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mir von dem Erlebten zu erzählen. So schwer wie es mir fiel, hörte ich ihr stillschweigend zu. Meine Augen musterten ihre traurige Mimik, welche sie arg versuchte, im Zaum zu halten. Karina berichtete von ihrer Verzweiflung, der Hilflosigkeit. „Ich wusste mir keinen Rat, konnte nicht mehr schlafen, hatte Schuldgefühle, verachtete mich und mein Leben, war aggressiv, zornig, verspürte keinerlei Freude. Selbst an John konnte ich mich nicht erfreuen. Ich wollte mein Kind, das lebte, nicht bei mir haben, habe ihn verstoßen, konnte ihn nicht mehr lieben. Mein Leben hatte keinen Sinn mehr und ich zog mich von allen und jeden zurück. Ich selbst veränderte mich. Die Trauer veränderte mich. Meine Gefühle schwankten fast schon im Minutentakt um und ich fiel in ein tiefes Loch. Enge Freunde wussten plötzlich nichts mehr zu sagen oder sie gingen uns bewusst aus dem Weg, wechselten zum Beispiel abrupt die Straßenseite, wenn sie uns sahen, um uns einfach nicht antreffen zu müssen. In der Zeit wollte ich nicht mehr essen, nahm extrem ab, so dass ich kurz davor war, aufgrund der starken Abmagerung in eine Klinik eingewiesen zu werden. Irgendwie schaffte es mein Mann, mich rechtzeitig aufzufangen und allmählich kehrte meine innere Ruhe zurück. Ich fand wieder zu mir selbst, zu meinem Kind und zu Matthias. Zurück in mein Leben.“ Durch diese Hölle will niemand freiwillig gehen und die, die es müssen, müssen einen Weg wieder herausfinden, um nicht unter zu gehen. Ihre Worte schmerzten so sehr, Gänsehaut vor Respekt und gleichzeitigem Mitgefühl überdeckten meinen Körper. Vor meinem geistigen Auge zog ich meinen Hut vor ihnen und verbeugte mich tief. Da dies in der Realität nicht ging, sah ich anfangs Karina verständlich an, musste sie dann aber noch einmal drücken, um ihr zu zeigen, dass ich für sie da war und gleichzeitig von meiner Fassungslosigkeit abzulecken. „Sei nicht so hart zu dir selbst!“, flüsterte ich. „Weißt Du Conny, es war so schön, als wir mit Emil aus dem Krankenhaus entlassen wurden und nach Hause kamen. Unsere Eltern freuten sich und auch Freunde waren da, um uns in Empfang zu nehmen. Ich genoss die Anfangszeit mit meinem Baby und war rund um die Uhr bei ihm. Mir ging es gut, ich blühte auf, war der glücklichste Mensch auf Erden und dann plötzlich, von einer Sekunde auf die Andere wurde unser Glück zerstört. Er wurde mir einfach genommen!“ Wütend und mit erhobener Stimme sprach sie weiter. „Wo ist denn da die Gerechtigkeit?“ Die starke Karina brach zusammen. Sie glitt mir aus meinen Armen und sank auf den Fußboden. Mit der geballten Faust schlug sie wutentbrannt und schmerzerfüllt auf dessen ein. Dabei schrie sie „Wenn es angeblich einen Gott gibt, warum war er dann nicht für uns da und bestrafte uns so sehr? Was haben wir verbrochen?“ Sie stützte die Ellenbogen auf ihren Schoß und hielt die Handfläche vor ihr Gesicht. Sie weinte bitterlich. Wie versteinert stand ich daneben. So voller Schmerz hatte ich sie noch nie erlebt. Sie tat mir so leid und ich konnte nur tatenlos und hilflos zusehen. Ich kniete mich neben ihr auf den Boden und legte meinen Arm als Trost um sie, denn das war das Einzige, was mir einfiel, doch sie schubste mich zur Seite. Sie wehrte mich ab. „Lass mich!“, schrie sie. Eingeschüchtert blickte ich das vor mir sitzende Häufchen Elend an und wusste mir keinen Rat. Entsetzt und zugleich hilfesuchend sah ich zu Matthias, der jedoch nur mit dem Kopf schüttelte und mit einer Handbewegung deutete, ich solle mit am Esstisch Platz nehmen. Unsicher richtete ich mich auf und schlich stumm und nachdenklich zurück an die Kaffeetafel. Wenn jemand so einen Verlust nicht erleben oder den Schmerz spüren muss, kann derjenige zwar gute Ratschläge und Tipps geben, um über das Erlebte hinwegzukommen, sich aber nie so sehr in eine solche emotionale Lage hineinversetzen und mitfühlen. Jetzt war der Zeitpunkt gekommen, in welchem auch ich mir dies selbst eingestehen musste. Reden kann jeder und manche auch ganz schlau, aber mitfühlen, das ist eine in Anführungsstrichen „ganz andere Hausnummer“, bei der sich der Trauernde und der Ratschläge Gebende auf einer ganz anderen Ebene treffen. Vielleicht wollte es das Schicksal, dass wir die letzten Jahre nicht zueinander fanden und erst jetzt, wo ich schwanger war und eine schwerwiegende Entscheidung treffen musste beziehungsweise bereits traf, wir zueinanderfanden. Sollte mir der Anblick von Karina zu denken geben? Mich umstimmen? Noch bevor ich mich auf den Stuhl setzte, rettete Florian die Situation und meinte „Es ist bereits halb sechs durch wir müssen langsam den Heimweg antreten.