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Semana Santa. Bernat Fabre
Читать онлайн.Название Semana Santa
Год выпуска 0
isbn 9783847645795
Автор произведения Bernat Fabre
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
„Abuela, Abuela, schau wer das ist! Montse ! Montse ist wieder da!
Montse ließ den Jungen an ausgestreckten Armen rotieren.
„Das ist Dani, mein Neffe“, erklärte sie mir ganz außer Atem.
„Und dann ist das sicher Deine Großmutter.“
Montse drehte sich um. Die Frau, die aus dem Haus getreten war und sich die Hände an einem Geschirrtuch abtrocknete, mochte sicher an die 80 Jahre sein. Trotz ihres Alters und der traditionellen schwarzen Tracht der Witwen hielt sie sich kerzengerade und ihre stolze Haltung ließ keinen Zweifel aufkommen, dass sie sich Respekt zu verschaffen wusste. Im Gegensatz zu Dani schien sich ihre Freude über die unverhoffte Wiederkehr der Enkelin in Grenzen zu halten.
„Ja, das ist meine Großmutter“ und der Unterton, mit dem Montse dies sagte, verriet, dass auch ihr bei diesem Familientreffen wohl nicht ganz wohl war. Ich hatte nicht vor, weitere Persönlichkeitsanalysen vorzunehmen und da ich zudem Abschiedsszenen hasse, sagte ich rasch:
„Tja, es scheint als würden sich unsere Wege hier wohl trennen.“
„Ja, das ist wohl so.“
„Sehen wir uns wieder?“
Montse lächelte mich an. Ich glaubte, ein bisschen Wehmut in ihrem Blick zu sehen. Ich hoffte es wenigstens.
„Nein, Jan, wohl nicht.“
„Hm. Du hast Recht. Versprich mir, dass Du in Havanna auf Dich aufpasst.“
„Versprochen“
Ich kramte aus meiner Jackentasche eine zerknitterte Visitenkarte hervor und gab sie ihr. Es war meine letzte.
„Hier. Ich bin noch eine Weile in der Gegend. Wenn Du Hilfe brauchst, ruf mich an. Die Nummer von meinem Movil steht ganz unten.“
„Klar, danke, das mache ich.“
Und wir wussten doch beide, dass sie es nicht tun würde. Wir gaben uns förmlich die Hand. Zwei Schiffe, die sich in der Nacht begegnet waren und jetzt jeder dem eigenen Kurs folgt. Nicht wie ein Mann und eine Frau, die noch vor wenigen Stunden zusammen um ihr Leben gerannt waren. Absurd. Ich wandte mich um und ging zum Wagen zurück. Gerade als ich die Tür öffnete und mich hinter das Steuer zwängen wollte, rief Montse:
„Jan!“
Ich drehte mich um und konnte gerade noch die Arme ausstrecken und sie auffangen. Es folgte der längste und intensivste Kuss meines Lebens.
„Danke. Danke für alles. Gott schütze Dich.“
Dann riss Montse sich von mir los, nahm Dani an die Hand und verschwand mit ihrer Großmutter im Haus, ohne sich noch einmal umzudrehen. Ich musste daran denken, dass der alte Mann derzeit mit anderen Dingen als meinem Schutz beschäftigt gewesen war, startete den Wagen und rollte mit knirschenden Reifen vom Hof. Ich schaffte es nicht einmal bis Garriguella, dann musste ich den Wagen anhalten und heulte wie ein Schlosshund.
FÜNF
Auch wenn der Tag schon den verlockenden Duft des Frühlings trug und die Sonne sich alle Mühe gab: meinen Blues konnte das nicht vertreiben. Da hatte ich mit meinem Leben abgeschlossen und begegne auf den letzten Metern meiner Traumfrau unter kinoreifen Bedingungen. Und nun war sie weg. Die Regie in meinem Leben war nur etwas für ausgeprägte Masochisten.
Ich holte das Quad aus der Garage und bretterte durch die Berge, um in einer kleinen abgeschiedenen Bucht nackt schwimmen zu gehen. Eigentlich mache ich mir nichts aus Freikörperkultur, aber das gehörte noch zu den Dingen auf meiner Liste, die ich noch nicht versucht hatte, also wollte ich es abhaken. Die Sonne schickte sich an in den Pyrenäen zu versinken und das Wasser hatte sich als eiskalt erwiesen, als ich völlig durchgefroren von meinem blödsinnigen Experiment zurückkehrte. Ich erwog, gegen den Schmerz in meiner Magengegend eine weitere Malaaxil einzuwerfen und entschied mich dagegen. Stattdessen tat ich etwas, dass ich fast ein halbes Jahr nicht mehr getan hatte: ich schnürte meine Laufschuhe, fuhr zum Strand hinunter und trabte in der Dämmerung eine halbe Stunde an der Wasserkante entlang. Längst waren die violetten und purpurnen Schatten auf dem Canigó verschwunden und hatten den Berg und die angrenzenden Gipfel an die Dunkelheit abgegeben, als ich ziemlich kaputt, aber immerhin etwas ruhiger nach Hause zurückkehrte. Der Elektroofen verbreitete eine angenehme Wärme und nach einer ausgiebigen Dusche schwang ich mich in eine ausgefranste Jeans und ein bequemes Poloshirt. Da ich keine Lust verspürte, das Haus noch einmal zu verlassen, öffnete ich eine weitere Flasche Prado Rey und legte die Jazz Samba von Stan Getz und Tom Jobim auf. Die Entscheidung für Omelette mit Schinken oder Pizza fiel zugunsten der italienischen Spezialität aus. Ich hatte gerade das Handy aus meinem Rucksack gepult und ging in Gedanken die Liste der zwingend erforderlichen Bestandteile durch, die ich beim ortsansässigen Pizzaschmied zu ordern gedachte, als das Telefon auch schon von selbst nervös zu vibrieren begann.
