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reicht der dreijährigen Tochter seiner Nachbarin eine volle Tüte hinunter in die ausgestreckten Ärmchen. „Kannst du das alleine tragen?“ „Ja“, antwortet sie stolz und balanciert auf dünnen Beinchen vorsichtig die Tüte auf dem Kopf.

      ‚Schließlich’, spinnt er seine Gedanken weiter, trifft den Jungen keine Schuld daran, dass seine Mutter von einem Verwandtenbesuch in Guinea nie mehr zurückkehrte. Er muss damals gerade mal fünf gewesen sein. Der einzige Lichtblick im Leben des Kindes war seither sein Onkel, ein Bruder seiner Mutter. Später hat der dann auch Sekous Begabung für das Kunsthandwerk entdeckt und ihn zu Baba Joel in die Ausbildung zum Instrumentenbauer geschickt. Alles schien sich für den Jungen endlich zum Guten zu wenden. Aber, wie das Leben so spielt.’ Er gibt sich seufzend einen Ruck, um seine trüben Gedanken abzuschütteln; er muss sich jetzt auf die Gegenwart konzentrieren; denn alle Dorfbewohner sind nun auf den Beinen und benötigen noch das eine oder andere zum Frühstück.

      Mit dem duftenden Brot unterm Arm, und der Plastiktüte mit den übrigen Einkäufen in der Hand, stößt Sekou mit dem Ellenbogen das Tor zum Hof seines Onkels auf und legt seine Einkäufe in der Kochecke ab.

      Bedächtig entfacht er ein kleines Kohlefeuer und setzt einen Topf mit Wasser für den Tee auf. In der Zwischenzeit verquirlt er die Eier in einer alten Tasse mit abgebrochenem Henkel und schneidet eine große Zwiebel in Streifen. Er hängt je einen Teebeutel in die bereitstehenden Becher, und als das Wasser kocht, nimmt er einen alten Lappen, um sich nicht an dem heißen Topf zu verbrennen und gießt es vorsichtig in die Becher. Er hebt den Kopf und lauscht auf die Geräusche aus dem Haus. Das Bett quietscht, eine Schranktür klappt, sein Onkel ist aufgestanden. Sekou setzt die flache Aluminiumpfanne auf das Feuer. Das Öl zischt, als er es in die heiße Pfanne gießt; zügig fügt er die Zwiebelstreifen hinzu, dünstet sie etwas an und schüttet die verrührten Eier darüber. Es duftet appetitlich.

      Sein Onkel steht in der Türöffnung und schnuppert, während er sich das frisch gewaschene, geblümte Hemd zuknöpft.

      „Gut geschlafen?“, fragt er und klopft Sekou freundlich auf die Schulter.

      „Es geht so“, ist die vage Antwort, „und du?“

      „Hervorragend.“ Sein Onkel nimmt die vollen Becher, zwei Teller und Gabeln mit an den kleinen Tisch auf der Veranda. „Bringst du das Brot mit?“, ruft er in Richtung Kochecke. „Hm“, kommt die Bestätigung.

      Im Osten schiebt der herannahende Tag zartblau die Nacht wie eine Wand vor sich her, der Himmel färbt sich dort bereits leicht rosa, gleich wird die Sonne aufgehen. Die beiden Männer tauchen schweigend ihre Gabeln in die Pfanne und tunken Brotstückchen in die Soße.

      „Hast du heute eine Tour über Nacht?“, fragt Sekou den Älteren respektvoll mit gesenktem Kopf und niedergeschlagenen Augen.

      „Nein, ein Kollege wollte gerne mit mir tauschen; er hat eine Freundin in der Stadt. Warum fragst du? Du weißt doch, dass du immer hier sein kannst.“ Er schaut seinen Neffen forschend an. „Ich bin schon spät dran, lass uns heute Abend reden, in Ordnung?“

      „Klar. Mach’ dir keine Sorgen, es eilt nicht.“

      Onkel Louis erhebt sich etwas schwerfällig; sein Rücken ist nicht mehr der Beste. Seit mehr als 20 Jahren schon steuert er den großen Überlandbus durch die Dörfer bis zur Hauptstadt; jetzt nehmen ihm seine Knochen diese einseitige Tätigkeit übel. Aber er beklagt sich nicht, weil er seine Arbeit und die Menschen liebt. Jeder von hier bis zur Küste kennt ihn; er ist überall gern gesehen. Abgesehen davon verdient er genug, um seinem Neffen und seinem Schwager ab und an finanziell unter die Arme zu greifen.

      Er holt seine Tasche aus dem Haus, stellt sie kurz ab, um mit einem Stofffetzen sorgfältig imaginäre Staubkörnchen von seinen hochglänzenden Schuhen zu entfernen und wirft das Tuch danach achtlos in die Ecke.

      „Also dann …“; sie nicken sich zu. „Und schau nach deinem Vater; du kannst etwas Geld nehmen, um einige Lebensmittel für ihn zu kaufen“, fällt ihm noch ein, dann schlägt das Tor hinter ihm zu.

