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Rolands Lied. Jochen Schmitt
Читать онлайн.Название Rolands Lied
Год выпуска 0
isbn 9783847605355
Автор произведения Jochen Schmitt
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
Des Königs Eskorte stand in der frühen Morgensonne abmarschbereit. Die Murabitun der Mauren saßen auf ihren Maultieren, und hielten die gesattelten edlen Rösser ihrer Chassas für diese bereit. Nacheinander fanden auch die sich ein. Als letzter schließlich Abdallah. Auf schwachen Beinen wankte er zum Pferd. Mühsam erklomm er seinen rassigen Araberhengst. Mehr hing er im Sattel, den er schwerfällig erobert, als er ritt. Er dankte Allah aus voller Brust dafür, dass er dem Königshof mit den gierigen fränkischen Sexhyänen entkommen war. Seine Kumpane nicht minder. Mit den Zelten, dem Reiseproviant und dem Gepäck auf einigen Tragtieren trabten sie in Doppelreihe nach Süden. Sie schafften es nicht weit. Gegen Mittag, gleich bei der ersten Rast, einige Kilometer hinter den Salzkotten im Wald war Schluss. Zwei der Chassas lagen im Tiefschlafkoma. Abdallah ließ sich hintenüber fallen und schloss sich ihnen an. Bald schnarchten die Mauren unter den schattigen Baumkronen im Gras. Zum ersten Male bewies die Eskorte ihren Nutzen. Sie wachten und versorgten die Tiere.
König Karl hatte sich die Eskorte ausgedacht, Roland und Angilbert sie aus des Königs Leibwache zusammengestellt. Das Ergebnis durfte bewundert werden! Sechs bewährte Krieger hatten sie ausgesucht. Die sechs stammten aus den verschiedenen südlichen Regionen des Reiches. Drei waren Franken, drei Westgoten. Stets hatte einer von ihnen Ortskenntnisse. Immer sprach einer den lokalen Dialekt oder zumindest die örtliche Umgangssprache. Durch die germanischen Murabitun konnten auch Abdallah und die anderen Mauren mit ihnen kommunizieren. Die Gesandtschaft hätte nicht in besseren Händen sein können.
Es blieb bei dem einen Ausfall. Sie schafften danach um die 100 km am Tage. Keine Flussreise, nur den flotten Ritt auf dem Hellweg zum Rhein. Auf dessen Westseite nahmen sie die römische Fernstraße unter die Hufe. Mit der trabten sie am Rhein hinauf zur Rhone, und an dieser hinab zum Meer. Ohne jeden Umweg, fast so, wie der Vogel fliegt. Und ein vergnüglicher leichter Sommerritt obendrein. Schon am zweiten Tage befiel Abdallah wieder der Appetit. Glücklich jauchend genoss Aida endlich ihr Erlebnis. Neidisch lauschten die anderen in ihren Zelten. Bis zum Fluss blieb Ihnen nebenan nur Handarbeit.
Nach vier sonnigen Reisetagen lag das Sachsenland hinter ihnen. Nun nächtigten sie auf dem gesamten Ritt durchs Frankenland in fränkischen Königshöfen. Ein weiterer Vorteil, den die Eskorte mitbrachte. Die Franken kannten die Strecke wie auch des Königs Infrastruktur, und die Hofmeier schuldeten den Königsboten Gehorsam.
Tagsüber hielt die Reitergruppe vorwiegend an einsamen Herbergen am Weg. In denen fanden sie Mahlzeiten und Kraftfutter für ihre Tiere. Abends, in einer der königlichen „Raststätten“, den Hofanlagen Karls, wurde ihnen alle Arbeit abgenommen. Morgens standen die ausgeruhten Reittiere fertig gesattelt zum Abmarsch. Den Mauren kam es vor, als seien sie bereits in Allahs siebtem Himmel, denn selbst an den nötigen Houris fehlte es des Nachts nicht.
Schon am neunten Reisetag lag Basel hinter ihnen. Am sechzehnten sahen sie das Mittelmeer.
So kamen sie eines Abends auch wieder nach Arles. Hier wurden sie von ihrer Vergangenheit eingeholt. Aufruhr herrschte im Städtchen. In Gruppen standen die Bürger umher. Andere liefen von der einen zur anderen. Aufgeregt wurde diskutiert. Vor der Wehrkirche, genauer: Vor der massiven Mauer des dazugehörigen Kirchhofes, lag am offenen Zugangstor und nahe der herabgelassenen Fallbrücke eine Leichenreihe. Alle nackt! Zwei eindeutig weiblich, dem Eindruck nach zwei junge Sklavinnen. Allen war die Kehle aufgeschlitzt. Sie warteten geduldig auf ihre Bestattung. Sie hatten ja jetzt die nötige Zeit dafür.
Umso heftiger wurde nebenan gestritten. Abdallah ritt mit den seinen hinzu. Einer seiner sprachkundigen Veteranen übersetzte. Ein etwas heruntergekommenes Exemplar Mensch stand in der Mitte einer Gruppe Patrizier der Stadt. Er stak in einer Art von Tunika aus Schafsleder. Ausgefranste Knickerbocker hingen darunter bis übers Knie. Er war barfuß. Unter einer undefinierbaren Lederkappe hingen lange graue Zotteln auf seine Schulter herab. Tief braun das Gesicht, von grauen Bartzotteln verdeckt, über denen eine auffallend rote Knollennase leuchtete, die von Weinliebe zeugte. Zu seinen Füßen saßen zwei kräftige Schäferhunde. Nur die und deren Anwesenheit schien die Patrizier zu beeindrucken.