Ein Anruf, der mein Leben komplett auf den Kopf stellen sollte.
„Jan, bist Du das?“
„Montse ?!?“ Ich konnte nur stammeln, denn damit hatte ich wirklich nicht gerechnet. Steine fliegen nach oben, die Erde ist doch eine Scheibe – alles in Ordnung, aber Montse ruft mich an? Hatte sie ihre Pläne geändert? Wollte sie Fidel Castro gegen Jan Castro eintauschen? Stand ein ETA-Terrorist neben ihr und hielt ihr eine Kanone Kaliber 32 an die Schläfe? In diesem Moment schossen mir eintausend Gedanken durch den Kopf.
„Jan, es tut mir leid. Ich brauche Deine Hilfe. Jetzt. Bitte komm sofort. Und nimm den Hummer – es geht um Leben und Tod.“
Spontane Auffassungsgabe und rationales Verhalten unter Stress gehört üblicherweise nicht zu den Charakterzügen, die mir spontan einfallen, wenn ich mich beschreiben sollte. In diesem Fall antwortete ich jedoch nur:
„In 25 Minuten bin ich da.“
Ich schaffte es in 20 Minuten, wobei ich vermutlich alle bisherigen Geschwindigkeitsrekorde auf dieser Strecke eingestellt hatte – freilich unter vollständiger Missachtung jeder, aber auch wirklich jeder Verkehrsregel. Kurz: ich fuhr nicht nur wie eine Sau – ich war eine. Ich beschleunigte den H3 auf der graden Strecke bis auf 200 km/h und die Ausweichmanöver, zu den mich der gottlob spärliche Gegenverkehr nötigte, hätten auch einem Formel-1-Fahrer Ehre gemacht. Als ich auf den Hof schoss, zeigte die Uhr 21.15 an. Die Tür stand offen, Montse lief auf den Wagen zu, als sei endlich der Messias erschienen. Ich sprang aus dem Hummer und ließ vor Aufregung die Schlüssel stecken. Meine Empfindungen schwankten zwischen unheimlicher Freude, sie wieder zu sehen und Sorge. Dass Ihr Anruf nicht aus Sehnsucht nach mir erfolgt war, daran gab es keinen Zweifel. Die verlaufene Wimperntusche hatte schwarze Rennstrecken auf ihre Wangen gezeichnet und die Augen waren voller Tränen. Montse war ganz offensichtlich nur einen Windhauch von einem Nervenzusammenbruch entfernt. Drinnen hörte ich ihre Großmutter schluchzen.
„Was ist passiert“ rief ich. Sie sagte nur ein Wort: Dani. Ich wartete erst gar keine näheren Erklärungen ab, sondern nahm sie bei der Hand und spurtete mit ihr ins Haus. Der Junge lag auf einer improvisierten Couch, der Oberkörper entblößt. Seine kleine Brust hob und senkte sich unregelmäßig. Montses Großmutter kühlte seine Stirn mit einem Lappen. Sanft schob ich sie zur Seite und ließ mich neben ihn nieder. Der Junge fieberte stark und hatte das Bewusstsein verloren. Der Puls war flach und kaum zu spüren. Wahrscheinlich war der Blutdruck auch stark abgefallen. Vorsichtig hob ich ein Augenlid an und konnte nur das Weiße sehen. Dani war ins Koma gefallen. Während meiner Militärdienstzeit hatte ich eine Ausbildung als Sanitäter gemacht und im Laufe meiner Auslandsreportagen auch einige Male mit Schwerverletzten zu tun gehabt. Zwei Sachen waren mir sofort klar: der Junge stand am Rande des Todes und die Sache war für mich mehrere Nummern zu groß.
„Dani war heute Nachmittag spielen und abends wurde ihm auf einmal schwindlig. Dann bekam er Fieber“ berichtete Montse mit tränenerstickter Stimme. „Dann ist er bewusstlos geworden und jetzt … jetzt atmet er nicht mehr richtig. Jan, was sollen wir tun? Dani stirbt!“
Das