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der Reihe. Er wurde am 5. Mai 1916 in Cottbus als Sohn eines Prüfamtsmeisters geboren und lernte schon als Kind unterschiedliche soziale Verhältnisse und politische Standpunkte von hart links bis stramm rechts kennen. Sein Vater war ein überzeugter Sozialdemokrat, hielt zur Kirche, hatte sich aber in manchem eine eigene vom Verstand akzeptierbare Religion gebildet. Seine Mutter war fromm und kirchentreu und hielt sich in politischen Dingen zurück. Er wuchs in einem traditionell „roten“ Arbeiterbezirk mit hohem KPD-Stimmenanteil auf, spürte schon als Kind die soziale Kluft und lernte den Klassenhass kennen, spielte mit Arbeiter-, Kaufmanns-, Fabrikanten-, Russen- und Judenkindern , erlebte aber, dass dies manchen Eltern absolut nicht recht war. Gerhard Niemers Familie war keineswegs wohlhabend. In den Jahren nach dem 1. Weltkrieg wurde auch sie recht hart von den Auswirkungen der Inflation, der Wirtschaftskrise und Massenarbeitslosigkeit betroffen. Die „Goldenen 1920er Jahre“ gab es nach Bruder Niemers Meinung nur für reiche Kabarettbesucher. Für die große Masse brachten die Jahre bis 1933 überwiegend Armut und Unsicherheit. Dennoch war die Weimarer Republik in Gerhard Niemers Augen demokratischer als die Bundesrepublik Deutschland. Freiheit der Meinung bis zur Ablehnung und Bekämpfung des Staates war damals leichter möglich als heute, was denn auch zu harten Kämpfen und Straßenschlachten zwischen den extremen Parteien führte. In diesen Auseinandersetzungen spielte die Partei seines Vaters, die SPD, nach seinem Eindruck sowohl gegenüber den Nationalsozialisten wie Kommunisten eine schwache Rolle. Sie zeigte wenig Mut und Entschlossenheit zum Entgegentreten. Schon als Kind lernte Bruder Niemer erste Ansätze des Nationalsozialismus kennen. Zum Beispiel hingen in der Wohnung seines Schulkameraden Gardinen, in die Hakenkreuze eingewebt waren. Der Vater dieses Schulfreundes war Diakon und vorbildlicher Herbergsvater. Es waren „ausgesprochen nette und hilfsbereite Leute“. Ebenso hatte Bruder Niemer Zugang zu kommunistischen Familien.

      Seine Jugend verbrachte er in Schlesien und durchlief Anfang der 1930er Jahre eine kaufmännische Lehre in einem jüdischen Betrieb. Seine Jugend verbrachte er in Schlesien. 1932 begann Gerhard Niemer seine kaufmännische Lehre in einer Getreidegroßhandlung, die einer jüdischen Familie gehörte. Der Direktor der Aktiengesellschaft und zwei seiner Mitarbeiter waren Juden. Gerhard Niemer wählte diese Lehrstelle zum Verdruss seines Onkels, der ein Konkurrenzunternehmen besaß, weil er glaubte, in der jüdischen Firma mehr lernen zu können. Über einen Onkel, der Verbandsvorsteher des schlesischen Verbandes der Brüderschaft des Rauhen Hauses war, kam Gerhard zu dem Entschluss, Diakon des Rauhen Hauses werden zu wollen. Er bewarb sich im Rauhen Haus und musste bei Bruder Kohl in Görlitz eine Aufnahmeprüfung ablegen. Nachdem dieser ihm ausreichendes biblisches Wissen bescheinigt hatte, wurde er 1935 zur Diakonenausbildung im Rauhe Haus zugelassen. Damals befanden sich nur sehr wenige Brüder in der Ausbildung. Es galt zu der Zeit wegen der politischen und wirtschaftlichen Situation als „völliger Wahnsinn“, eine Diakonenausbildung zu beginnen. Er leistete seine beiden Praktika 1935 und 1936 in Bad Freienwalde und Breslau ab und schildert die Armut, unter der die Heimleiter litten: „Die Ämter zahlten für die Heimunterbringung eines Jungen monatlich 24 Reichsmark, für einen alten Menschen 42 Reichsmark als Pflegegeld. In den Altbauten der Heime in Breslau waren die Räume üblicherweise verwanzt (‚Grenzkrankheit’ genannt).“ Ein Brief an den Vorsteher des Rauhen Hauses, in dem Bruder Niemer die bedrückenden Verhältnisse schilderte, wurde nicht beantwortet. Gerhard Niemer musste 1936/37 zum Reichsarbeitsdienst. Die dort herrschende Atmosphäre erlebte er als angenehm, da er auf freundliche und idealistisch eingestellte Vorgesetzte und nette Kameraden traf. Ab Ostern 1937 nahm Bruder Niemer am Unterricht der Diakonen- und Wohlfahrtspflegerschule teil. Die Sympathie der Brüder zu den Deutschen Christen bzw. zur Bekennenden Kirche war damals geteilt. Die jüngeren Brüder, auch Bruder Niemer, hielten zur Bekennenden Kirche.

