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hatten hier Familien gewohnt, hatten gemeinsam gegessen, die Tage zusammen verbracht. Nachbarn waren auf den Straßen herumgestanden und hatten miteinander geplauscht, wenn sie sich begegnet waren. Und jetzt war das alles vorbei. Einfach so. Und sie wusste nicht einmal, was hier passiert war. Wieso die Bewohner das Dorf aufgegeben hatten.

      Was wohl mit ihnen geschehen sein mochte? Ob sie Opfer eines Dämonenangriffs geworden waren? Ob hier eine Naturkatastrophe normales Leben unmöglich gemacht hatte? Waren sie nur weiter gezogen oder sind sie hier irgendwo ganz in der Nähe ums Leben gekommen?

      „Was ist hier nur geschehen?“, fragte Burkhart und sprach damit ihre Gedanken aus.

      Morten zuckte mit den Schultern. „Keine Ahnung. Aber wir werden heute Nacht hier bleiben und erst morgen weitergehen.“

      Burkhart tauschte einen unglücklichen Blick mit Walburga.

      Was auch immer hier geschehen sein mochte, sie hoffte, dass ihnen nicht das Gleiche widerfahren würde...

      18.

      „Na los, keine Müdigkeit vorschützen“, sagte Morten. „Je eher ihr mit dem Training beginnt, desto eher seid ihr fertig und ihr habt euch euer Essen und euren Schlaf redlich verdient.“

      „Was? Wir sollen hier trainieren?“ Burkharts Stimme klang spitz. „Ich glaube nicht, dass ich mich das traue.“

      „Na los.“

      Burkhart fügte sich und er nahm Position gegenüber seiner Schwester ein. Jacque verschwand im Wald, ohne etwas zum Abschied zu sagen. Morten warf ihm einen Blick nach, widmete sich aber relativ schnell den beiden Geschwistern. Schon nach kurzer Zeit musste sich Morten hinsetzen, da er erschöpft war. Dies hinderte ihn jedoch nicht daran, jede Bewegung der beiden zu analysieren und an ihnen herumzumäkeln.

      „Ich kann nicht mehr“, schnaufte Burkhart nach etlichen Hieben, die er eingesteckt hatte. „Ich bin total erledigt. Mein ganzer Körper tut weh.“

      Er ließ sich auf die Veranda fallen, auf der auch Morten saß. Vor ihm knisterte das Feuer, das er entzündet hatte. Nach nur wenigen Sekunden schnarchte Burkhart vor sich hin. Morten zog die Brauen hoch, sagte jedoch nichts.

      „Du kannst auch Schluss für heute machen, Wali.“, wandte er sich an sie. „Du siehst auch ziemlich erschöpft aus.“

      Sie nickte. Sie war voller Schmutz und ihr Haar hing ihr wirr im Nacken und im Gesicht. Manche der hellblonden Strähnen waren so staubig, dass man ihre Haarfarbe gar nicht genau definieren konnte. Sie roch nach Schweiß, jedoch nicht so schlimm wie die drei Jungs, mit denen sie unterwegs war.

      Sie setzte sich neben Morten.

      „Wie geht es dir?“, fragte sie.

      Er zuckte mit den Schultern und stocherte mit einem langen Stock im Feuer.

      „Gut.“

      „Meinst du wirklich, hier ist es ... sicher für uns? Es ist ziemlich unheimlich hier.“

      Walburga ließ ihren Blick über das Dorf schweifen. Es gab nur wenige Häuser hier und alle waren verfallen. Bei manchen war das Dach eingestürzt, andere blickten nur noch mit blinden Fenstern auf den Wald. Das Holz der Böden und der Veranden waren morsch und brüchig. Dichtes Buschwerk und hohes Gras sprießte überall aus dem Boden. Baum, Gebüsch und Gras hatten diesen Ort zurückerobert und wucherten in, neben und zwischen den Häusern. Ein Gebäude direkt am Waldrand war noch am besten in Schuss und so hatten sie sich in diesem niedergelassen.

