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Taube in der Tanne. Eva Tanner
Читать онлайн.Название Taube in der Tanne
Год выпуска 0
isbn 9783738009606
Автор произведения Eva Tanner
Жанр Документальная литература
Издательство Bookwire
Beide Kinder haben zu Weihnachten Wollfäustlinge bekommen und Hans-Peter seine ersten Schlittschuhe. Die Kufen werden an den Schuhsohlen festgeschraubt. Am Ende der Siedlung ist ein Weiher, gleich neben dem Friedhof. Püppi geht mit und schaut zu, wie Hans-Peter dort übt. Seine Knöchel kippen immer wieder um, weil er keine Stiefel, sondern nur feste Halbschuhe trägt. Damit er weich landet, hat er sich ein Sofakissen vor den Bauch und eines hinter den Po gebunden. Aber er schafft es und zieht schon seine Kreise.
Die Dunkelheit kommt, und es sind immer weniger Kinder auf dem Eis. Auch Hans-Peter ist irgendwann fort, und Püppi steht plötzlich ganz allein auf der Eisfläche. Vom Weiher führt ein Weg durch den Wald in die Siedlung, mitten durch die Dunkelheit. Sie könnte auch an der großen Eiche vorbei nach Hause gehen, wo eine Straßenlaterne steht. Aber es ist die "Russeneiche". Oma hat ihnen erzählt, dass dort ein Kind von einem russischen Soldaten ermordet wurde. Der Mond scheint auf die Eisfläche, und am Rande des Weihers ist tiefste Dunkelheit.
Steht dort nicht jemand hinter der Eiche?
Als die Russen damals auf ihren Hof in Brieselang kamen, haben sie die Kühe mitgenommen, und Mama musste sich jede Nacht vor ihnen verstecken. Püppi nahm sie manchmal mit: hinter den Bretterverschlag auf dem Heuboden oder in die kleine Kammer unter dem Dach. Es hieß, dass die Russen Kleinkindern nichts antun würden und so bot Püppi ihrer Mutter einen gewissen Schutz. Aber wenn sie nicht still war, gefährdete sie beide. Mutters Hand lag deshalb fest auf ihrem Mund.
Eines Tages gruben Papa und Herr Sparvin eine tiefe Grube hinter der Scheune. Die Sparvins waren eine russische Zwangsarbeiterfamilie, die auf ihrem Hof lebte. Die beiden Männer stützten die Grube mit Brettern an den Wänden ab und ließen Mutter, Oma, Hans-Peter und Püppi hineinsteigen. Hier sollten sie sich vor den Russen verstecken. Sie deckten Bretter über die Öffnung und häufte Erde darüber. Tief in der Erde. Püppi schrie Stunde um Stunde und ließ sich nicht beruhigen. Die Luft war knapp, kein Licht drang zu ihnen, wohl aber Püppis Schreien nach draußen. Dann endlich rief die Mutter durch das Ofenrohr, das der Lüftung diente: „Wir sind hier in unserem eigenen Grab, Otto! Wenn Püppi weiter schreit, finden sie uns doch gleich.“ So schaufelte der Vater sie wieder aus. Die Mutter reichte ihm die weinende Tochter als erste hoch und Hans-Peter, Oma und sie folgten hinterher.
Als es Nacht wurde bahnte sich das Licht der suchenden Scheinwerfer der Militärjeeps ihren Weg durch den Wald zu ihrem Haus. Im Volksempfänger in der Küche wurde Dvoraks "Humoreske" gespielt und der Klang vermischte sich mit den Geräuschen der Stiefel auf dem Hof, den Lauten der angstbesetzten fremden Sprache. Die russischen Soldaten stürmten in die Küche, trieben sie unter vorgehaltenen Gewehren aus dem Haus, stellten sie an die Hauswand und ließen den Motor laufen, damit man die Schüsse und die Schreie nicht hören würde. Hans-Peter hielt seinen Teddy im Arm und Mama trug Püppi.
Herr Sparvin kam aus dem Haus gelaufen und stellte sich vor die Gewehrläufe seiner Landsleute. Er bat um das Leben dieser Deutschen: "Sie sind keine Nazis und sie waren immer gut zu uns.“ So rettete er Püppis Familie.
Durch den Wald kommen Lichter. Aus Brieselang wird wieder Hennigsdorf. Man sucht Püppi: "Luischen, wo steckst du?" Oma aber droht: "Warte, bis du zuhause bist!" Die neuen Handschuhe sind auch weg. Püppi landet auf dem Küchentisch, von Oma festgehalten und mit dem Kochlöffel immer auf den blanken Po! "Nimm die Hand weg! Wirst du dich wohl nicht wehren!
****
Mama und Papa haben Regeln aufgestellt. So gehen Hans-Peter und Püppi immer abends Punkt acht Uhr schlafen.
