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zu passen, einen derart durchdringenden Lärm erzeugen konnte.

      Herb trommelte mit der flachen Hand auf sein Ohr. Auch wenn das natürlich in keiner Weise half, er tat es trotzdem, immer wieder. Dabei plärrte er sich in einen tranceartigen Zustand. Er war dabei, den Verstand zu verlieren.

      Plötzlich durchfuhr ihn ein besonders heftiger Schmerz. Der Eindringling hatte damit begonnen, sein Trommelfell zu durchtrennen. Mit scharfen Gliedmaßen, die er zum Zerteilen seiner Insektenbeute benutzte, oder mit furchterregenden Kauwerkzeugen, mit denen er sie einspeichelte und halb vorverdaut durch seinen Insektenschlund würgte. Es tat höllisch weh. Tränen schossen Herb in die Augen. Es war genug. Er konnte nicht mehr und er wollte nicht mehr.

      Er rannte in die Küche und wühlte hektisch in der Besteckschublade nach einer geeigneten Waffe. Er griff sich die offene Packung mit den 100 Schaschlikspießen für gesellige Grillabende und streute die dünnen Holzstäbe auf den Küchentisch. Er nahm einen Spieß, umklammerte ihn fest in seiner Faust und verfehlte den Gehörgang beim ersten Versuch nur knapp. Er stach sich dabei eine unangenehme Wunde in das Ohrläppchen, die aussah, als hätte er sich mit brachialer Gewalt ein Loch für einen größeren Ohrschmuck piercen wollen. Verzweifelt versuchte er seine zittrige Hand so weit zu kontrollieren, dass er den Spieß in seinen Gehörgang einführen konnte, und begann dann wild darin herumzustochern. Immer wieder zog er das Holz heraus und stach erneut zu. Er würde seinen Peiniger aufspießen. Koste es, was es wolle.

      Im nächsten Moment verlor er das Bewusstsein. Seine Beine gaben nach und sein Körper sackte zusammen. Kein Muskel hatte noch die Kraft, gegen die Ohnmacht Widerstand zu leisten. Er hatte sich noch am Duschvorhang seiner Sitzbadewanne festzuhalten versucht und, als er zusammenklappte, das Plastik mitgerissen. So saß Herb in seiner kleinen Küche. An die Wanne gelehnt und von Kopf bis Hüfte in die geschmacklos gemusterte Plane gehüllt. Ein Wunder, dass er an diesem Geburtstagsmorgen darunter nicht erstickte.

      02

      »Janis!«, rief sie laut. »Ich bin ganz sicher. Ich heiße Janis!« Wenn man die unerfreuliche Lage bedachte, in der sie sich befand, schwang doch ein erstaunliches Maß Selbstbewusstsein und Überzeugung in ihrer Stimme mit. Es war schon beängstigend und irgendwie auch seltsam, so absolut gar nichts von sich zu wissen. Keine Erinnerung an Mutter oder Vater, nicht an bessere Zeiten oder eine unbeschwerte Kindheit. Einfach nichts. Da war die Gewissheit, seinen Namen zu kennen, wie eine rettende Insel, an deren Ufer man sich vor den tausend unbeantworteten Fragen in Sicherheit bringt, weil sie einem sonst häppchenweise das Hirn aufgefressen hätten wie ein Schwarm Piranhas.

      Janis hob ihren Kopf ein wenig an, sodass sie sich umsehen konnte. Jemand musste sie betäubt und entführt haben. Sie lag in einem alten Krankenhausbett, an Hand- und Fußgelenken an die Gitterstäbe gefesselt. Rost verdrängte zusehends die letzten schon vergilbten Reste weißen Lackes, mit dem man die Betten früher gestrichen hatte – wohl wegen der vermuteten positiven Wirkung dieser Farbe auf den Heilungsprozess. Zeit und Feuchtigkeit hatten dem Metall jedoch stark zugesetzt. In diesem Zustand rief es einem eher die unausweichliche Gewissheit von Vergänglichkeit und Verfall ins Bewusstsein. Quietschender, ausgeleierter Maschendraht schnitt sich schmerzhaft in ihren Rücken. Auf die Bequemlichkeit einer Matratze hatte man in ihrem Fall keinen Wert gelegt. Und doch: Auf dem kleinen Nachttisch neben dem Bett stand – als hätte sie gerade eben jemand dort abgestellt – eine kleine Vase mit frischem, gelb blühendem Johanniskraut. Welch seltsamer Kontrast.

      Sie gab sich Mühe, wenigstens eine weitere verschollene Erinnerung wiederzufinden. Von dieser einen würde sie sich zur nächsten weiterarbeiten und von da zur übernächsten, bis sich daraus vielleicht einmal ein schlüssiges Bild zusammensetzen ließe.

      Doch da war nichts. Sie wusste nicht, wer sie war, woher sie gekommen war und noch weniger, wer oder was sie hierher gebracht hatte. Alles, was ihr in den Sinn kam, war dieser bizarre Albtraum, aus dem sie soeben aufgewacht war.

