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ihrem Sessel zusammenfuhr.

      »ES HAT DIE BARRIERE DURCHBROCHEN! ES HAT DIE GRENZE ÜBERSCHRITTEN! SO ETWAS DARF NICHT SEIN! DAS IST NICHT VORGESEHEN! Da ist sein Wille zweitrangig. Es ist, wie es bei uns so schön heißt, ein UES, ein unerwünscht eingewandertes Subjekt. Das erste, soweit ich mich erinnern kann, und das letzte, soweit es in meiner Macht steht, die Wiederholung eines solchen unerhörten Falles zu verhindern. Solange ich, Roderich Richter …«, er nahm das Messingschild, in das sein Titel und Name eingraviert war, vom Schreibtisch und fuchtelte damit vor Janis’ Nase herum. »… so lange ich in dieser Stadt das ehrenwerte Amt des Richters innehabe, der über den Dingen stehend, unparteiisch für Gerechtigkeit sorgt, solange ich hier zu entscheiden habe, wird so etwas kein zweites Mal vorfallen!«

      »Ich würde ja gerne zurückgehen, wenn ich denn nur wüsste, wo das ist! Meine Erinnerungen sind völlig ausgelöscht.«

      »JA, WAS DENKT ES SICH EIGENTLICH? Hier kann es nicht einfach rein und raus spazieren, wie es ihm gefällt. Hierher einzudringen muss Konsequenzen haben. Ernste Konsequenzen.« Nun wandte er sich an die Wachen.

      »Davor hat die Partei immer gewarnt. Niemand wollte es glauben, aber genau davor hat die Partei und allen voran unser Parteiführer Zuchtwerker immer und immer wieder gewarnt. Wenn einmal die Barriere von Fremden durchbrochen ist, dann wird das eine Überflutung nach sich ziehen und unsere Welt das nicht überstehen, wenn wir uns nicht vehement dagegen zur Wehr setzen. Lassen wir nur eine rein, dann werden sie alle kommen. Das können wir uns nicht leisten. Daher dürfen wir in diesem Fall nicht weich werden.« Er war in der Zwischenzeit aufgestanden und hatte, um seinen Worten noch mehr Gewicht zu verleihen, begonnen, wild mit den Armen zu gestikulieren.

      »Bringt dieses Subjekt zurück in seine Zelle!«, befahl er. »Dort wird es warten, bis wir eine Entscheidung gefällt haben. Ich habe genug von ihm. Ich werde mich mit dem Parteiführer beraten. Die Befragung ist beendet. Mehr will ich gar nicht wissen!«

      07

      Landauers Designercouch war zwar schön, sofern man italienisches Möbeldesign mag, aber wie so oft bei schönen Dingen hatte der Künstler auf profane Ansprüche wie Bequemlichkeit keinen besonderen Wert gelegt. Konnte ja keiner vorausahnen, dass sich darauf dereinst ein Banause von seinem klassischen Epi erholen musste. Endlich erwachte Herb aus seiner Bewusstlosigkeit. Sein Körper fühlte sich an, als wäre eine Herde Bisons auf der Flucht vor Buffalo Bill über ihn drübergaloppiert. Er versuchte die Augenlider zu heben. Selbst das tat weh.

      »Hast du mich so zugerichtet?«, flüsterte er schwach und spuckte dabei den Beißgummi aus. Es schien ihm logisch, dass Landauers Gorilla für das schmerzhafte Meer aus blauen Flecken verantwortlich sein musste. Er war riesig. Er war gefährlich. Er war brutal. Und er war das Erste, was Herb zu sehen bekam, nachdem sein Verstand endlich wieder aus seinem Versteck gekrochen kam. Hätte das Schicksal es nur einmal gut mit ihm gemeint, ihm für einen winzigen Moment etwas gegönnt, dann wäre er mit dem Gesicht zur Champagner-Lady aufgewacht.

      »Was hab ich dir getan?«

      Der Leibwächter saß regungslos auf einem Plastikstuhl.

      »Du hattest eine Art Anfall. Zuckungen. Hoffentlich nichts Ansteckendes. Ich würde dich ja rausschmeißen, aber weiß der Teufel, der Chef meinte, ich soll auf dich achtgeben. Er findet, du wärst irgendwie wertvoll. Ich verstehe das nicht. Wenn du mich fragst, bist du nicht mehr als Fliegendreck an der Wand.«

      »Danke, aber ich kann auf mich selber aufpassen. Der Fliegendreck würde jetzt gerne gehen, wenn es recht ist. Ich denke, ein echtes Bett würde meiner Genesung förderlicher sein.« Herb machte Anstalten, sich aufzurichten.

      »Nein, du bleibst.« Es war nicht notwendig, sich aus dem Stuhl zu erheben und Herb am Aufstehen zu hindern. Das besorgten die Hämatome. Leise stöhnend gab er sich geschlagen.

      »Na gut», hauchte er, »wenn der Landauer meint, dass ich wertvoll bin, will ich ihm den Spaß nicht verderben.«

      Eine Zeitlang starrten die beiden vor sich hin, ohne etwas zu sagen.

