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lassen, sonst hätte die ja noch einer von diesen angerannten Gästen gefunden.“

       Pfarrer Pius nickte und sagte: „Nur unser Herr Jesus Christus konnte von den Toten auferstehen! Oder meinst du gar, dass der Wildschütz Jesus war? Das war doch nur ein verrückter Rabauke aus dem Ennstal oder droben aus Gosau. Niemand kannte ihn und niemand vermisst ihn. Niemand war hier und hat nach einem verschwundenen Kerl in schwarzem Lodengewand gefragt.“

       Mittlerweile zeigte die verschnörkelte Kuckucksuhr in der Bauernstube halb acht an, der Johann sah dies, erhob sich und meinte dabei: „Wie gesagt, nur ein Lausbubenstreich! Und überhaupt, der Wilderer wollte uns doch erschießen und nicht aufschlitzen. Abgesehen davon, dass er schon seit Monaten tot ist. Da haben eben gestern ein paar Rotzlöffel heimlich Bier getrunken und sich dann den Blödsinn ausgedacht. Aber auf jetzt, wir müssen noch kurz in den Rathauskeller und alles fertig machen.“

       Ja, der gute alte Rathauskeller, eine tolle Spelunke. Eigentlich war es ja ein schönes Gewölbe, in dem der Sagerer Ferdinand sein Bier ausschenkte und jeden Sonntag ein kleiner Umtrunk für die Männer nach der heiligen Messe veranstaltet wurde, damit die Frauen in Ruhe den Braten kochen konnten. Nur nagte schon ein wenig der Zahn der Zeit an dieser hippen Partylocation und die feuchte, abgestandene Luft mit erfrischender Bier- und Tabaknote, sorgte beim Betreten immer für einen kleinen Atemstillstand. Dafür war das Mauerwerk wirklich schön und die große Theke aus dunklem Holz hatte auch ihren Anreiz.

       Bevor sich der Johann, der Ludwig, der feine Herr Graf, der Brenner Karl und der Greiler Walter dorthin auf den Weg machten, um eben wie erwähnt, alles herzurichten, denn das war Chefsache, sagte der Pfarrer mit erhobenem Finger: „Beeilt euch, in einer halben Stunde beginnt die Messe!“

      Gebete für Sebastian Kurz gab es in diesen Tagen noch keine, aber die Messe war dennoch immer nett. Satte zwei Stunden, von acht bis zehn Uhr morgens, dauerte der sonntägliche Gottesdienst immer und fast eine Stunde davon, nahm die Predigt ein. Ein gottesfürchtiges Geschwurbel voller Pathos, Moral und Geschichten aus der guten, alten Zeit, in dem Pfarrer Pius immer voll und ganz aufging.

       Da war es nur selbstverständlich, dass bei dem Frühschoppen im Anschluss, die Krüge weggingen wie sonst nur auf dem Münchner Oktoberfest. Natürlich war das damals schon weit über die Grenzen Münchens hinaus bekannt. Und natürlich war der Johann auch schon mehrmals dort gewesen und war 1892 sogar mit dem ersten elektrisch betriebenen Fahrgeschäft auf dem Fest gefahren. Obendrein brachte er immer ein großes Fass Festbier mit nach Schöttau, das dann immer freudig verkostet wurde.

       Wie bitte? Ja, der Graf durfte es immer anzapfen und bekam den ersten Krug. Der Johann dann den zweiten, der Ludwig den dritten, der Pfarrer den vierten, der Moosbacher Gustl den fünften, der Brenner Karl den sechsten, der Greiler Walter den siebten, der Doktor den Achten und der Lehrer Xaver bekam gar keinen, weil er ein Marxist war.

       So zog auch immer ein klein wenig Oktoberfestfeeling nach Schöttau ein. Eine Besonderheit der damaligen Zeit, denn damals fand das Oktoberfest ausschließlich in München statt. Im Gegensatz zu heute, wo mittlerweile jedes schäbige Dorffest in der entlegensten Gegend ja eine „Wies’n“ ist. Jawohl, der Lederhosenballermann in Hinterschaßstetten, wer kennt ihn nicht? Ein „Festzelt“ mit reichlich Raiffeisenbanner und eine billige Saufband genügen und schon stopfen sich alle in ihre Pseudotracht. Wenn dann alle im Vollsuff auf der Bank herumhüpfen, geht die Gaudi dann richtig los. Bis der erste Kasperl das Gleichgewicht verliert und in die Bierkrüge katapultiert wird und ein anderer das trockene Grillhuhn von vorher unter den Tisch kübelt. Wirklich toll, dieses neugeschaffene Bild der wiederentdeckten Liebe zur kitschigen Heimatromantik. Na gute Nacht, aber jeder wie er will.

      So, wieder einmal über die Gesellschaft hergezogen, wo waren wir?

       Genau, beim Frühschoppen! Meine Güte, da bin ich aber jetzt abgedriftet. Egal, begeben wir uns nun endlich in den Rathauskeller.

      Am großen Stammtisch saßen natürlich all unsere Freunde aus der Schöttauer Schickeria und diskutierten über das neue Hotel und vor allem deren Finanzierung.

