut mit etwas Distanz zwischen uns leben.

      „Aber ja, Euer Exzellenz. Hattet Ihr deswegen etwa Zweifel?“, fragte Rousel, Empörung vortäuschend.

      De Forestier ließ seine Frage unkommentiert und sprang stattdessen beherzt die Böschung hinunter. Mit wenigen geübten Handgriffen hatte er sich sein Nachtlager selbst aufgebaut. Als er damit zufrieden war, klatschte er in die Hände und nickte, als wollte er sein Werk loben. „Jetzt fehlt nur noch ein wohlig warmes Feuerchen und ein saftiges Stück vom Spanferkel und ich könnte glücklich sterben“, verkündete er und klopfte sich auf den Bauch.

      „Das Ferkel ist leider aus. Aber ein kleines Feuer kann ich Euch bereiten“, meinte der Kutscher. Der Bischof nickte und wedelte kurz mit der Hand, was Rousel dazu veranlasste, loszulaufen. „Michael, hilf ihm beim Sammeln des Brennholzes. Wir brauchen nicht viel. Das Feuer darf nicht zu groß werden, damit man es nicht schon von Weitem sieht. Es soll nur als Lichtquelle in der Nacht dienen und uns ein wenig die Hände und Nasenspitzen wärmen.“ Ich nickte und lief Rousel nach.

      ***

      Meine erste Nacht im Freien. Ich kann mich noch an sie erinnern, als hätte ich gestern erst auf dem Laub gelegen, mit dem Rascheln des Blätterwerks, dem Heulen von Wölfen, dem Knacken des Unterholzes, wenn irgendetwas Großes und Schweres durch es pirschte, und dem Kreischen von nachtaktiven Vögeln oder anderen fliegenden Lebewesen in den Ohren. Es war ein einziger Alptraum gewesen! Mit dem Rücken zum Feuer, wild hämmerndem Herzen und weit aufgerissenen Augen hatte ich in den dunklen Wald gestarrt. Durch die furchtbaren Erfahrungen, die ich im Kloster gemacht hatte, als sie in meine Kammer eingedrungen waren, mir den Mund zugehalten und mich davon geschleppt hatten, um mich zu foltern, waren meine Sinne höchst sensibel geworden. Ich bildete mir sogar ein, hören zu können, wie die Regenwürmer aus dem Erdreich krochen und wie Fledermäuse an einem Wildtier hingen und aus dessen Halsader Blut saugten. Es gab einiges, was ich zuordnen konnte, aber auch ausreichend andere Geräusche, die mir unbekannt waren und die mich daher schier um den Verstand brachten.

      ***

      „Das ist nur eine Bache, die sich vermutlich mit einem Keiler in der Suhle vergnügt“, hörte ich de Forestier sagen.

      Ich rollte mich herum und sah über die Flammen unseres lächerlich kleinen Feuers zu ihm hinüber. „Woher wusstet Ihr -“, setzte ich an, doch er unterbrach mich.

      „Dein Zittern bringt die Erde zum Beben. Ich höre dein lautes, schweres Atmen und rieche den Angstschweiß.“ Ich setzte mich auf und beäugte ihn. Meinte er das ernst? Der Bischof zuckte mit den Achseln. „Nun ja, die ersten beiden Dinge stimmen. Die dritte Sache dient zum Ausschmücken der Szene“, sagte er und zwinkerte mir zu. Eine Salve verschiedener Geräusche war zu vernehmen angefangen bei röchelnden Tönen und Grunzen bis hin zu wohligem Brummen und Quieken. „Du brauchst dir keine Sorgen zu machen. Die haben andere Sachen im Kopf als dich halbe Portion. Bist du sicher, dass du nicht doch blaues Blut in dir hast, hinter dicken Schlossmauern und mit goldenem Besteck aufgewachsen bist? Andernfalls müsstest du derlei Laute kennen.“

