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Stockdunkel. Stefan Debus
Читать онлайн.Название Stockdunkel
Год выпуска 0
isbn 9783847651406
Автор произведения Stefan Debus
Жанр Сделай Сам
Издательство Bookwire
Obwohl ich mich jedes Mal ein bisschen wundere, weiß ich doch, dass das einfach ein Zeichen dafür ist, dass die meisten Sehenden Gefahren ganz anders einschätzen als ein Blinder, der alleine unterwegs ist und mit dem Stock dafür sorgt, dass er nicht über jedes Hindernis fällt.
Ich selbst würde das unbegleitete Unterwegssein draußen keinesfalls als halsbrecherisches Glücksspiel bezeichnen. Wäre dem so, gäbe es gewiss auch keinen krankenkassenfinanzierten, von zertifizierten Mobilitätstrainern durchgeführten Mobilitätsunterricht für Blinde. Dahinter steht die bewährte Ansicht: Man kann einen Blinden mit dem Blindenlangstock sehr wohl alleine „auf die Straße lassen“. Viele haben schon einmal einen blinden Menschen beobachtet, der mit seinem Stock erstaunlich geschickt durchs Getümmel flitzt. Dennoch verlangt das Ganze vom Betroffenen ein funktionierendes Gehör, einen stabilen Gleichgewichtssinn und darüber hinaus die Fähigkeit, Situationen und Risiken richtig einzuschätzen. Gerade Letzteres liegt innerhalb der eigenen Verantwortung. In diesem Sinne ist der Blinde, der sich draußen bewegt, immer für sich selbst verantwortlich, so wie jeder andere Verkehrsteilnehmer auch.
Die in diesem Handbuch auftauchenden Empfehlungen sind aus dem Anliegen heraus entstanden, nicht nur kräftesparend und geradlinig, sondern auch sicher zum Ziel zu gelangen. Die hier beschriebenen Verhaltensweisen haben sich in der Praxis vielfach bewährt. Dennoch setzt sich jeder Verkehrsteilnehmer prinzipiell einem Risiko aus, ein Restrisiko bleibt dabei immer bestehen.
Zweifellos erhöht ein guter Ausbildungsstand in Verbindung mit planvoller Sicherheit im eigenen Tun die Sicherheit eines Blinden im öffentlichen Raum erheblich und ich hoffe, dieses Handbuch wird auch ein Beitrag hierzu sein.
1. Zeit
Es ist wichtig, bevor man die Wohnung verlässt, genug Zeit für den avisierten Weg einzuplanen. Eigentlich ist das sogar die Voraussetzung für einen stressfreien, sicheren Weg. Wobei das Wort „eingeplant“ nicht nur zufällig das Wort „Plan“ beinhaltet: man sollte vorher einen konkreten Plan haben.
Bevor ich also einen Weg gehe, nehme ich mir kurz einen Augenblick Zeit und mache mir meinen Zeitplan bewusst. Dieser enthält zum Beispiel Zeiten für Fußwege sowie Straßenbahn-Fahrzeiten, jeweils mit einem zusätzlichen Zeitpuffer. So vermeide ich im Vorhinein, bei einem ungünstigen Verlauf einer oder mehrerer Dinge unter Zeitdruck zu geraten.
So gut wie immer habe ich die Erfahrung gemacht, dass Eilen unter Zeitdruck die Wahrscheinlichkeit für Fehler, Stolpern, Kollisionen und riskante Situationen stark erhöht und kaum den erhofften Effekt bringt, eher anzukommen. Es ist deswegen auch wenig ratsam, schon zu spät von zu Hause loszugehen. Lieber die nächste Bahn anpeilen und ein paar Minuten später aufbrechen.
Nicht zuletzt ist es auch für die Anderen, die außer uns ebenfalls unterwegs sind, unangenehm, plötzlich mit so einem hektischen „blinden Geschoss“ konfrontiert zu sein. Wir sind immer darauf angewiesen, dass die sehenden Passanten uns beachten und entweder ihren Weg entsprechend einrichten oder sich bemerkbar machen, und sie müssen dafür auch genug Zeit haben.
Falls man doch einmal zeitlich ins Hintertreffen gerät, ist es angesagt, sich mental strikt zu disziplinieren und zu sich zu sagen: „So, du bist jetzt spät dran und es kann sein, dass du zu spät kommst, aber: Es ist egal.“ Ein bewusstes innerliches Zurücklehnen ist jetzt nötig.
Um es zu veranschaulichen: Streicht der Personalchef, zu dessen Bewerbungsgespräch ich zu spät komme, mich deswegen aus der Bewerberliste, so ist bestimmt die Tätigkeit eintönig, anstrengend und unterbezahlt und das Kollegium beschissen. Und die Frau, mit der ich ein Date hatte und die entnervt wieder abgerückt ist, ist bestimmt extrem langweilig und hätte mich mit sinnlosem Gespräch gequält.
Oder andersrum: Ich werde superherzlich empfangen und mein Zu-spät-Kommen interessiert überhaupt niemanden. Tatsächlich ist der letztere Fall viel häufiger, nicht zuletzt deshalb, weil unsere sehenden Mitmenschen sich sowieso wundern, wie wir es alleine geschafft haben, bei ihnen anzukommen.
Deswegen gilt, soweit möglich: Als Blinde sollten wir unterwegs immer Zeit haben.
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