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Eddie, der Golem und Ich. Maurice Delage
Читать онлайн.Название Eddie, der Golem und Ich
Год выпуска 0
isbn 9783752917772
Автор произведения Maurice Delage
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
*
Ich glaubte es tatsächlich nicht. Natürlich glaubte ich es nicht. Der feine Herr wollte mir allen Ernstes weismachen, in der Schatulle befände sich das Herz des Eddie. Stellen Sie sich das einmal vor. Was für ein Humbug. Und damit nicht genug. Edward the Head sei keine leblose Gestalt, die man an Seilen über die Bühne führen müsse. Er sei, halten Sie sich fest, die Inkarnation des Golem, wer auch immer das sein sollte, und Derek Riggs habe sich lediglich der uralten Legende um Rabbi Loew bedient, als er mit seiner Erweckung die Heavy Metall Szene revolutionierte.
Ungelogen, er hatte das Wort Erweckung benutzt, als ob der geniale Grafiker der Maidens mit dem Teufel im Bunde gewesen sei und einen Klumpen Lehm lebendig werden ließ.
Je länger ich ihm zuhörte, je deutlicher wurde mir bewusst, dass mein Gegenüber nicht mehr alle Tassen im Schrank hatte. Seine elegante Erscheinung, sein vornehmes Gehabe, konnten nicht darüber hinwegtäuschen, dass er völlig verrückt war.
Unglücklicherweise bin ich im Absagen erteilen nicht sonderlich gut und wie er so mit seinen leuchtenden Augen vor mir stand, so völlig begeistert von seinem Artefakt, wie er es nannte, da hat er mir beinahe leidgetan. Armer Irrer, dachte ich. Ich könne die Truhe ja eine Zeit lang ausstellen und wenn ich sie verkaufen würde, solle ich ihm einfach das geben, was man für sie gezahlt hätte. Abzüglich meiner Provision natürlich. Selbstredend wolle er mich nicht bedrängen. Ich sei ja ein so netter Kerl. Bla bla, bla bla ...
Was soll ich sagen, ich habe sie, wider aller Vernunft, dann doch angenommen. Niemand wird diese Holzkiste kaufen, schon gar nicht, wenn ich ihren vermeintlichen Schatz anpreise. Es war ein Fehler, ich weiß. Aber zumindest hatte ich nun ein wenig Zeit, um mir zu überlegen, wie ich ihm die Enttäuschung beibringe.
Nachdem wir uns verabschiedet hatten, ging ich nach hinten, ich wollte mit Bonita reden. Ihre Vorhänge bauschten sich vor der weit auf stehenden Terrassentür. Ein leerer Teller lag auf ihrem Schreibtisch, ein Hauch ihres Lieblingsduftes SUN in der Luft. Von ihr selbst jedoch keine Spur - sie war gegangen, ohne sich zu verabschieden.
Nachdenklich presste ich die Lippen aufeinander. War ich vielleicht doch zu harsch zu ihr gewesen?
Ich verriegelte den Hinterausgang, nahm den Teller vom Schreibtisch und wandte mich zur Tür. Goldgelbe Krümel und ein Klecks zurückgelassener Zitronenkonfitüre verrieten mir, dass es sich um das Stück Porzellan handelte, auf dem ich die restlichen Scones drapiert hatte. Sie hatte sie allesamt aufgefuttert. Oder zur Uni mitgenommen. So oder so, sie war nicht mehr hier und so nahm ich mir vor, es gegen Abend noch einmal zu versuchen. War vielleicht ohnehin besser. Bis dahin würden sich die Wogen geglättet haben.
Mit der Zuversicht eines liebenden Vaters wandte ich mich erneut zur Tür, da fiel mein Blick auf einen roten Fleck auf dem Teppich. Von der Marmelade konnte er nicht sein, also ging ich in die Hocke und betrachtete ihn genauer. Der Tropfen war noch nicht ganz eingetrocknet und sah aus wie ...
Ich streckte einen Finger aus und leckte ihn ab. Tatsächlich, es war Blut. Bonita’s Blut. Erschrocken würgte ich an einem Kloß. Ihr wird doch nichts ...
Im gleichen Moment rügte ich meine Dummheit. Sie wird in ein Stück Glas getreten sein, als sie hinaus stürmte, sagte ich mir. Ganz bestimmt sogar. So wird es gewesen sein.
*
Der Rest des Tages verlief ereignislos. Bis zum Mittag verkaufte ich ein Paar Nylonstrümpfe, die Petra Schürmann (die bis heute einzige deutsche Miss World) 1956 als lebende Schaufensterpuppe getragen hatte. Nachmittags ein Paar Stiefel, in denen einst Gene Simmons über die Bühne stolzierte und ein weiteres, mit denen die in Bay City, Michigan, geborene und später zur erfolgreichsten Künstlerin der Musikgeschichte avancierten Madonna Louise Ciccone, für ihr Erotica Album posiert hatte.
