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      Sie selbst würde eines der böhmischen oder steirischen Güter, oder wenigstens dessen Einkünfte, als Mitgift erhalten, Schmuck ihrer Großmutter und einer Großtante, sowie ein Wiener Bankkonto, dass ihr jene unverheiratet verstorbene Tante bereits hinterlassen hatte, deren erklärter Liebling sie stets gewesen war. Wahrscheinlich würde alles eher auf eines der steirischen Güter ihres Vaters hinaus laufen, aber dazu würde sie von ihrer Mutter über das väterliche Einkommen hinaus sicher noch Einkünfte aus deren eigenem steirischen Gütern erhalten, die von deren Großmutter direkt auf sie gekommen war.

      Pekuniär betrachtet, musste sich Amelie keine Sorgen machen, das wusste sie auch, sie konnte einen Steirer heiraten und am Land leben, oder einen Wiener und in der Stadt von den steirischen Einkünften, ja sie konnte sogar einen zweiten oder dritten mittellosen Sohn aus geeigneter Familie ehelichen, sie war ganz und gar das, was man eine gute Partie nannte. Wollte sie das aber auch?

      Eröffneten ihr die Avancen jenes russischen Großgroßcousins nicht ganz andere Möglichkeiten? Hatte sie zu heftig reagiert? Nein, hatte sie nicht, entschied sie im Geiste. Sie kam sich sehr erwachsen vor und war entschlossen, diesen unverschämten Beau von russischem Großgroßcousin auch für den Rest dessen Aufenthalts in Wien formvollendet auf Distance zu halten.

      Eugenie frühstückte allgemein allein und im Türkischen Zimmer, einem kleinen Durchgangszimmer das ihr Schlafzimmer bequem und unauffällig mit dem ihres Mannes verband, während auf der anderen Seite ihres Schlafzimmers ihr Bad und ihr Boudoir lagen. Wer auf sich hielt, in jenen Tagen in Wien, richtete sich mindestens ein Zimmer türkisch ein. Bei Eugenie hatte sich diese Mode jedoch auf einen sehr privaten Raum beschränkt, denn zur Repräsentation fand sie diesen Stil nicht eben geeignet. Sie brauchte morgens immer etwas länger, um ansprechbar zu werden, im Gegensatz zu Ludwig, der oft und gerne schon in aller Früh spazieren ging, am Land auch schon ausgeritten oder gar zur Jagd gewesen war, ehe Eugenie noch dem Morgenmantel, dem gleichfalls türkischen, entstiegen war.

      Am Sonntag freilich frühstückte die Familie samt Herrn Vorhofer und Mademoiselle, um dann gemeinsam, die Wotrubas und das meiste sonstige Personal im Schlepptau, den Platz zur Kirche zu überqueren.

      Anschließend, nachdem man Gottes Ehre Genüge getan hatte, ging man zum Mittagessen in eine der Gastwirtschaften in der Umgebung, in der Herzoghofgasse, der Falknergasse oder der Blutgasse, nur mehr begleitet von den Wotrubas und Louise. An und für sich hatte das Personal am Sonntag nämlich frei, aber natürlich war dafür gesorgt, dass jemand das Frühstück bereitete und servierte, dass nachmittäglichem Besuch das Tor geöffnet wurde und dass es ein kaltes Nachtmahl gab. Die Küche jedenfalls blieb aus alter Tradition geschlossen und man empfing bestenfalls wen zur Jause und blieb ansonsten Sonntags tunlichst unter sich.

      Diesen Sonntag jedoch war entschieden worden, die russischen Arlingtons zum gemeinsamen Gottesdienstbesuch einzuladen und man hatte den Junior bereits mit dem Wagen ins Hotel „Métropole“ geschickt. Auch würde man diesmal ins neue und so moderne Hotel „Zur Eisernen Krone“ zum Mittagessen einkehren, während man sich sonst eben mit simplem Schnitzel, Schweinsbraten oder Backhendl in einem Gasthaus begnügte.

      Eugenie hatte sich vorerst nur einen Kaffee bringen lassen und wollte eben ihrer Zofe klingeln. Sie musste heute sehr sorgfältig überlegen, was sie anziehen sollte, einerseits wollte sie ja etwas darstellen, andrerseits die Gräfin Maryna auch nicht in den Schatten stellen, die ihrer gestrigen Toilette nach zu schließen, nicht eben die außergewöhnlichsten Abendkleider und nicht unbedingt den größten Schmuck für die Reise nach Wien eingepackt hatte.

      Eugenie hielt die Berichte über die übertriebene Garderobe der Russinnen seit gestern Abend schlicht für übertrieben. Es klopfte an der Tür, aber weder Mitzi, die Zofe, noch Louise traten ein, wie Eugenie vielleicht erwartet hatte, sondern Ludwig, was sie ein wenig überraschte. Natürlich war er schon völlig korrekt gekleidet, duftete nach Lavendel und seiner Morgenzigarre. Auch er trank Sonntags vor dem eigentlichen Frühstück einen Kaffee für sich alleine, allerdings begleitet von einer Zigarre. Nachdem er seine Frau mit einem Handkuss und einem Kuss auf die Wange begrüßt hatte und sie einige Sätze über das gelungene Dîner gewechselt hatten, äußerte er seinen unverhohlenen Stolz über das Benehmen Amelies, die in puncto Abendgesellschaften ja noch nicht sehr versiert war. Eugenie wurde hellhörig, denn es war Ludwigs Eigenheit, Kritik oder Bedenken mit einem Lob einzuleiten.

