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sind am Marktplatz von Ely eingetroffen und erkunden erst einmal die Lage. Wie heißt gleich noch mal der Einsatzleiter vor Ort?«

      »Donalds.«

      »Verstanden. Wir melden uns dann wieder.«

      »Ja, ist gut.« Dann ein Knacken und erneut Rauschen.

      Ruth und Betty sahen Louis an, als ob er mehr gehört hätte, als sie selbst. Er zuckte mit den Schultern, lehnte sich wieder zurück und zog an seiner Pfeife. Sie war erkaltet und er musste sie aufs Neue entzünden. »Das war wohl die Verstärkung«, dachte er. Vielleicht kam man ja einen Schritt weiter, wenn man wusste, wer die anderen Geiseln waren.

      War eine der Geiseln der Schlüssel? Aber in Ely konnte man sich untereinander solche Spannungen gar nicht vorstellen, die eine derartige Reaktion, wie die von Richard Foley, hervorrufen würde, geschweige denn, dass man sie verstehen würde.

      Man konnte zwar in Ely nicht jeden kennen, aber die Atmosphäre im Ort war bisher ruhig und familiär. Wäre man vor hundert Jahren durch Ely gekommen und jetzt wieder, hätte man bis auf winzige Ausnahmen keine großartigen Veränderungen feststellen können. Ringsherum betrieb man Landwirtschaft. Hin und wieder gingen die Gutsbesitzer, die sich hier für den Adel hielten, auf die Jagd, aber ansonsten war der Jahrmarkt, der zum Sommerbeginn für drei Tage in Ely Station machte, noch das Aufregendste. An diesen drei Tagen war alljährlich der ganze Ort auf den Beinen und man vergnügte sich in Fahrgeschäften und beim Tanz und stärkte sich an einem der zahlreichen Essenstände. Es gab Kaffee und Kuchen für die Damen, Grillfleisch für den großen Hunger, saftig und mit grobem Brot, und das Ale floss in Strömen. Zu vorgerückter Stunde wurde dann schon mal ein Zwist mit den Fäusten ausgetragen. Dies war meist schon der Höhepunkt des Jahres in Ely. Aber bis dahin waren es noch knapp zwei Monate.

      Louis zog an seiner Pfeife. Warum mochte Ricky Foley sein Leben aufs Spiel setzen, oder zumindest seine Zukunft? Wer wusste tatsächlich, was in Rickys Kopf vor sich ging? Vielleicht wurde sein Plan durch Langeweile gezeugt und aus Unzufriedenheit geboren. Hier geschah so gut wie nie etwas Aufregendes. Vielleicht wich dumpfe Lethargie der Wut, lähmender Alltagstrott einer Explosion in Form eines 19-jährigen Jungen, der wahrscheinlich als Einziger die große Preisfrage beantworten konnte.

      Ruth und Betty hatten in der Zwischenzeit angefangen, die wildesten Vermutungen anzustellen, was am Marktplatz los sein mochte, aber Louis hatte sie, ganz in seine Überlegungen versunken, gar nicht wahrgenommen. Auch nicht das erneute Knacken im Funk, wohl aber Ruths schneidendes »Pst.«

      »Leitstelle Cambridge, von Cambridge-1.«

      »Hier Leitstelle Cambridge.«

      »Lage wie folgt: Ein junger Mann, identifiziert als Richard Foley, 19 Jahre, wohnhaft in Ely, bewaffnet, hält in einem Ladenlokal gewaltsam fünf Personen fest, alles Erwachsene, von denen bisher lediglich die Besitzerin einwandfrei ausgemacht werden konnte, Veronica Cole. Versuche, Kontakt zu Richard Foley aufzunehmen, waren negativ. So wissen wir noch nicht, was er eigentlich will. In diesem Moment trifft der Psychologe ein. Wir werden weiterhin probieren, mit Foley Verbindung aufzunehmen, und die Geiseln erst einmal über Verhandlungen frei zu bekommen. Ich melde mich wieder. Cambridge-1 Ende.«

      »Hier Leitstelle Cambridge. Verstanden.« Ein Knacken, Rauschen.

      Ruth war enttäuscht. »Was soll das? Das wissen wir doch schon.«

      Louis gab zu bedenken: »Wir schon, aber die nächst höhere Dienststelle in Cambridge noch nicht. Das ist hier kein Hörspiel, das für dich aufgeführt wird.«

      »Ich will aber wissen, was jetzt passiert.« Ruth war zornig und enttäuscht.

      Ein Telefon klingelte, Ruths Apparat, und mit niedergeschlagener Stimme meldete sie sich: »Polizei Ely…Ja…Nein…Einen Moment bitte.« Sie reichte Louis den Hörer.

      »Für mich?«, war er erstaunt. »Wer ist denn dran?«

      Ruth zischte: »Mach`s leise und mach`s kurz.«

      Betty hatte langsam von Allem die Nase voll und wollte zur Toilette.

