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Doktor Robert. Markus Vieten
Читать онлайн.Название Doktor Robert
Год выпуска 0
isbn 9783742782335
Автор произведения Markus Vieten
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
„Kai?“
„Mittelgroß, ewig unrasiert, dunkel und schon früh graue Haare, Brille....“
„Ja, ich seh´ ihn vor mir. – Dann war es also richtig, dass Du Dich um den Mann unter der Brücke gekümmert hast“, stellte Ann fest. Lucas schaute etwas irritiert. „Du hast ihm das Leben gerettet, oder?“
„Ja, kann sein. Wenn er tatsächlich eine Hirnblutung hatte...“
Ann nickte sich selbst zu, als habe sie endlich die Antwort auf eine ungeklärte Frage erhalten. Die Mahlzeiten wurden gebracht und sie begannen zu essen.
„Das habe ich immer an Dir bewundert: Du nimmst deinen Job wirklich ernst.“
Ja, todernst. Lucas wusste nicht so recht, was er sagen sollte. Wo war der Haken?
„Arbeitest du immer noch so viel?“
„Tja, weißt du, ich bin mit der Praxis zwar selbstständig, aber ich kann es mir eigentlich nicht aussuchen. Wenn die Sprechstunde voll ist, kann ich die Patienten nicht wieder nach Hause schicken. Und dann die ganzen Hausbesuche...“
Lucas legte das Besteck zur Seite und fuhr sich wie um Erfrischung bemüht mit einer Hand durchs Haar. „Aber ich bin froh, nicht mehr in der Klinik zu sein.“
„Kann ich mir vorstellen. Die vielen Dienste, die Schwerkranken und dann die Leute, die nur noch zum Sterben dort sind und lange leiden müssen, weil es wieder eine neue Maschine gibt.“
Ein Klischee jagte das nächste, aber Lucas spielte mit. „Ja, so ist es“, sagte er, während sich der Knoblauchgeschmack langsam in seinem Mund ausbreitete.
„Ich möchte so nicht enden.“
„Das möchte niemand.“
„Man sollte die Menschen nach Hause schicken, wenn es keine Hilfe mehr gibt. Da können sie dann friedlich bei ihren Angehörigen sterben.“
„Naja, das ist nicht immer so einfach. Der Körper hat die Angewohnheit, sich mit allen Mitteln gegen den Tod zu wehren. Sanft und friedlich einzuschlafen, ist doch eher die Ausnahme.“
„Aber man kann doch die Maschinen weglassen. Warum müssen die Ärzte denn immer alle Mittel ausschöpfen, statt zu sagen: Jetzt ist es genug, mehr ist nicht sinnvoll.“
„Das wird auch gemacht. Man nennt das passive Sterbehilfe.“
Überraschend schaltete Tim sich ein. „Irgend etwas wird weggelassen. Aber wenn ein Patient unbedingt sterben will? Was ist dann?“ Das Thema schien ihn zu interessieren, er ließ seine Fritten kalt werden.
„Das ist schwierig. Er kann natürlich eine Depression haben, die ihn zu diesem Wunsch gebracht hat. Aber die könnte man wiederum behandeln. Danach will er vielleicht weiterleben.“
„Und wenn jemand weiß, er hat nur noch kurze Zeit zu leben, aber noch keine Beatmungsgeräte und so etwas benötigt, was man weglassen könnte, und er bittet um eine Überdosis von irgendwas Tödlichem?“
„Dann wird es schwierig. Aktive Sterbehilfe ist bei uns nämlich verboten. Ein Arzt kann dann schnell seine Approbation verlieren, das heißt, er dürfte dann nicht mehr als Arzt arbeiten.“
„Aber es wird doch trotzdem gemacht…?“
Lucas fühlte sich zunehmend unbehaglich. Warum gerade dieses Thema!?
„Da gehört sicher eine Menge Mut zu und Verantwortungsbewusstsein, oder? Wenn man dem Patienten über Jahre geholfen hat, wäre das doch gewissermaßen ein allerletzter Dienst“, ergänzte Ann.
Was sollte er sagen, wenn sie ihn direkt fragte?
„Hat dich schon mal jemand darum gebeten?“
Schon passiert.
„Hmm, nun ja, ist schon mal vorgekommen.“
„Und? Was hast du gemacht“, fragte Ann, die jetzt an seinen Lippen klebte, was Lucas gefiel.