      „Wenn sie aber den Russen nicht mag, soll sie uns das ruhig sagen.“, meinte er auch bald unvermittelt.

      „Den jungen Sergej? Du meinst, da is was im Busch?“

      „Seinerseits sicher, ihrerseits weiß ich net so recht. Er schaut gut aus, er is´ standesgemäß und als einziger Sohn auch der Erbe. Aber irgendwas g´fallt mir net an ihm. Außerdem find´ ich die Amelie noch zu jung für was Ernstes. Sie soll erst noch die Schul´ fertig machen und die nächste Saison auf die Bälle gehen und vielleicht geh´n wir auch nächstes Jahr mehr auf Reisen. Ich mein´, sie sollt´ sich ruhig noch zwei Jahre Zeit lassen. Was meinst du?“, Ludwig hielt kurz inne und meinte noch, außerdem sei ihm Sergej zu alt für Amelie, sechs oder sieben Jahre Altersunterschied wären besser, elf fände er zuviel, außerdem solle sie sich nicht blenden lassen.

      Eugenie war angesichts Ludwigs sonstiger Gleichgültigkeit gegenüber den Befindlichkeiten seiner Mitmenschen überrascht. Er schien sonst immer alles als unabänderlich hinzunehmen. Ihm war es jedenfalls nicht der Rede wert, wenn eine ihnen bekannte Baronin mit dem Hauslehrer ihrer Kinder durchbrannte, ein gräflicher Freund von der eigenen Schwiegermutter beim Verlassen eines stadtbekannten Etablissements beobachtet wurde, oder die junge Tochter entfernter Verwandter plötzlich eine mehrmonatige Reise nach Irland antrat, was innerhalb der Wiener Gesellschaft gleichbedeutend damit war, dass ein unerwünschtes und vermutlich unstandesgemäßes Kind in einem irischen Kloster deponiert wurde, unter reichen Gaben der mütterlichen Familie das Schweigen armer, aber frommer irischer Patres oder Nonnen erkauft worden war.

      Kehrten jene Mädchen von ihrem so eigenartigem Aufenthalt zurück, wurden sie auch rasch an kleine oder neue Adlige verheiratet, selbst da noch an zweite oder dritte Söhne, vermutlich aber begleitet von reicher Mitgift.

      All jene Vorgänge interessierten Ludwig nicht, während sie, Eugenie, ja stets ihre Gästelisten neu überarbeiten musste.

      „Und wenn sie seine Avancen erwidern tät´?“, fragte sie ihren Mann, „Wär´ Russland, wär´ St. Petersburg, per se ein Problem für dich?“

      „Keineswegs. Nein, absolut nicht. Ich hab´ nur meine Bedenken, weil ich ihn zu alt find´. Zu alt, zu weltklug, zu gutaussehend. Verzeih´ mir meine Offenheit, aber ich halt´ den jungen Sergej genau für den Mann von Welt, der in die Etablissements geht, oder sich eine Balletteuse als dauernde Geliebte zulegt.“

      Eugenie wurde bei diesen Worten ihres Mannes ein wenig rot, schließlich geschah dergleichen nur in den Familien der anderen und niemals in der eigenen.

      Tatsächlich hatte sie sich manchmal auch über Ludwigs Treue gewundert, denn sie hatte den ehelichen Freuden nie besonders viel abgewinnen können, wäre also nicht verwundert gewesen, hätte ihr Mann ein etwaiges Manko seinerseits andernorts ausgeglichen. Andrerseits hatten sie diesbezüglich sowohl Ludwigs sonst so allgemeines Desinteresse und sein Stil im allgemeinen stets beruhigt. In eines jener Etablissements zu gehen, war entschieden unter seiner Würde und sich eine Geliebte zuzulegen, war ihm schlicht zu anstrengend. Er schätzte seine Ruhe und seine fast eigenbrötlerischen Gewohnheiten zu sehr.

      Jetzt meinte sie jedenfalls, sie würde mit Amelie sprechen und schickte ihn weg, da sie es für angebracht hielt, dies noch vor dem Gottesdienst zu tun. Sie klingelte nach Mitzi und schickte nach Louise, zog im Endeffekt ihr neuestes Kleid an, was in Momenten zeitlicher Verlegenheit stets die beste Lösung war, ließ sich ihr Haar gleich um den Hut herum arrangieren, was man ja nach dem Mittagessen wieder ändern konnte und bat Amelie ins Türkische Zimmer.

      Diese warf einen überraschten Blick auf den bereits aufgesetzten Hut, der auch in den Augen einer Sechzehnjährigen ein eindeutiges Indiz für eine hastige Morgentoilette war, abgesehen davon, dass ihre Mutter sie in Absence von Mitzi und Louise in ihr Morgenzimmer

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