„Hört zu, ihr Feiglinge“, brüllte der Waldschrat in die Runde, „meine Wölfe und ich, wir finden die Mörder. Wenn ihr nur Manns genug wäret, mit mir aufzubrechen, wäre morgen die Welt von diesem Mordgesindel gereinigt! Fasst endlich Mut und nehmt eure Bürgerpflicht wahr. Ich führe euch, und wir handeln!“
Gelächter, Spottrufe und verächtliche Mienen. Odwart der Schäfer, denn das war er, schnaubte Verachtung zurück.
Abdallah griff ein. Er befahl seinem Dolmetscher nachzufragen. Schnell ergab sich, dass der Mann ein durchziehender Wanderschäfer war. Der vermaß sich, mit seinen beiden Spürhunden das Lager der Verbrecher zu finden, damit sie ihren gerechten Lohn bekommen konnten. Abdallah ließ nachhaken.
„Da gibt es keinen Zweifel!“ bedeutete ihm der Schrat, „meine beiden Wölfe (das waren sie nicht, er nannte sie nur so) finden jeden Menschen, auf den ich sie ansetze. Aber dieses schlappe Stadtvolk will gar nicht eingreifen. Vermutlich profitieren sie mit, verhökern als Hehler und Schieber jeweils die Beute! Würde mich jedenfalls nicht wundern! Wenn nur ein paar tüchtige Krieger zur Hand wären – mit denen würde ich das Problem ein und für alle Male regeln!“
Abdallah sah in die Runde der Seinen und seiner Eskorte. Schließlich traf er in dieser Rundschau auf den alten Unteroffizier. Gregor, der Iberer, erwiderte und hielt den Blick. Ohne zu zwinkern sah er starr zurück. Dann nickte er leicht. Das erledigte jede Frage. Ihren Auftrag hatten sie erfolgreich erfüllt. Der Ritt nach Hause konnte mal warten. Hier gab es ein Abenteuer zu erleben, und auf so etwas verzichtet ein Chassa nie. Und die ohnehin stets rauflustigen Franken der Eskorte rutschten schon unruhig in ihren Sätteln.
Außerdem war da die Erinnerung an der Mauren damalige Schmach. Die kannte zwar niemand außer ihnen selbst, aber das war schon einer zu viel. Jetzt die Bande zu vernichten, das würde ihr Seelenleben wieder ins Gleichgewicht bringen.
„Du hast gerufen! Du hast deine Helfer! Sie sitzen auf ihren Reittieren hinter dir!“ ließ Abdallah den Schäfer wissen. „Führe uns, und wir erledigen das!“
Ungläubig erst, dann mit breitem Grinsen sah der Zottelbart zu ihm auf.
„Alsdann, Herr, und sofort! Legen wir los!“
Er scheuchte seine Hunde hoch, führte sie zu den Leichen und ließ sie an allen schnüffeln. Abdallahs Gruppe war neugierig mitgeritten. Nun wandte sich der Schäfer erneut an den Dolmetscher:
„Sage deinem Herren, dass ich jetzt die Bande finden gehe. Er möge mir zwei Krieger zur Begleitung mitgeben. Wir finden das Versteck und kehren zurück. Morgen im ersten Tageslicht packen wir dann die Bande. Ich weiß nicht, wie viele es sind. Um alle zu packen wäre es sicher ratsam, der Herr zwingt die Bürger, die Stadtwache und die Bürgerwehr mitzusenden!“
Sprachs, wandte sich mit seinen Hunden in den Wind, der von Südost her wehte, und wanderte aus dem Dorf.
Abdallah wandte sich zu Gregor: „Du gehst mit ihm! Wen willst du sonst haben?“
„Basco, der ist der am wenigsten zu dummen Streichen bereit.“ Er winkte ihn herbei. Einige kurze Worte. Sie stiegen ab und übergaben ihre Maultiere den anderen. Leichtfüßig trabten die beiden Veteranen hinter dem Schäfer her. Die Nasen hoch im Wind strebten die Hunde nach Südosten. Schon hinter der alten Burgmauer verschwamm die Gruppe mit der hereinbrechenden Abenddämmerung.
Abdallah knöpfte sich nun den Stadtbürgermeister vor. Der Schäfer hatte ihn nachdenklich gemacht. Sein Dolmetscher übersetzte seine Drohungen:
„Lass sofort die Tore schließen! Von diesem Augenblick an verlässt niemand mehr die Ummauerung! Meine Männer umstellen die Stadt. Wen sie aufgreifen, wird morgen beerdigt“, ließ er ihm mitteilen. Der alte Legionär begriff und tat aus eigener Initiative Deftiges hinzu. Seine Übersetzung lautete in etwa: „Sollten die Banditen gewarnt werden, von wem auch immer, dann wirst du morgen zusehen, wie deine Frau und deine Kinder in der Rhone ersäuft werden, ehe wir dich kastrieren, dich ausweiden und ihnen nachsenden! Um zwei Stunden nach Mitternacht will ich hier am Tor die Stadtwache und dein Jungvolk