Mit jeder Sekunde, die verging, wurde eine Antwort überflüssiger.
„Hast du... Wer... Erzähl!“ Ann war total aufgedreht. Ihre Gabel hatte sie zur Seite gelegt. Lucas Kalamares neigten sich dem Ende zu. Früher hatten sie besser geschmeckt. Er spürte, wie sich Knoblauch in seinen Nasen-, Kiefer- und Stirnhöhlen ausbreitete.
„Es war nicht so, wie Du vielleicht denkst... Ich möchte nicht darüber sprechen.“
Er wischte sich mit einer Serviette den Mund ab.
„Bist du denn dann ein Mörder, Dad?“, fragte Tim.
„Nein“, sagte Ann und strich ihm über den Kopf, „Im Gegenteil, dein Vater ist ein sehr mutiger Mann, auf den du stolz sein kannst.“
Ann lächelte Lucas an. Jetzt war er sogar wieder Tims Vater! Lucas wollte nicht darüber nachdenken, wie schnell sich so etwas bei Ann ändern konnte.
„Und wie läuft es mit Pia und eurer Tochter?“
„Danke, gut. Lena pubertiert ja auch. Schwieriges Alter. Langsam wird sie flügge. Aber ich glaube, es ist ok. Sie ist noch nicht schwanger, nimmt keine Drogen, soweit ich weiß, und in einer Mädchen-Gang ist sie wohl auch nicht. Sie hängt viel am Smartphone, wie alle Kids, aber wir haben einen ganz guten Draht.“
Das sagte sich alles so leicht daher. In Wahrheit hatte kaum etwas sein Leben so beeinflusst, wie sein Sohn, der nicht bei ihm lebte, und seine Tochter, die er erst angenommen hatte, als sie schon eingeschult wurde. Auch wenn er gerne alt werden würde, war ihm, seit die beiden in sein Leben getreten waren, klar, dass er sein eigenes Leben ohne zu zögern für ihres geben würde.
Tim hatte sich wieder ausgeklinkt und tippte wie auf Stichwort jetzt wieder auf seinem Smartphone herum.
„Und bei dir?“, fragte Lucas, um das Gespräch zu drehen.
„Uns geht es prima. Ich hab´ wieder angefangen zu arbeiten. Öffentlichkeitsarbeit für die Stadt. Tim ist tagsüber auch immer seltener zu Hause. Hans kommt meist sehr spät. Eigentlich ist es fast wieder wie früher, bevor Tim da war.“
Eine Weile schwiegen sie beide. Wenn er wollte, konnte Lucas das ganze Gespräch so deuten, als versuche Ann, sich ihm wieder anzunähern. Dann sagte sie: „Stellst du dir eigentlich manchmal vor, wie es heute mit uns sein könnte?“
Er zögerte zu antworten, aber das kleine Machtspielchen reizte ihn auch.
„Ja, manchmal schon“, sagte Lucas.
„Tatsächlich!? Mir ist das noch nie in den Sinn gekommen. Das ist alles schon so lange her...“, sagte Ann und schaute auf die Uhr.
Sie manipuliert ihn immer noch, so wie alle Menschen. Zuerst locken, dann abstoßen, aber das Essen war gut. In Wahrheit glaubte Lucas nicht, dass es mit ihnen noch länger hätte klappen können, selbst wenn er sie nicht betrogen hätte. Seine Gedanken gingen eher in die Richtung, ob es heute denn mit Pia besser war. Er kratzte sich am Kopf, zupfte sich an der Nase und schaute ebenfalls auf die Uhr.
„Tja, ist ja schon wahnsinnig spät. Gleich geht es weiter. Und Ihr? Fahrt Ihr heute noch die ganze Strecke zurück?“
„Ja, leider, so gerne wir noch bleiben würden, aber irgendwann müssen wir es ja tun“, sagte Ann. Dann begann sie, nach ihrem Portemonnaie zu kramen.
„Lass nur“, sagte Lucas generös, „Das übernehme ich.“
Ann lächelte künstlich geziert, und Lucas winkte die Bedienung heran.
8
Am nächsten Tag meldete Evelyn, dass Dina Merkel wieder unter den Wartenden war. Kein gutes Zeichen. Als Lucas einen anderen Patienten mit ins Sprechzimmer nahm, lächelte er sie kurz an. Sie sah aus wie ein Häufchen Elend.
Als sie