"Aber ich bin vier Jahre älter!" protestiert Hans-Peter dann. "Der Puhtz kann ja schon mal schlafen gehen!"
Aber die goldene Regel wird nicht durchbrochen. Beide Kinder sollen gleich behandelt werden. Nur zu Silvester dürfen sie beide um Mitternacht wieder aufstehen, und jeder hält eine Wunderkerze aus dem Fenster.
Es gibt noch mehr Regeln: ein Knicks beim Begrüßen und Verabschieden und beim Gratulieren, wenn jemand Geburtstag hat, danken, wenn einem etwas geschenkt wird, und "entschuldige bitte" sagen, wenn die Lage ohnehin schon schlimm ist!
Hans-Peter ist bis mittags in der Schule, und Püppi geht allein ihren Angelegenheiten im Hühnerstall, auf der Schaukel und bei Marlies nach. Und sie beseitigt Hakenkreuze. "Du machst aus jedem Hakenkreuz ein Fenster" hatten ihr Mama und Papa gesagt. Mit
einem Stück Kreide zieht sie ihre Striche, manchmal wird ein Nikolaushaus daraus. Mit Oma geht sie zum Bahnhof, um dort Kohlen einzusammeln, die von den Zügen gefallen sind und die sie in einer Schubkarre nach Hause fahren. Blumenpflücken zählt auch zu ihren Aufgaben. Dabei macht sie auch vor Nachbars Gärten nicht halt. Bis sich einer beschwert und Mama ihre Tochter an der Hand zum Nachbarn zerrt: "Du entschuldigst dich jetzt sofort und sagst, dass du es nie wieder tun wirst!"
"Ich kann nicht, ich kann nicht!" jammert Püppi und fängt sich eine Ohrfeige ein.
Eines Nachmittags sitzen beide auf dem Absatz im Treppenhaus und Hans-Peter sagt "Komm, wir gehen Papa in Berlin besuchen!"
„Wie kommt man da hin?“
„Papa ist in einem Geschäft nahe einer S-Bahnstation. Da steht eine Reiterfigur davor. Das können wir leicht finden.“
Mama ist ausnahmsweise zu Hause, und sie bitten sie um Geld: "Wir wollen Zug fahren spielen." Mama denkt bei diesem Spiel an Stühle, die im Wohnzimmer hintereinander gestellt werden. So bekommen sie ein paar Groschen, blechleicht liegt das Geld in ihren Händen. Dann den schwarzen Schotterweg entlang zum Bahnhof, zwei Fahrscheine werden gelöst. Und den Rest des Tages verbringen sie auf Bahnhöfen und in Zügen. Nirgendwo ist eine Reiterstatue. Das Geld ist schon lange ausgegeben, Püppi weint und hat Hunger. "Willst du von meiner Stulle abbeißen?" fragt jemand. Lieber nicht von einem Fremden.
Irgendwann gegen Abend sind sie wieder in Hennigsdorf. Oma und Mama warten schon seit Stunden am Bahnhof. Ihre Angst entlädt sich in Wut. Hans-Peter wird mit Ohrfeigen den Schotterweg entlang getrieben. "Aber du bist doch vier Jahre älter! Du bist schon groß!" Sofort ab ins Bett! Püppi begleitet sein Schluchzen mit sanftem Rupfen. Auf dem Himmel-und-Hölle-Bild schleppen sich die Guten wie immer mühsam in den Himmel.
****
In der Schule wird dazu aufgerufen, den Jungen Pionieren beizutreten. Hans-Peter ist Feuer und Flamme.
"Ich will auch so ein blaues Halstuch!" erklärt er beim Essen.
"Jetzt ist es so weit", sagt Papa. "Das wird wie bei der Hitlerjugend. Erst die Nazis und nun die Kommunisten!“
Die Eltern reden darüber, dass Hans-Peter auf die Oberschule kommt, und Püppi soll im nächsten Jahr eingeschult werden.
Im Herbst 1949 finden große Demonstrationen statt; der neue deutsche Staat wird gefeiert. Der ganze Ort muss sich auf dem Platz vor dem Bahnhof versammeln. Um sie herum brennen und blaken dicke Pechfackeln, und Fahnen flattern im Wind. Das ist schöner als die Wunderkerze zu Silvester. Nur Mama und Papa freuen sich nicht: "Dass man zu so etwas auch noch gezwungen wird!" Dann steht eines Tages der Möbelwagen vor ihrer Tür. Püppi passt auf die Möbel auf. "Was macht ihr denn mit all euren Möbeln?" fragt sie ein Nachbar.
"Sie sollen lackiert werden" erklärt sie spitzmäulig.
"Was denn, auch die Palme?" sagt der Nachbar.
Zum Abendbrot bekommt Püppi einen kleinen, weißen Bonbon, der bitter schmeckt. Sie schläft schnell danach ein. Mitten in der Nacht wird sie wach. Sie liegt in einem