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raunte Farbenfein kaum hörbar und versuchte sich aufzurichten, sank aber mit einem leisen Wimmern zurück und ließ sich erschöpft auf dem Boden nieder. Sie war müde und fühlte sich elend, am Ende ihrer Kräfte.

      „Verzeih’ meine Schwäche“, versuchte sie sich zu entschuldigen.

      „Du hast alles Recht Koloriens, Schwäche zu zeigen und dein Leid hinauszuschreien!“, erwiderte Sunny und als sie ihm eine Antwort schuldig blieb, fügte er hinzu: „Irgendwann, Farbigste, wird Monotonia für ihre Gräueltaten bezahlen!“

      „Hoffentlich bald“, seufzte Farbenfein und hob ihre Lider. Verzweiflung verdunkelte ihre Augen, als sie sich in ihrem von Sunny sanft erhellte Gefängnis umsah.

      Das Turmzimmer war kalt und leer. Es gab dort nichts außer kalten Mauern und klammen Boden. Keine Wärme. Keine Farbe. Kein Licht. Nur Finsternis. Einsamkeit. Und Leere. Es war zum Aus-der-Haut-fahren. Sie hätte es bestimmt auch längst getan, wenn sie nicht – dank Sunnys spärlichen Besuchen und ihren besonderen Fähigkeiten – ab und zu ihrem Gefängnis hätte entfliehen können. Aber ihre geistigen Ausflüge dauerten meist nicht sehr lange und kosteten viel Energie, die sie dringend für ihren Widerstand gegen die Graue Hexe benötigte. Abermals schloss die Hüterin der Farben ihre Augen. Sie erinnerte sich an ein Leben in Freiheit, an idyllische Fleckchen ihrer unvergleichlichen Heimat und deren magischen Farbenzauber, und bei dem Gedanken an ihr geliebtes Kolorien durchströmte sie eine Welle der Freude, die ihre Niedergeschlagenheit langsam verblassen ließ. Das Licht des kleinen Sonnenstrahls erweckte neue Lebensgeister in ihr und sie versuchte aufzustehen.

      „Vorsicht!“, mahnte Sunny, als er sah, wie sie taumelte, doch Farbenfein schien ihr Gleichgewicht schnell wieder zu finden und blickte ihm dankbar in die Augen.

      „Ich kann dir nicht sagen, wie froh ich bin, dich zu sehen!“, versicherte sie ihm, während sie beide Hände nach ihm ausstreckte und tief einatmete, so als wolle sie sein Licht in sich aufsaugen.

      „Das hör’ ich gern“, erwiderte der Kleine freundlich und setzte sich auf ihre Schulter. „Ich wünschte nur, ich könnte mehr für dich tun“, ließ er traurig seinen Kopf hängen.

      „Du tust mehr als genug“, erwiderte Farbenfein, „und riskierst dabei dein Licht für mich!“

      „Wenn ich dich nur malen könnte“, seufzte Sunny, „wärst du längst frei!“

      „Keine Sorge, ich lass mich von Monotonia nicht unterkriegen“, spielte die Hüterin ihre Hoffnungslosigkeit hinunter. „Und nun berichte mir von draußen. Gibt es Neuigkeiten?“

      Erstaunt neigte sich Sunny ein wenig zur Seite und betrachtete Farbenfein eingehend. War das wirklich das Mädchen, das gerade noch vorhin auf dem Boden lag und glaubte, sein Ende wäre gekommen? Sein Licht tat der Hüterin Koloriens mehr als gut und sie erholte sich sichtlich von Quäntchen zu Quäntchen.

      Farbenfein spürte seinen eindringlichen Blick und neigte nun ihrerseits ihren Kopf.

      „Ich fühle mich besser“, ließ sie ihn wissen, wobei sich ihr Lächeln vertiefte.

      „Ich seh’s“, stellte der kleine Sonnenstrahl erleichtert fest. „Ich bin mir meiner Wirkung durchaus bewusst“, zwinkerte er ihr zu, „allerdings war mir eine derart überwältigende Ausstrahlung bis jetzt unbekannt.“

      „Deine Ausstrahlung in Ehren, Sunny“, gab das Mädchen mit einem Funken Heiterkeit in der Stimme zurück, „aber meine Regeneration geht nicht ausschließlich auf dein Licht zurück.“

      „Sondern?“, sah sie der kleine Strahlemann neugierig an.

      „Der Märchenmaler ist hier“, teilte sie ihm mit.