      Louis stand auf, nahm den Hörer und führte ein knappes Gespräch mit William Finney, der es nicht glauben mochte, dass ihm schon wieder eine Ziege abhanden gekommen und bis jetzt nicht wieder aufgetaucht war. Er vermutete eine Verschwörung gegen sich, hatte aber keine bestimmten Personen in Verdacht.

      »Nein, Mr. Finney«, versuchte Louis, ihn zu vertrösten, »es gibt noch nichts Neues wegen Ihrer Ziege. Sie müssen sich noch etwas gedulden. Wir haben im Augenblick andere Sorgen. Sobald wir Neuigkeiten haben, sind Sie der Erste, der sie erfährt…Ja, ganz bestimmt…Auf Wiederhören.«

      Louis reichte Ruth, die sich aber nicht rührte, den Hörer hinüber. So legte er selbst auf, setzte sich wieder, zog einen Abfallkorb zu sich heran und begann die Reste aus seiner erneut erkalteten Pfeife zu kratzen.

      Ruth trommelte mit den Fingern auf dem Tisch. »Was geschieht denn dort, was geschieht denn dort?«

      Louis sah von seiner Tätigkeit nicht auf. »Ich schätze, jetzt werden wir erst einmal lange Zeit nichts hören. Wahrscheinlich erst wieder, wenn Alles vorbei ist, oder plötzlich noch mehr Rettungswagen und Notärzte gebraucht werden. Die haben jetzt andere Probleme, als Berichte durchzufunken und deine Neugier zu befriedigen. Sei nicht so aufgeregt.«

      »Das darf doch wohl nicht wahr sein. Endlich ist hier einmal etwas los, und ich bekomme absolut nichts mit.« Ruth schien persönlich beleidigt.

      »Ich bin auch neugierig«, gestand Louis, »aber wir können nichts Anderes tun, als zu warten. Ob es uns gefällt oder nicht. Außerdem würde ich mir wünschen, du würdest der Situation mit etwas mehr Respekt begegnen. Stell dir einmal vor, eine der Geiseln wäre deine Schwester Janet. Kauft sie nicht montagmorgens immer für eure Mutter ein?«

      Ruth schien jetzt noch angestrengter zu lauschen, als wolle sie in das Funkgerät hineinkriechen. Ihr Gesichtsausdruck wechselte von Neugier zu Besorgnis.

      Louis klopfte seine Pfeife am Korbrand aus. Betty kam wieder herein und Ruth zuckte zusammen, weil sie im ersten Moment dachte, das Geräusch der Tür käme aus der Funkanlage. Sie funkelte Betty an, sauer und enttäuscht. Diese bemühte sich, jedes Geräusch und jeden Kommentar zu vermeiden und setzte sich leise auf ihren Platz. Louis steckte seine Pfeife ein und lehnte sich wieder zurück.

      Es war beinahe still in der kleinen Telefonzentrale. Nur das statische Rauschen des Funks und das Trommeln von Ruths Fingern auf ihrer Tischplatte störten diese Ruhe.

      Im Gegensatz zu Betty und Ruth, die ja die Notrufleitungen besetzt halten mussten, konnte Louis verschwinden; ihm wurde das Warten auf Nichts nun zu langweilig. Auch er war neugierig, vielleicht sogar noch mehr, als die beiden Telefonistinnen, die ja auf jeden Fall zum Zuhören verdammt waren, während er aber im Normalfall just in diesem Moment vor Ort wäre. Diese Situation mochte er auch nicht besonders, aber er hatte sich besser in der Gewalt als Ruth, von der man den Eindruck gewinnen konnte, es ginge hier um ihr Leben.

      Louis stand auf, verließ die Zentrale und kehrte in sein Büro zurück.

      Mito / Japan, Montag 26. April, 09:50 Uhr

      »Kimiyo? Tatsu?« Satoshi Katana bekam keine Antwort. Sein Gehirn begann ganz langsam wieder zu arbeiten. Ihm fiel ein, warum zumindest Tatsu nicht antworten konnte, da sich seine 13-jährige Tochter in der Schule befand, und das noch bis zum Nachmittag. Aber von Kimiyo, seiner Frau, hatte er eine Antwort erwartet. Normalerweise wäre sie von den Einkäufen zurück und nun bei der Hausarbeit, vielleicht schon bei den ersten Vorbereitungen für das Abendessen. Sie aßen mittags nur eine Kleinigkeit und dafür am Abend opulenter, wenn Alle zu Hause waren.

      Katana ging, nachdem er seine Jacke aufgehängt hatte, in die Küche, in der es noch vom Vorabend aromatisch roch und fand auf dem Tisch eine Nachricht seiner Frau: »Ohayo Satoshi, ich hatte für heute Abend etwas Wichtiges vergessen und bin noch einmal zum Supermarkt. Ich bin bald zurück. Ich habe dir eine Suppe vorbereitet, du musst nur noch die Mikrowelle einschalten.

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