      Bald nach Kriegsbeginn wurde Bruder Niemer zum Militärdienst eingezogen. Wie viele andere Brüder musste er seine Ausbildung unterbrechen. Pastor Donndorf erreichte, dass er 1940 anlässlich eines Heimaturlaubs sein Wohlfahrtspflegerexamen ablegen durfte. 1941/42 versuchte Pastor Donndorf, den Diakon als lebenswichtigen Beruf anerkennen zu lassen. Es gelang ihm, dass die Brüder der D I, darunter Bruder Niemer, Heimaturlaub bekamen. Bruder Niemer wurde aber schon einen Tag später an die russische Front zurückbeordert, weil der Diakonenberuf nicht als lebenswichtig angesehen wurde. So konnte er seine Ausbildung erst nach dem Krieg und seiner Gefangenschaft in Russland, in die er 1944 geriet, im Jahre 1948 fortsetzen und das Diakonenexamen 1949 ablegen. (Einige Daten über Gerhard Niemer stammen aus der Studie „Brüderschaft und 3. Reich“.)

      Danach war er als Inspektor für die Finanz- und Büroverwaltung und für die Leitung des Altenheimes im Hause „Goldener Boden“ verantwortlich und trug wesentlich zum Wiederaufbau der Anstalt bei. Er war auch für die Krankenstube im Rauhen Haus und den Verlag Agentur des Rauhen Hauses, der damals noch am Jungfernstieg beim Gänsemarkt unter einem Dach mit der evangelischen Buchhandlung Tuchel (vor der NS-Zeit dem Rauhen Hause gehörend) residierte, zuständig.

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       Buchhandlung Tuchel und Verlag Agentur des Rauhen Hauses – Jungfernstieg – Gänsemarkt

      Unter Nieners Führung soll ich im ersten Ausbildungsjahr oft im Büro beschäftigt werden und in der Krankenstube als Gehilfe arbeiten. Ich werde ihn in seiner korrekten, menschlich offenen und ehrlichen Art bald sehr schätzen. Er kümmerte sich in den ersten Nachkriegsjahren persönlich um die jungen Brüder im Rauhen Haus, schrieb auch aufmunternde Briefe an sie in ihre Gehilfenstellung.

      Gerhard Niemer heirate später die 1926 geborene Gisela Kaiser, die in den 1950er Jahren Leiterin des Hauses Schönburg im Rauhen Haus war, die Schwester des früheren Bruders und Diakons und späteren Pastors Jürgen Kaiser. Sie hatten zusammen zwei Kinder. Ihren Ruhestand verbrachten Niemers in Holm-Seppensen in der Heide. Bruder Niemer verstarb im Februar 1991.

      Nach dem Laufzettel muss ich mich anschließend noch beim Vogt melden, der die Einteilung der manuellen Arbeiten im Anstaltsgelände zu erledigen hat. Das Amt wird von einem Diakonenschüler wahrgenommen, damals von Bruder Hans Niethammer. Zum Schluss muss ich noch zu Frau Rottländer, einer Kriegerwitwe aus Köslin in Pommern, die als Wirtschaftsleiterin den Bereich des kurze Zeit später eingeweihten Hauses „Bienenkorb“ mit Waschküche und Nähstube zu verantworten hat.

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       Haus „Bienenkorb“ mit Waschküche und Nähstube

      Auf dem Rüttelrost – das erste Jahr im Rauhen Haus

      Mir wird eine Unterkunft zusammen mit sieben weiteren Brüdern unter dem Dach im 4. Stock des Hauses „Goldener Boden“ zugewiesen. Ich nenne diese Bude scherzhaft „Massengrab“.

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      „Massengrab“ – 8-Betten-Zimmer

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       Haus „Goldener Boden“ um 1954 – Altenheim

      Mein erster Job ist der eines Trümmerjünglings. Die Kriegsfolgen sind 1954 in Hamburg noch allenthalben stark sichtbar, obwohl schon sehr viel wieder neu aufgebaut worden ist. In Hamburg-Hamm gibt es noch Nissenhütten, halbrunde Wellblechbaracken, als Notunterkünfte für Ausgebombte. Am Horner Weg, direkt neben dem Rauhen Hause, lagen bis kurz vor meinem Eintritt noch die Gleise der Trümmerbahn, die den Bauschutt an den Stadtrand befördert hatte.

      „Wie eine Insel des Friedens, so liegt das Rauhe Haus inmitten der Großstadt Hamburg. Im weiten Park rings um den Teich finden wir die Häuser, von alten Linden umgeben.

      So formuliert der damalige Prospekt der Diakonenanstalt des Rauhen Hauses.

      Das Rauhe Haus war bei einem Bombenangriff im Juli 1943 wenige Wochen nach der Räumung durch die Innere Mission von Brandbomben fast vollständig vernichtet worden.

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