Zwei schöne, ausgefallene Stücke, insgesamt jedoch kein berauschender Umsatz für einen ganzen Tag Arbeit. Aber ich will mich nicht beklagen, ich hatte schon weit schlimmere erlebt. Und noch weit schlimmer sind die Tage, an denen man sich eingestehen muss, ein Vermögen für etwas bezahlt zu haben, das nicht die Tinte wert war, mit der man den Scheck unterschrieben hatte. Meine größte Dummheit in dieser Hinsicht, waren wohl die zerfetzten Überreste einer in Alkohol präparierten Fledermaus. Sie ahnen es sicher schon und ja, es war wohl der Wunsch nach der Sensation, der mich daran glauben ließ, es handele sich tatsächlich um Ozzy’s legendäres Fledertier aus dem 82er Konzert, als der selbsternannte Prince of Darkness einem solchen Geschöpf, live vor abertausenden, grölenden Fans, den Kopf abbiss.
*
Bonita hatte sich nicht mehr blicken lassen, weder vor noch nach dem Essen. Offenbar hatte sie es vorgezogen, auch den Nachmittag an der Uni zu verbringen, was letztendlich jedoch auch nichts Außergewöhnliches war. Sie ist sehr ehrgeizig, wissen Sie. Und was ihr an Erfahrung fehlt, versucht sie mit Fleiß und Einsatz wettzumachen. Ihr Erfolg scheint ihr Recht zu geben und obwohl man als Vater natürlich immer besorgt ist, wenn die heranwachsende Tochter erst spät abends nach Hause kommt (da bilde ich keine Ausnahme), ist man im tiefsten Inneren selbstverständlich auch ungemein stolz. Gar keine Frage.
Ja, meine Kleine wird erwachsen, jeden Tag ein kleines Stückchen mehr und der Tag an dem sie ganz ausziehen und ihrer eigenen Wege gehen wird, ist sicherlich nicht mehr fern.
Mir graut schon jetzt davor.
Wie immer schloss ich das Geschäft pünktlich um fünf. Während ich die Alarmanlage aktivierte, fiel mein Blick auf die kleine Truhe, die noch immer auf dem Tisch in der Sitzecke lag. Ich zog die Stirn in Falten, hatte ich sie nicht schon nach hinten gebracht? Ich konnte mich nicht erinnern.
Ich wischte den Gedanken von mir wie eine lästige Fliege, trug das Kistchen den Gang hinunter und schob es in eines der hintersten Regale. Selbstredend würde es dort keine große Chance haben, das Interesse eines Kunden auf sich zu ziehen. Aber wie gesagt, ich glaubte ohnehin nicht, dass sich irgendwer dafür begeistern könnte. Und die guten Plätze, vorne im Laden, hatte ich für die wahren Schätze reserviert.
Bevor ich den PC runter fuhr, fragen Sie mich nicht warum, tippte ich Rabbi Loew in die Befehlszeile und drückte die Entertaste. Eine halbe Sekunde später erhielt ich mehr als einhunderttausend Ergebnisse.
Sie mal einer an, dachte ich verblüfft. Den ominösen Rabbiner hatte es tatsächlich gegeben. Neugierig geworden, klickte ich auf den erstbesten Link und überflog den Artikel.
Jehuda ben Bezalel Loew war zu seiner Zeit ein über die Grenzen hinaus bekannter Talmudist, Prediger und Philosoph. Vermutlich um 1512 in Posen geboren, entstammte er der berühmten aus Worms stammenden Familie des Reichsrabbiners Jacob Löw. Jehuda sei der vielleicht bedeutendsten Denker des Judentums gewesen, las ich weiter. Zahlreiche Legenden rankten sich um seine Person. Eine davon sei die Erschaffung des Golem.
Obwohl viele Legenden einen wahren Kern besitzen, bin ich ehrlich gesagt wohl allzu sehr Realist, um mich für solch übersinnliches Zeug zu begeistern. Und so fühlte ich mich dann auch mehr als bestätigt, als ich bereits in der darauffolgenden Zeile las, einer anderen Legende nach, sei der aus einem Klumpen Lehm erschaffene Geselle bereits vierhundert Jahre zuvor zum Leben erweckt worden.
Typisch, dachte ich nur, schloss das Browserfenster und verließ mein Büro.
- 3 -
Auf Bonita wartend, sahen wir uns ein Spiel an. Eigentlich mache ich mir nicht viel aus Football, aber Teddy ist ein riesiger Packers Fan und ihm zuliebe habe ich mich breitschlagen lassen. Spaß beiseite, ich versuchte, mich abzulenken, mir keine Sorgen zu machen. Es klappte nicht wirklich, im Gegenteil. Ich fürchte, ich könnte Ihnen nicht einmal sagen, wer gewonnen hat. Inzwischen war es längst dunkel geworden. Bereits zwei Mal hatte ich sie angerufen. Nichts, sie hatte nicht einmal abgehoben.
Je länger ich wartete, umso mehr schlug meine Sorge in Ärger um. Die konnte was erleben, wenn sie nach Hause kam. So viel war sicher.
Irgendwann musste ich dann eingeschlafen sein. Mit einem Ruck schreckte ich hoch, als eine dunkle