      »Wie heißt du eigentlich?« Herb versuchte, die Zeit mit einer kleinen Konversation in den Griff zu bekommen. Der Leibwächter dachte lange über die Frage nach. Vielleicht hatte er seinen echten Namen bereits vergessen, weil er so viele nette Kosenamen gewohnt war. Riesenbaby, Gorilla, Troll. Irgendwann, als es noch nicht absehbar war, was aus ihm werden würde, saugte wohl sogar er an der Brust einer liebenden Mutter. Und noch voller guter Hoffnungen für seine Zukunft, hatte ihm diese sicher auch einen netten Namen verpasst. Einen, der ihn in ein gutes, erfolgreiches Leben führen und sie einmal stolz machen würde.

      »Fred.« Es klang unsicher. Als erwartete er, dafür verspottet zu werden.

      »Hm. Fred, also.« Herb hatte seiner Frage mehr zugetraut, aber eine echte Unterhaltung kam nicht zustande. Die beiden Männer wussten sich nichts weiter zu sagen.

      Herb machte sich an den Versuch, die im Anfall verloren gegangenen Gedächtnisprotokolle wiederzufinden. Es ist ja nicht so, dass man während einer Bewusstlosigkeit nichts erlebt. Doch sosehr Herb sich bemühte, sosehr er auch sein Hirn verkrampfte, es kam nichts. Nichts, außer einem leisen Quietschen und Röcheln. Herb fürchtete um seinen Verstand. Es musste schlimm um ihn stehen, wenn er so seltsame Geräusche produzierte. Wie sich aber herausstellte, kam das Quietschen und Röcheln vom Landauer, der gerade unter erheblichen Schwierigkeiten versuchte, seine Behelfslungen ins Büro zu ziehen.

      »Hilf mir doch!«, herrschte der Landauer Fred an. Der Karren war mit einem Rad an einem Hindernis hängen geblieben und die Versuche, sich davon zu befreien, hatten seine Kräfte schnell aufgebraucht. Der Gorilla nahm artig das widerspenstige Atemgerät und führte seinen Chef zum Schreibtisch. Es dauerte eine kleine Ewigkeit, weil der kranke Mann kürzere Schritte machte als eine Geisha, er aber nach jedem einzelnen einen ausgedehnten Erholungsurlaub benötigte, ehe der nächste Zentimeter in Angriff genommen werden konnte. Fred stand ihm dabei geduldig zur Seite wie eine überdimensionale Krankenschwester. Vermutlich rechnete er seine Dienste nach Stunden ab. Der Landauer ließ sich mit einem tiefen Seufzer in den Ohrensessel fallen. Er nahm an die tausend gurgelnde Züge aus der Plastikmaske, ehe er endlich wieder sprechen konnte.

      »Was weißt du von Bá-e-Yaan?« Er verschwendete keine wertvolle Luft mit langen Einleitungen und kam gleich zur Sache.

      »Was weiß ich wovon? Bá-e … was?«

      »…Yaan!«, ergänzte der Landauer, »Bá-e-Yaan! Du hast dieses Wort während deines Anfalls mehrmals gesagt. Ich möchte von dir hören, was du darüber weißt?«

      »Ich habe keine Ahnung, wovon du sprichst. Wenn du nach Bayern willst, empfehle ich den Zug nach München.«

      Der Landauer quälte sich ein Lächeln in sein Gesicht.

      »Willst du es lieber ihm sagen?« Er deutete auf Fred.

      »Landauer, ehrlich, ich habe nicht die leiseste Idee, wovon du sprichst. Ich kann mich an nichts mehr erinnern, seit ich bei deinem Riesen um einen Kredit angefragt habe. Weil ich dachte, ich hätte heute einmal ein wenig Glück. Nur ein klein wenig Glück. Aber da bin ich wohl einem bedauerlichen Irrtum aufgesessen, wie man unschwer sehen kann.«

      Der Landauer überlegte. Und während er überlegte, rasselte jeder seiner Atemzüge in den Schläuchen. Er beobachtete Herb. Er konnte Augen lesen. Andere können Lippen lesen. Landauer las von den Augen ab, ob einer log oder ob er etwas wusste. Wie der Gasmann vom Zähler. Wen er beim Lügen erwischte, dem schickte er Fred auf einen Hausbesuch vorbei, um die Nachzahlung einzuheben.

      Die Augenuntersuchung machte Herb nervös. Der Landauer sagte nichts. Fred stand mit verschränkten Armen regungslos an seiner Seite. Er konnte jederzeit zuschlagen. Unangenehm. Ständig die Drohung im Nacken, dass man jeden Moment etwas aus dir herausprügeln wird, wovon du eigentlich keine Ahnung hast. Wo soll das hinführen? Wem nutzt das? Und dann die Unsicherheit. Schaust du ihm dabei selbstbewusst in die Augen, weil das überzeugender wirkt? Oder weichst du seinen Blicken besser aus, weil du zeigen willst, dass du schwach bist und Angst hast und er daher

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