      Ich senkte meinen Blick auf die orangeroten Flammen des Feuers. In ihm knackte es und Funken stoben in die Luft. Sie waren kaum größer als das Buchweizenmehl, das aufgewirbelt worden war, wenn meine Mutter Galettes zubereitet hatte. Maman. Der Gedanke an sie versetzte meinem Herzen einen so heftigen Stich, dass es ins Stolpern geriet. Ein unangenehmes Gefühl, noch unerträglicher als das, wenn man mit dem Wagen über jedes tiefe Loch brettert, das den Weg kreuzt, und sämtliche Innereien des Menschen durchschüttelt. Ich hatte das Bedürfnis, mir an die Brust zu fassen und mein Herz festzuhalten, damit es dort blieb, wo es hingehörte, und sich beruhigte. Meine Finger zuckten. Nur im allerletzten Moment konnte ich mich beherrschen, schließlich beobachteten mich de Forestiers aufmerksame Augen. Auch wenn die Erinnerung an Maman mein Herz aus dem Takt gebracht hatte, hatte es mich auch gemahnt und seine Reaktion war sicherlich nicht zufällig gewesen.

      Der Bischof hatte mich, wenn auch versteckt, nach meiner Vergangenheit gefragt. Nur wenig später hatte mich das Sprühen der Funken an meine Kindheit erinnert, als wollte es mich ebenfalls warnen und sagen: Denk nach! Sei vorsichtig. Was könnte er über dich wissen? Eine gute Frage. Ja, was hatte man ihm bereits über mich erzählt? Wie viel hatten ihm der Abt oder gar Prior Arnaud verraten außer die Einzelheiten über mein sagenhaftes Abschließen der Ausbildung? War es klug, den Bischof über mein früheres Leben, meine Herkunft in Kenntnis zu setzen? Nicht, wenn du ihn nicht gut kennst, flüsterte es in mir. „Mhh“, machte ich, was de Forestier aufhorchen ließ. Er reckte den Hals und hob die Augenbrauen, bereit zu hören, was ich zu sagen hatte. „Ich stamme ganz sicher nicht von Königen oder Herzögen ab, Euer Exzellenz.“ Eine kurze Antwort erschien mir die beste und ungefährlichste zu sein.

      „Dann sind deine Eltern einfache Leute?“

      Obacht! Zwei Dinge, die mich aufmerken ließen: die Verwendung der Zeitform und das Wort einfach. Erstens, auf meinen Vater mochte Letzteres zutreffen. Maman hingegen war alles andere als einfach gewesen. Sie war für mich eine Heilige! Zweitens, de Forestier gab zu verstehen, dass er dachte, meine Eltern lebten noch. Es könnte auch eine Falle sein, ein Test. Es war möglich, dass er über alles Bescheid wusste und prüfen wollte, ob ich ihn anlog oder die Wahrheit sagte. Sacre bleu! Was sollte ich tun?

      „Bauern“, murmelte ich. Eine sehr kurze Antwort. Auf diese Weise umging ich es aber zu sagen, ob sie es nach wie vor sind oder es waren. Ich fühlte mich unglaublich schlau und wollte schon innerlich triumphieren. Doch zu meinem Leidwesen war der Bischof des nächtlichen Geplauders noch lange nicht überdrüssig.

      „Wenn deine Eltern Bauern sind, solltest du erst recht Bescheid wissen, was solche Geräusche“, er lauschte und in der Ferne ertönte abermals Gegrunze, Gequieke und Geröchel, „bedeuten.“ De Forestier lachte lauf und klopfte sich auf den Oberschenkel. Rousel brummte kurz im Schlaf, gab einen beherzten Schnarcher von sich und schlief weiter. Erstaunt über seinen Gefühlsausbruch musterte ich den Bischof. Als er sich wieder einigermaßen im Griff hatte, wischte er sich die Freudentränen aus den Augenwinkeln und sah zu mir herüber. Dass ich völlig regungs- und emotionslos dasaß, verwunderte ihn dann doch sehr und er wurde schlagartig ernst. „Du hast wirklich keine Ahnung, was?“

      ***

      Zu jener Zeit gab es keinen Aufklärungsunterricht, wie es anscheinend heute der Fall ist, wie mir verlegene Schüler aus meiner Gemeinde berichtet und sich vertrauensvoll an mich gewandt hatten, weil sie mit ihren Eltern nicht über den Fauxpas einer Erektion während des Schauens eines Aufklärungsvideos im Schulunterricht reden konnten. Welch Ironie es war, dass sie ausgerechnet mit mir über solche Dinge sprachen,

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