      Zurück bleibt ein nachdenklicher Sekou, der sich mit einem Ruck erhebt und geistesabwesend mit mechanischen Handgriffen die Reste des Frühstücks abräumt. Er fühlt sich wie zerschlagen, denn er hat die halbe Nacht wach gelegen. Die harten Worte seines Freundes haben wie Heuschrecken in seinem Kopf herumgeschwirrt und ein heilloses Durcheinander angerichtet. Und gegen Heuschrecken ist man ja bekanntlich machtlos.

      „Warum zerbreche ich mir eigentlich den Kopf?“, sagt er leise zu sich selbst, „es kommt sowieso, wie es kommen muss: Gott stellt uns auf die Probe; wir müssen durchhalten und abwarten, was er mit uns vorhat.“

      Damit hat er dem Allmächtigen den Schwarzen Peter zugespielt, obwohl das sonst gar nicht seine Art ist, und ist fürs Erste aus dem Schneider. Erleichtert wäscht er ab und macht Ordnung im Hof. Er tut das gerne, weil er so seinem Onkel etwas von dessen Fürsorge zurückgeben kann; auch wenn Hausarbeiten nicht nur in dieser Region eher den Frauen überlassen werden. Mit einem letzten prüfenden Rundblick über den Hof vergewissert er sich, ob er auch alles erledigt hat, dann schließt er das Holztor von außen mit dem schweren Vorhängeschloss.

      Auf der staubigen Straße lenkt er seine Schritte gleich, wie jeden Morgen, zu dem einzigen kleinen Supermarkt im Dorf.

      „Wie ist es, habt ihr heute Arbeit für mich?“, fragt Sekou den vor der Tür stehenden Chef.

      „Nein, komm morgen wieder; morgen bekomme ich eine größere Lieferung; da kann ich deine Hilfe gut gebrauchen.“ Er klopft dem Jungen wohlwollend auf die Schulter, dreht sich um und geht in den Laden.

      Sekou macht sich auf den Weg nach Hause. Ab und zu hält er an, um mit Muße ein paar Früchte auszusuchen, die sein Vater gerne isst. Ja und dann kauft er noch Gemüse, Trockenfisch, einen Maggi-Brühwürfel und ein Beutelchen Reis. ‚Das reicht für heute Mittag und für heute Abend’, denkt er zufrieden, ‚verhungern müssen wir jedenfalls nicht.’

      Seine Gedanken machen einen Abstecher zu seinen Freunden. Ibrahim schuftet sicher schon längst auf dem Feld und Amadou lässt sich wahrscheinlich in der Herberge herumkommandieren; so gesehen geht es ihm gar nicht so schlecht, aber er würde auch viel lieber hart arbeiten, um sein eigenes Geld nach Hause zu bringen.

      Unterwegs versucht Sekou, sich innerlich gegen die immerwährende schlechte Laune seines Vaters zu wappnen. Eigentlich tut er ihm leid, so ganz alleine und ohne Geld. ‚Wenn er nur nicht immer so ungerecht wäre.’ Sekou kennt seine Pflichten als Sohn und würde sie liebend gerne erfüllen, aber ohne Arbeit … Dafür nimmt er sich heute vor, besonders liebevoll und nachsichtig mit ihm umgehen. So motiviert öffnet er schwungvoll das Tor zu seinem Zuhause und blickt geradewegs in die vorwurfsvoll aufgerissenen Augen seines Vaters.

      „Mein Gott, hast du mich erschreckt! Musst du denn direkt hinter der Tür sitzen?“

      „Ja, das muss ich wohl“, sagt der Alte mit hoher weinerlicher Stimme, „so kann ich wenigstens mit den Ohren am Leben auf der Straße teilhaben und gleichzeitig sichergehen, dass ich dich nicht verpasse.“ Und in anklagendem Ton fügt er hinzu: „Du gibst hier ja nur noch ein Gastspiel. Wer weiß, vielleicht kommst du auch eines Tages gar nicht wieder, wie deine Mutter.“

      Sekou zwängt sich wortlos an ihm vorbei, um die mitgebrachten Lebensmittel in der Kochecke abzuladen. ‚Da hat er doch tatsächlich die schwere Bank bis zum Tor manövriert, nur um mir ein schlechtes Gewissen einzureden’, denkt er. Sein Vater folgt ihm humpelnd dicht auf den Fersen. Mit gestrecktem Hals meckert er vorwurfsvoll:

      „Woher hast du das Geld, um all diese Sachen zu kaufen? Bist du jetzt unter die Diebe oder unter die Bettler geraten?“

      Sekou dreht sich so abrupt um, dass sein Vater erschrocken fast über ihn fällt. „Warum denkst du immer nur das Grundschlechteste?“, herrscht er ihn dicht vor seinem Gesicht in scharfem Ton an. Für den Bruchteil einer Sekunde registriert er die ungepflegten weißen Bartstoppeln im Gesicht seines Vaters, nimmt dessen alte, grau verschleierte Augen wahr und fügt etwas verständnisvoller hinzu: „Du weißt doch, dass Onkel Louis aushilft, wenn ich keine Arbeit habe. Ich tue mein Bestes,

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