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Goethestraße 8b. Andreas Eichenseher
Читать онлайн.Название Goethestraße 8b
Год выпуска 0
isbn 9783847695530
Автор произведения Andreas Eichenseher
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
Selbstschutz und Angst veranlassen ihn dazu, anderen das Gefühl zu geben, er wäre ein Idol, ein Held, der angebetet werden muss. Ja, das will er sein, er liebt den Gedanken. Nur spürt er auch, nur spürt er auch, man kann es nicht erzwingen.
Aber er hat einen Plan. Einen Plan aus seiner Misere. Einen Plan, der ihn mitten hinein in die Welt führt, in der er sich nicht übertrieben beweisen muss. Nicht mehr.
Ihm fehlt nur schon so lange die letzte Idee und die damit verbundene Ausführung seines Plans.
„Am besten etwas, das auch mit meinem Erlebten zu tun hat“, sagt er sich. „Das würde mir doch so einiges erleichtern.“
Seine Mimik verändert sich. Den noch so tiefen Ängsten, noch so hohen Hindernissen schwindet der Wind, der Antrieb, der sie sperrte, der seine Ideen lähmte. Blühet auf ihr frischen Geistesvölker! Hieronymus stützt sich mit den Unterarmen aufs Bett und denkt weiter.
Das war sie! Die Idee!
Sofort springt er aus von der Matratze und rennt ins Badezimmer. Immer wenn er eine gute Idee hat entwickelt sich ein zügiger und glücklicher Darmdrang, dem er unverzüglich nachkommen möchte. Er sitzt auf der Schüssel, klopft nervös mit den Fingern auf die Oberschenkel und malt sich seine Idee weiter aus.
„Ja! Ja genau!“ Er jauchzt und schreit. Er presst, nichts keilt.
Der Groschen ist gefallen, ja das ist er. Momente, die für Hieronymus zu den lebendigsten und schönsten seines Lebens zählen.
„Fenster auf. Gestank raus.“ Fröhlich beendet er die Sitzung und rennt zum Computer, um seine Idee festzuhalten, endlich, endlich festzuhalten.
Die Zeit vergeht deutlich schneller als sonst und es sind am Ende nur wenige Minuten, in denen er ununterbrochen seinen Einfall in den Bildschirm walzt. Er schreibt die inhaltliche Zusammenfassung der Geschichte eines in die Jahre gekommenen Mannes, der im Altenheim liegt und nicht mehr aus seinem Bett kann. Von einem Mann, dessen hübsche, junge Pflegerin immer wieder gerne zu ihm ins Zimmer geht, um sich seine charmanten und trocken humorvollen Kommentare anzuhören, um eines Tages den unsicheren Anflug von romantischen Gefühlen für ihn zu empfinden. Als der Mann erwähnt, er hätte nie geheiratet, hätte keine Kinder, hätte einfach nicht die Richtige gefunden, noch nicht, sucht die verzweifelte Pflegerin Rat bei ihrer Mutter, die sie als töricht beschimpft. Sie wünscht sich doch eigentlich nur Enkel von ihrem einzigen Kind und kann diese romantischen Probleme ihrer Tochter nicht gutheißen. Die Frau infiziert den alten Mann unbewusst mit einem Grippe-Virus, weil sie ihn trotz Krankheit und den Rat ihrer Mutter sehen wollte. Sein Leben steht am Scheideweg, er liegt auf einer Intensivstation und die wieder genesene Pflegerin ist jede Nacht bei ihm. Die Mutter, aus Angst, ihre Tochter würde sich tatsächlich auf den Mann einlassen und die Jahre, in denen sie ein Kind gebären kann, mit diesem Greis verschwenden, plant den Mann zu töten, doch ihr Versuch schlägt fehl. Der Mann überlebt, er und die Pflegerin lieben sich, doch genießen ihre Zweisamkeit für alle Zeit still und heimlich in dem Heim, in dem er lebt.
„Ah. Das wird genial! Ein Wahnsinn! Drehbuch oder Roman? Roman. Einen Roman. Roman.“ Erleichtert geht er zum Fenster, um seinen Kopf in die frische Luft zu halten.
„Oh, das hätte ich ja fast vergessen!“ Er dreht sich wieder herum.
„Das Paket!“ Hieronymus reißt den Karton auf und strahlt noch intensiver als zuvor.