      „Hab’ ich gehört“, erwiderte Sunny. „Die Farben sprudeln es aus allen Tuben und Dosen. „Und dass er Monotonia bei den Farbquellen entwischt ist, auch. Glücklicherweise war Huf zu Stelle, als es brenzlig wurde.“

      „Ja, Huf ist ein echter Glücksgriff“, stimmte ihm Farbenfein zu.

      „Und ein Phänomen“, fuhr Sunny fort. „Er scheint bereits im Voraus zu ahnen, wann und wo die Graue Hexe zuschlägt. Das letzte Mal als sie in Belle Couleur …“ Schnell brach er ab.

      „Als sie was?“, hakte Farbenfein nach und verspürte eine innere Unruhe, die nichts mit ihrer Gefangenschaft zu tun hatte.

      Nach einem kurzen Blick auf das Mädchen meinte Sunny verlegen: „Wir sollten vielleicht über etwas anderes sprechen, um dich zu schonen!“

      „Ich möchte nicht geschont werden“, protestierte die Hüterin der Farben und hielt kurz inne, da sie glaubte, ein Geräusch vor der Türe zu vernehmen. Panik stieg in ihr hoch. Kalt und trostlos wie die Mauern, die sie umgaben. Wenn Monotonia zurückkehrte und ihr kleines sonniges Geheimnis entdeckte, dann war alles aus.

      „Warum hältst du an?“, fragte Pilobolus das Federmännchen erstaunt, das abrupt nach einem großen Sprung innehielt und aufmerksam die Gegend absuchte. Der Maler, der gegen eine kleine Pause nichts einzuwenden hatte, da das Springen anstrengender als angenommen war, tat es Zappel gleich und ließ seinen Blick über die Sumpflandschaft streifen, die sie bereits seit geraumer Zeit durchhüpften. Aber so sehr er sich auch bemühte, konnte er nichts anderes entdecken als dunstige Niederungen, bewachsen mit scharfkantigem Gras, das jede Menge Tümpel verdeckte, und von baumhohen Pflanzen, die Vincent ein wenig an Farne erinnerten, durchzogen wurde.

      „Du willst es mir also nicht sagen“, bohrte Pilo weiter und warf dem Federmännchen einen ungeduldigen Blick zu.

      „Still!“, erwiderte Zappel, während sein Blick fieberhaft den Himmel absuchte. „Dort!“, rief das Federmännchen aufgeregt und zeigte hinauf zu den Wolken. Vincents Herz fing an zu hämmern, als er große, längliche Schatten am Himmel entdeckte, die keine Regenbogenpferde waren.

      „Krokodögel!“, stieß Filomena erschrocken hervor und blickte ebenfalls nach oben.

      „Sind das …. sind das etwa Krokodile?“, betrachtete Vincent die Tiere über ihm.

      „Nein, Krokodögel!“

      „Sehen aber aus wie Krokodile.“

      „Fliegen aber wie Vögel“, wurde der Maler von seinem Block belehrt.

      „Bist du dir sicher?“

      „Jap!“

      Vincent bog schnell seinen Kopf noch ein bisschen weiter nach hinten, um nach den Flügeln der Krokodile Ausschau zu halten und bemerkte gleichzeitig, dass die seltsamen Tiere immer niedriger flogen.

      „Sssscchhht!“, deutete Zappel den beiden zu schweigen.

      Vincent, der noch nie zuvor in seinem Leben fliegende Krokodile gesehen hatte, betrachtete fasziniert und abgestoßen zugleich die beschuppten Ungeheuer mit schnabelartigen, langen, flachen, vorn stumpf abgerundete Schnauzen, die in konzentrischen Bahnen am Himmel kreisten.

      „Die suchen nach etwas!“, murmelte Barock.

      „Was hast du gesagt?“, flüsterte Pilobolus.

      „Die suchen nach etwas!“, wiederholte der Zeichenblock leise, aber so, dass ihn alle verstehen konnten.

      „Ratet mal was oder besser wen!“, fiel ihm Zappel ins Wort.

      „Uns“, schluckte Filomena.

      „Noch haben sie dich nicht“, beruhigte der Borstenpinsel.

      „Solange ihr tut, was ich euch sage, finden sie euch auch nicht“, versicherte Zappel den vier Gefährten.

      Der Märchenmaler hörte nur mit halbem Ohr hin, da er seinen Blick von den dunklen Flugechsen am Himmel nicht losreißen konnte. Es war ein schaurig schönes Bild, das ihm die gefährlichen Bestien boten. Dunkel hoben sich ihre Schatten vom Grau des Himmels ab und wirkten wir flüssiger Stahl in einer düsteren Landschaft. Der ungewöhnliche Anblick weckte in ihm ein vertrautes Verlangen, nämlich zu malen und sich mit Pinsel und Farben auszutoben.

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