      „Na ja, ich würde sagen, dass es nirgendwo wirklich sicher ist. Ich dachte, das hättest du mittlerweile verstanden. Da du ja Jägerin wirst. Oder es zumindest werden willst“ Sie schwieg. „Rhoyul war noch nie ein Dorf, das sonderlich bekannt oder berühmt war“, fuhr Morten fort. „Schon als die Bewohner noch lebten, hielten sich die Reisenden von dem Dorf fern, das hier mitten im Wald liegt. Es gibt allerhand Geschichten über den Ort. Man erzählt sich, dass hier Inzest betrieben wurde und dass arglose Wanderer, die hier über Nacht nach einem Plätzchen gesuchten haben, von den Einheimischen nachts verspeist wurden. Und da hier ja angeblich Inzest verbreitet war, kannst du dir ja vorstellen, was das für Leute gewesen sind. Angeblich wurden hier die Regeln der Kirche – eigentlich von jeder menschlichen Moral – vollkommen außer Acht gelassen und man setzte Rhoyul auch oft mit der Hölle gleich.“

      Walburga sah ihn entsetzt an.

      Morten kicherte, als er ihren Gesichtsausdruck sah. „Ach, Wali, jetzt schau doch nicht so erschrocken. Das sind doch nur Geschichten. Ich wollte dir damit eigentlich nur sagen, dass es hier vermutlich sicherer ist, jetzt, da das Dorf verlassen ist, als damals, als es noch bewohnt war. Du musst dich nicht sorgen. Nicht mehr als sonst, versteht sich.“

      „Na ja, das glaube ich dir irgendwie nicht ...“, sagte sie skeptisch und verfiel in Grübelei, während sie ins Feuer blickte. „Wieso nennst du mich eigentlich immer Wali?“, wollte sie wissen.

      „Hmm?“ Er sah auf. „Ich weiß nicht. Stört es dich?“

      Sie schüttelte den Kopf. „Anfangs schon irgendwie, aber mittlerweile ist es okay.“

      Das war nicht ganz die Wahrheit. Eigentlich mochte sie es sogar. Sie mochte, wie weich seine Stimme klang, wenn er den Spitznamen aussprach. Er sagte ihn auf eine unnachahmliche, ganz eigene Weise.

      Er grinste. „Okay, dann ist ja gut.“

      „Ich mache mir Sorgen um Jacque“, gestand sie. „Er kommt mir von Tag zu Tag stiller und mürrischer vor.“

      „Wirklich?“, fragte er.

      Morten lehnte sich zurück und stützte sich auf seine Handflächen. Seine Beine baumelten von der Holzveranda und er blickte über das Feuer und den tiefschwarzen Wald, so als hielte er Ausschau nach Jacque.

      „Ja. Ich meine, er ist ja eigentlich immer irgendwie mürrisch, aber in letzter Zeit scheint sich das noch gesteigert zu haben.“

      „Er hat Angst, dass ich sterbe“, sagte Morten. Walburga erschrak bei seinen Worten. Sie hatte nicht einen Moment an Tod gedacht, trotz seiner Vergiftung und der Verzögerung in der Heilung, aber ihn das nun aussprechen zu hören, rückte diese unangenehme Tatsache erschreckend nah in Reichweite. „Deswegen bleibt er auch jede Nacht länger im Wald. Er versucht seine Gedanken und Gefühle unter Kontrolle zu bringen. Vielleicht reagiert er sich auch irgendwo ab.“

      „Wirst du denn ... sterben?“, fragte sie leise.

      Er sah ihr in die Augen. „Meinst du denn, dass ich sterbe?“, wollte er wissen.

      Es klang seltsam, so wie er die Frage aussprach. So als wüsste er selbst nicht, was ihn erwarten würde – wie könnte er das auch? Aber wie kam er nur auf den absurden Gedanken, sie würde es wissen? Vielleicht wolle er sein Überleben ja auch von ihrem Glauben an ihn abhängig machen, was für sie noch seltsamer war.

      Lange erwiderte sie verwirrt seinen Blick.

      „Nein“, sagte sie schließlich. „Nein, ich glaube nicht, dass du sterben wirst.“

      Er lächelte. „Gut.“

      „Wieso bist du Jäger geworden?“, wollte sie wissen.

      Er wandte den Blick ab. Sein Lächeln wurde leiser. Seine Augen reflektierten den Feuerschein.

      Walburga zuckte erschrocken zusammen. Nahe im Unterholz knackte es. Jacques massige Gestalt schälte sich aus der Dunkelheit. Er ließ einen mageren Hasen, einen dürren Vogel und kleine, dunkle Pilze neben dem Feuer sinken.

      „Lasst uns essen“, sagte er. „Ich bin am Verhungern.“

      Kaum hörte Burkhart das Wort „Essen“, war er wieder wach. Er half Jacque beim Ausnehmen und sie spießten das Fleisch beim Feuer auf, um es zu braten.

      „Keine besonderen Vorkommnisse?“, fragte Morten. „Unsere beiden Gefährten wollen nicht so recht glauben, dass der Wald hier

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