       Ja, es wurde gerade ein zweites Hotel gebaut und dessen Eröffnung war für Anfang Juli geplant. Nur haperte es noch am Geld, um es fristgerecht fertigzustellen.

       Weil der Moosbacher Gustl so einen Erfolg mit seinem ersten Hotel hatte, baute man ihm, ohne lange zu überlegen, ein zweites, na Prost Mahlzeit.

       Der Moosbacher Gustl war wirklich ein wirtschaftliches Genie. Sein Hotel war seit 15 Jahren von Mai bis Oktober restlos ausgebucht, aber dennoch wurden die Verluste von Jahr zu Jahr größer. Den Typen konnte man mit Geld zuschütten und im nächsten Augenblick war der ganze Zaster auch schon wieder spurlos verschwunden. Zu seinem Glück lag Schöttau recht ab vom Schuss und so blickte kaum einer in seine vorbildlich geführten Bücher. Falls doch jemand einmal daran Interesse bekundete, so wurde ihm prompt ein Riegel vorgeschoben, denn der feine und durchaus mächtige Graf hielt schützend seine Hände über ihn. Der Graf war auch sein größter Finanzier und hatte ihn schon ein wenig in Schladming unterschützt, wo sich der Moosbacher Gustl allerdings nicht mehr blicken lassen konnte. Auch der Johann, der Ludwig und der Pfarrer waren an der Finanzierung des neuen Hotels beteiligt. In letzter Zeit verschwanden sie zusammen mit dem Grafen für einige Tage und machten unten im Ennstal, in Graz und auch in Salzburg irgendwelche höchst schwindeligen Geschäfte. Der Brenner Karl war anfangs ebenfalls dabei, stieg aber dann bald aus, da ihm das Ganze zu heiß wurde.

       Ihre fragwürdigen Deals interessierten auch den Xaver, der ihnen nachspionierte und da einen großen Skandal aufdecken wollte. Jedoch bekam der Johann bald Wind davon und klopfte dem Lehrer gehörig auf die Finger. Was da genau zwischen den beiden passiert war, kann ich euch leider nicht sagen. Ich weiß nur, dass der Xaver eines Tages plötzlich ein blaues Auge hatte. Von einer dummen Wirtshausschlägerei in Bad Mitterndorf, wie er meinte. Eine besoffene Geschichte also.

       „Keine Sorge, nächste Woche trifft wieder eine nette Summe ein, dann wird das Hotel fertig gebaut.“, versicherte der Graf den restlichen Stammtischgästen.

       „Perfekt!“, freute sich der Moosbacher Gustl und streckte seinen Krug in die Höhe.

      Na, da kam wieder Freude auf! Nur der Ludwig wirkte noch ein wenig betrübt und nuckelte ungewöhnlich behutsam an seinem schönen Bürgermeisterkrug aus Ton mit dem Schöttauer Wappen darauf .

       „Jetzt mach nicht so ein Gesicht, Ludwig! Vergiss endlich den komischen Zettel von den Lausbuben.“, sagte der Johann und klopfte ihm dabei auf die Schulter.

       „Und wenn es doch keine Lausbuben waren? Dann liege ich vielleicht morgen aufgeschlitzt auf der Straße!“, entgegnete ihm der Bürgermeister.

       Der Johann schüttelte seinen Kopf und sagte: „Niemand wird hier aufgeschlitzt! Das waren sicher die Rotzbuben vom Jamminger Max, die machen immer so einen Unfug, das sind die gleichen Deppen wie ihr Vater. Weißt du was? Ich frage ihn jetzt.“

       Unser Freund erhob sich, steuerte auf den Tisch zu, an dem der lustige Jamminger Max saß und sagte laut zu ihm: „Max! Haben deine Buben gestern etwas vom Bier gesoffen?“

       Der Jamminger Max blickte ihn mit einer wunderbaren Gleichgültigkeit an und antwortete: „Was weiß ich, was die gestern getrieben haben. Wieso?“

       „Dem Bürgermeister hat gestern jemand einen Streich gespielt, waren das vielleicht deine Buben?“, fragte Johann weiter.

       „Kann schon sein, die treiben ja immer irgendeinen Schabernack, ihre Mutter hat sie total verzogen. Die sollten lieber öfters mit mir in den Wald gehen, als bei dem Trampel daheimbleiben.“, meinte der fröhliche Max.

      Ui, diese Ehe schien perfekt zu sein, da flatterten ja direkt noch die Schmetterlinge in seinem Bauch.

      „Hast du gehört, Ludwig? Das sind wahrscheinlich die Jamminger Buben gewesen!“, rief der Johann dem Bürgermeister zu.

       Dieser nickte nur schwerfällig und trank von seinem Bier. So wirklich wollte er nicht daran glauben und er befürchtete weiterhin Schlimmes. Sein Kopf war noch immer knallrot und der appetitliche Schweiß plätscherte ebenfalls unaufhaltsam sein mitgenommenes Gesicht herab.

       Dann ging der Johann zum Stammtisch zurück

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