      Der Tunnel. Die Flucht vor furchterregenden, fleischigen Würmern, die sie immer weiter in diesen finsteren Gang jagten, aus dem sie eigentlich zu entfliehen versuchte. Fluten, die sie darin zu ersäufen und tödliche Waffen, die sie aufzuspießen drohten. Plötzlich ein Abgrund, in den Janis stürzte und schließlich hier als Gefangene wieder zu sich kam. Bruchstücke ohne irgendeinen Sinn. Und da waren auch noch die drei alten Frauen, die, bis auf ihre bleichen faltigen Gesichter ganz in Schwarz verhüllt, fremdartige Formeln sangen. In einem Stakkato, wie es sonst nur noch bezahlte Klageweiber bei Beerdigungen in ländlichen Regionen taten.

       »In nova fert animus mutatas dicere formas corpora.

       In nova fert animus mutatas dicere formas corpora«*

      Vielleicht war dieses Gefängnis ja nur Teil eines weiteren verrückten Traumes. Vielleicht war sie in einer bösen Albtraum-Dauerschleife gefangen. Janis hoffte auf ein Geräusch aus der realen Welt, etwas, das sie wecken und nach Hause bringen würde.

      Sie ließ den Kopf zurücksinken und starrte nach oben. Es waren wohl in etwa drei Meter, schätzte sie, bis zu der altersschwachen Glühlampe, die ein paar flackernde Lichtstrahlen in die Dunkelheit streute. Die spärliche Beleuchtung ließ die schmutzig grauen Wände um sie herum noch trostloser wirken. Kein Fenster. Nur Betonplatten, deren Ende in der schwarzen Leere des Raumes nicht auszumachen war und an deren Fugen langsam und lautlos Wasser herunterlief.

      Janis versuchte sich zu bewegen. Die ledernen Gurte, mit denen man sie an das Bett gebunden hatte, ließen dafür nur wenig Spielraum. Nicht genug, um sich an der Nase zu kratzen, wenn sie juckte. Die Beine konnte sie ein wenig anwinkeln und sich sogar etwas auf die Seite drehen. Von der Hüfte abwärts wenigstens. Sie zerrte an den Fesseln, aber das Material wollte keinen Millimeter nachgeben. Janis fühlte Wut in sich aufsteigen und begann zu schreien. So laut sie konnte brüllte sie in das Dunkel des scheinbar endlos hohen Raumes hinauf und rüttelte heftig an den Riemen. Sie schrie um Hilfe, fluchte und verwünschte ihre Peiniger und fuhr erschrocken zusammen, als eine Klappe in der Wand mit einem lauten metallischen Geräusch geöffnet wurde.

      »Still jetzt!«, herrschte sie eine Männerstimme an. »Still, sonst muss ich dir dein Maul stopfen!«

      Janis drehte ihren Kopf zur Stimme. Sie starrte zur Öffnung in der Tür und wurde ihrerseits von einem Augenpaar angestarrt. Ein Augenblick seltsamer Stille. Bevor Janis geeignete Worte fand, die sie an den Fremden hätte richten können, wurde die Klappe wieder geschlossen. Es war zu spät. Ihre Fragen und Bitten prallten von der Wand zurück und verloren sich irgendwo in der düsteren Zelle.

       * aus: OVID, Metamorphosen I, 1-4 In neue Körper verwandelte Gestalten zu besingen, treibt mich mein Sinn […]

      03

      Herb kam unter seiner Plastikplane langsam wieder zu sich. Er lehnte noch immer an der Sitzbadewanne und hielt den blutigen, dünnen Holzspieß in der Hand. Besorgt betastete er sein verletztes Ohr. Die Schmerzen waren nun stärker. Aber sie störten ihn nicht. Statt des Gekrächzes des Käfers war sein Kopf nun mit allerlei Pfeiftönen erfüllt. Als spielte jemand Toccata und Fuge von Bach auf seiner inneren Orgel. War das wirklich nötig?

      Alles in allem fühlte er sich aber besser. Nein, eigentlich fühlte sich Herb erstaunlich gut. So gut wie man sich fühlt, wenn man nach einer in Schweiß getränkten Fiebernacht morgens aufwacht und erleichtert eine deutliche Besserung feststellt. Gleich meint man sich stark genug, Bäume auszureißen, springt aus dem Bett und wird, ehe man es bis zur Kaffeemaschine geschafft hat, von einem Schwächeanfall wieder zu Boden gestreckt.

      Er schätzte, dass vielleicht etwa eine Stunde vergangen war, seit die Dinge diesen bedrohlichen Verlauf genommen hatten, vielleicht weniger. Herb rappelte sich langsam auf, ging hinüber zum Schrank und besah sein Gesicht im Spiegel. Grau kam es ihm heute vor und etwas unscharf, aber das lag vielleicht an dem Schwindelgefühl. Schließlich war er soeben aus einer Bewusstlosigkeit erwacht. Da war eine gewisse Unschärfe in der Wahrnehmung nichts, worüber man sich wundern musste. Er versuchte sich die letzten Ereignisse noch

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