“ „Ihr könnt aber auch gerne bei uns mit zu Abend essen“, unterbreitete Karina sofort das Angebot, als sie sich wieder beruhigt hatte und dabei aufrichtete. Dann trat sie ans Fenster und schaute mit leeren Blick hinaus. Abendbrot, das klang gut, denn meine Übelkeit war passé und ein flaues Gefühl machte sich in meinem Magen erneut breit. Etwas Essen, danach war mir. Bis es soweit war, war jedoch noch etwas Zeit und die beiden brauchten gewiss etwas Ruhe. Florian lenkte ein. „Nein, nein. Wir wollen euch keine Umstände bereiten“, legte er sein Veto ein. Ein anderes Mal gerne, aber so konnte die restliche Dauer unseres Besuchs zu einer Qual werden. Immerhin waren wir gekommen um zu erzählen, Spaß zu haben und zusammen zu lachen. So lange Karina noch am Fenster stand, gaben wir ihr die Zeit der Stille und widmeten unsere Aufmerksamkeit den Jungs. Sie spielten zusammen mit Johns Autorennbahn. Als ich ihnen mitteilte, dass wir bald nach Hause fahren, hielt sich deren Begeisterung in Grenzen und voller Eifer nutzten sie die wenig verbleibenden Minuten zum Spielen. Um die gekippte Stimmung in eine Bessere zu lenken, sprang Matthias von seinem Stuhl auf und lief erneut zum Kühlschrank, gefolgt von unseren Blicken. Es schien seine Lieblingsstrecke im Haus zu sein. Diesmal ließ er die Kühlschranktür geschlossen und starrte an die Seite des großen, weinroten Kühlers, an dem sich ein Familienkalender befand. Er stemmte seine Hände in die Taille und runzelte die Stirn. Ein „mmh“ raute durch den Raum, gefolgt von einem „tja“. Ein mehrmals aufeinander folgendes Kopfnicken später sagte Matthias mürrisch „Also die Wochenenden der nächsten zwei Monate sind bei uns bereits völlig ausgebucht. Wir könnten uns maximal werktags treffen, aber an einigen Tagen sehe ich auch verschiedene Einträge von Vorhaben und Anfang Juni bin ich zwei Wochen lang auswärts auf Montage. Ich denke, das nächste Treffen vereinbaren wir ganz spontan.“ „Das ist doch gar kein Problem. Wir haben uns so lange nicht gesehen, da müssen wir die nächste Verabredung nicht übers Knie brechen.“ „Das stimmt Conny, solange es nicht wieder fünf Jahre dauert.“ Wir drei schauten einander an und mussten wie auf Knopfdruck herzlich lachen. Jetzt gesellte sich auch Karina wieder zu uns und stieg umgehend in das Gelächter mit ein. Geht doch, Stimmung gerettet, Situation aufgelockert! Wir lachten so sehr, dass Karina und mir Freudentränen in die Augen schossen. Warum, das konnten wir nicht sagen, denn so amüsant war der Satz nicht, aber es platzte einfach so aus uns heraus. Der Schmerz sowie die Anspannung entwichen. Erleichterung hielt in unseren Gemütern Einzug. Es tat einfach gut und da brauche ich nicht zu erwähnen, dass sobald sich eine von uns gefangen hatte, wir uns nur einander ansehen mussten und das Gekicher fing von vorne an. Das Spiel ging so lange, bis meine drei Jungs zuerst nur horchten, dann aber zu mir kamen und besorgt fragten „Ist alles gut, Mama?“ Zur Beruhigung nickte ich, lachte und wischte mir die Tränen weg. Dann kniete ich mich zu ihnen und meinte „Mit eurer Mama ist alles gut.“ „Aber Mama, du weinst doch.“ „Ach Simon“, fing ich mich aus meinem Lachkrampf und versuchte meinen Söhnen den Unterschied zwischen den Tränen der Trauer und der der Freude zu erklären. Beide Varianten kamen in der letzten Stunde zum Tragen. Mit großen Kulleraugen und gespitzten Ohren lauschten sie mir gespannt, drehten sich nach Beendigung meiner Ausführung auf dem Absatz um und schenkten unbeeindruckt von dem Gesagten ihre Aufmerksamkeit Johns Autorennbahn. „Mmh, gut“, stammelte ich vor mich hin und sah zu Florian. „Nun sollten wir aber wirklich den Heimweg antreten. Es dauert noch ein Weilchen, bis alle im Auto sitzen und wir zu Hause mit gewaschenen Händen am gedeckten Abendbrottisch sitzen.“ Florian warf einen prüfenden Blick auf seine Armbanduhr und stimmte mir zu. „Immerhin ist es jetzt schon kurz vor achtzehn Uhr. Ich hole die Kinder.“ Umgehend trommelte er unsere Jungs zusammen und wie bei einem Appel standen sie in einer Reihe zum Jacke und Schuhe anziehen im Vorsaal bereit. Bei diesem Anblick staunten Matthias und Karina nicht schlecht und waren sichtlich beeindruckt, wie die Ansage von Florian befolgt wurde. Ich lachte. „Das funktioniert auch nur beim Papa.“ Ein Fakt. Oft gab es in der Vergangenheit Situationen, in welchen ich den Kindern irgendetwas befahl wie beispielsweise „putz bitte die Zähne“ und meine Jungs die Aufforderung völlig ignorierten. Kaum sprach mein Mann den gleichen Satz aus, fruchtete dies und dem wurde Gehör geschenkt. Selbst wenn Florian die Stimme hob oder lautstark in eine Streitsituation der Kinder ging, beruhigten sie sich sofort. Bei mir fruchtete dies nicht so gut. Egal, ob ich schrie, ganz ruhig und vernünftig mit wenigen Worten die Situation versuchte zu erklären und zu schlichten oder schweigend ein bis zwei der Drei aus dem Streit örtlich trennte, nichts hatte so eine Wirkung und so einen schnellen Erfolg wie eine Ansage

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