III
Ich weiß, ich weiß. Das waren ganz schön viele Informationen auf einmal und ich entschuldige mich aufrichtig dafür. Aber in der Goethestraße 8b leben nun einmal viele aufregende Personen. Und fast alle wollen sie gleich im ersten Kapitel erwähnt werden.
„Hey. Hey Rainer.“
„Ja?“ Der dicke Hausmeister kriecht unter einem Tisch hervor.
„Was... Was machst du denn unter dem Tisch“, fragt Ulrich und er schafft es nicht die Unsicherheit aus seiner Stimme zu entfernen.
„Mir ist nur eine Gurke aus meinem Wurstbrot gefallen. Direkt unter den Tisch und...“
„Ja. Was... Was ich fragen wollte: Diese Maria, die Neue.“
„Ja?“ Es sieht aus als würde der Hausmeister ein wenig grinsen, wenngleich es doch fast nicht zu erkennen ist. Der dicke, grau melierte Bart verdeckt zu viel.
„Ach, nichts. Passt schon. Und... Guten Appetit.“
„Ja? OK. Danke, den hab ich sicher.“ Er hebt die Hand mit der Gurke nach oben und Ulrich verschwindet wieder auf den hohen Stufen des Treppenhauses, um sich in seiner Wohnung mit den wenigen Optionen zu malträtieren.
„Ich mach´s. Nein, nein. Doch. Ich mach´s auf keinen Fall!“ Er geht auf und ab, fasst sich an die Gesäßtasche und in die Haare.
„Doch! Nein... Scheiß drauf!“
Ulrich rennt zum Kleiderschrank. Er sucht saloppe, schicke Klamotten, die aber nicht zu hochgestochen wirken.
Graues Sakko, blaue Jeans und gründlich gekämmte Frisur. Er steht vor Marias Tür.
„Nein.“ Er fährt sich durch die Haare, möchte lässiger und spontaner wirken. Die Kleidung sagt trotzdem noch etwas anderes.
Ulrich drückt mit feuchten Fingern auf die Klingel, schließt kurz seine Augen.
„Oh Ja. Ich mach´s wirklich“, sagt er sich und als er seine Augen wieder öffnet steht Maria in der Tür und lächelt ihn an.
„So schick?“, meint die Halb-Brasilianerin.
„Ja. Nein. Ja, ich wollte mich nur noch einmal vorstellen. Das gestern war etwas überhastet und...“
„Gut. Und ich bedanke mich gleich nochmal fürs Kisten schleppen gestern. Das war sehr nett.“
„Kein Problem.“ Ulrich muss lächeln und als Maria ihm wieder ihre Hand entgegenstreckt wischt er sich Seine noch schnell an den Hosenbeinen ab.
„Ich bin Maria.“
„Genau. Ich Ulrich.“
„Ich weiß.“
„Stimmt.“ So weit man es erkennen konnte war ihre Wohnung noch nicht eingeräumt, aber es hing schon ein demütiges Jesus-Portrait an der Wand. Ulrich starrt es an, dann weicht sein Blick aus, wendet sich auf sein Paar Schuhe. Er trägt noch die Sandalen, wie peinlich.
„Gut. Also Maria, ich werde Sie dann nicht weiter stören beim... Beim Einräumen der Wohnung.“
Man kann hören wie ganz unten jemand die Haustüre schließt.
„Warten Sie.“
Ulrich schielt ungläubig in Marias funkelnde braune Augen. So bezaubernd, doch auch so traurig. Und da! An ihrem Halse langsam baumelnd eine Kette mit Cruzifix und Jesus Christus. Erneut.
„Ich wollte gerade einkaufen gehen, aber ich kenne mich in der Stadt hier noch nicht aus. Würden Sie mich begleiten?“
„Ich weiß nicht.“
Maria legt ihren Kopf leicht zur Seite und überredet Ulrich mit einem minimalen Öffnen ihrer Lippen.
„In Ordnung.“ Er versucht seine Atmung zu beruhigen. „Gerne“, fügt er an. Scheinbar verlieh er seinem nervösen Auftritt doch noch eine gewisse sympathische Note. Was immer es auch gewesen sein mag, es wirkte.
„Ich hole nur noch schnell mein Portemonnaie aus meiner Wohnung“, sagt er.
„Ja natürlich.“
Während Ulrich verschwindet biegt Hieronymus auf das Plateau zu den letzten sieben Stufen, die ihn von Maria trennen.
„Ah“, meint Hieronymus, in seinem Gesicht der neurotische Ausdruck einen Sieg erzwingen zu müssen.
„Hieronymus.