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stellten den Habsburgern Offiziere, Diplomaten und Beamte, der Kirche Äbte und Bischöfe in allen Kronländern der Monarchie – und mit ihren Töchtern - Ehefrauen sonder Zahl für alle anderen Familien ihrer Couleur, katholisch, habsburgtreu, weltoffen, vielsprachig.

      Sie waren aber anders als die meisten Adeligen, auch immer unternehmungslustig und Neuem aufgeschlossen. Jener Arlington unter Maria Theresia war es gewesen, der den Bau genormter Kolonistenhäuser, inklusive Kirchen, Pfarrhöfen, Schulen, Brauereien und sonstiger Wirtschaftsbetriebe für den Banat, gemeinsam mit dem Präsidenten der ungarischen Hofkammer, Graf Festetics und für Siebenbürgen, zusammen mit dem Leiter der Siebenbürgischen Hofkanzlei, Freiherrn von Bruckenthal ausgearbeitet und der Herrscherin vorgeschlagen hatte.

      Der Familienlegende nach verdankte jener Paul, gewesener Freiherr und erster Graf von Arlington de Brösau auf Jungwaldt den neuen Titel damals weitaus eher jedoch der Tatsache, dass er eine abgelegte Geliebte Franz Stephans, geheiratet hatte, freilich nicht irgendeine, sondern eine Engelhorn de Burney-Bavary, aus ältestem oberösterreichischem und burgundischem Adel.

      Das erste Kind dieser Ehe kam jedenfalls verdächtig früh und dabei verdächtig gesund auf die Welt, aber da es eine Tochter war, kümmerte es niemanden, ob sie vielleicht ein wenig lothringisches Blut in den Adern hatte und möglicherweise gar kein angelsächsisches. Und da sie später Äbtissin des Savoyischen Damenstiftes wurde und ergo kinderlos starb, kümmert es auch nicht die Geschichte.

      Paul, mittlerweile eben Graf Arlington, jedenfalls verlagerte den Familienschwerpunkt vorläufig von Böhmen nach Wien, wie es schon früher in Familien wie der seinen vorgekommen war und in weiterer Folge immer geläufiger wurde. Der böhmische Adel, mit seinen flandrischen, iberischen und angelsächsischen Namen, lebte zu einem nicht geringen Teil in Wien, respektive der Wiener Adel lebte von böhmischen Besitzungen, die man irgendwann geerbt oder erheiratet hatte, teilweise nur selten betrat, mitunter nicht einmal kannte.

      Graf Paul Arlington richtete im ohnehin nie besonders geliebten böhmischen Schloss Jungwaldt des weiteren eine Glasfabrik ein, eine Kristallmanufaktur.

      Wiewohl in weiterer Folge traditionell jede Erzherzogin, die sich vermählte, zu ihrer Aussteuer eine Garnitur Arlington-Gläser geschenkt erhielt und diese daher nach Neapel gelangten, nach Parma und Modena, mit Marie Antoinette sogar nach Versailles, mit Marie Louise in die Tuilerien und später mit Leopoldine gar nach Brasilien, trotz all dem beschränkte sich der ursprüngliche Erfolg der Fabrik auf die Habsburger-Haushaltungen innerhalb der Kronländer und diverse Adelshaushalte.

      Zur Zeit des Wiener Kongresses war man sich noch zu gut gewesen, oder auch nur zu weltfern, vielleicht ein Stadtgeschäft zu eröffnen um damit die anwesende internationale Prominenz als Klientel zu gewinnen.

      Jetzt, anlässlich der Weltausstellung von 1873 hatte man ein wenig Geschichtsfälschung betrieben, schrieb allenthalben „100 Jahre Arlington Kristall“, wiewohl die Fabrik erst 1775 wirklich begründet worden war.

      Man eröffnete elegante Geschäfte in Wien, Prag und Salzburg, sowie sommerliche Dependancen in Karlsbad und Bad Ischl und zahlte bereitwillig die horrenden Mieten für eine der Ausstellungsflächen in einem der neu erbauten Pavillons im Prater.

      Denn jetzt, im Zeitalter der raschen Eisenbahnverbindungen und der immer leistungsfähigeren Dampfschiffe, war man entschlossen, die Welt zu erobern.

      Auch war die politische Glanzzeit der Arlingtons aus dem achtzehnten Jahrhundert, als man sich ganz deutlich allerhöchster Gunst und entsprechender Beziehungen erfreut hatte, schon wieder vorbei. Die Arlingtons hatten für die Habsburger im Dreißigjährigen Krieg und gegen die Türken gekämpft und Maria Theresia einen ihrer rührigsten Minister beschert. Während der napoleonischen Kriege hatte sich kein glanzvoller Militär mehr gefunden und mit Metternich hatte sich der damalige Arlington so gar nicht verstanden, dass die Familie sich immer mehr vom Hof und ins Private zurückgezogen hatte.

      Die Häuser aber waren groß und teuer und die Güter brachten auch nicht unbedingt den gewünschten Ertrag. Als Bierbrauer oder Mineralwasserfabrikant großes Stils wollte man auch nicht so sehr agieren und dass man am Parkring und in der Mariahilfer Straße zwei hochelegante Zinspalais erbaut hatte, das eine riesiger wie das andere, äußerst luxuriös und nur an die beste, da zahlungskräftigste Klientel vermietet, hängte man zum einen nicht an die große Glocke, zum anderen mussten sich die neuen Bauten auch erst noch amortisieren.

      Mit Arlington – Kristall hingegen konnte und wollte man jetzt reüssieren!

      Ja, Arlingtons hatten sich die letzten Jahrzehnte mehr und mehr vom Hof entfernt, sicher waren die jüngeren Söhne immer noch Offiziere und Diplomaten, das eine weniger, das andere immer mehr, - und Kirchenfürsten noch viel weniger -, sicher heirateten die Töchter wieder ihresgleichen, aber niemand drang mehr so richtig in Hofnähe vor, wo sich Kleinadelige und die verarmten Nebenzweige der alten Familien breit machten, abgesehen davon, dass die Kaiserin Elisabeth sich ja ohnehin nur mehr mit Ungarn umgab und überdies oft und gerne verreiste.

      Im übrigen war der böhmische Adel – und dazu zählten Arlingtons trotz des britischen Namens – samt und sonders beleidigt über den sogenannten„Ausgleich“ von Anno 1867 mit Ungarn, der das eigenartige Konstrukt der österreichisch-ungarischen Doppelmonarchie in die Welt gebracht hatte.

      Wenn jemand noch düpierter war als die treuen Böhmen, dann höchstens die noch treueren Kroaten, die man in Bausch und Bogen der ungarischen Reichshälfte überlassen hatte.

      Es war eben erst zwei Jahre her, dass Kaiser Franz Josef seine Zusage zur Autonomie der böhmischen Länder zurückgezogen hatte, als man ihm die neue böhmische Landesverordnung vorgelegt hatte, welche Böhmen eine ähnliche Sonderstellung wie Ungarn gegeben hätte. Der Initiator, Ministerpräsident Graf Hohenwart, hatte darauf seine Demission eingereicht. Wie die Arlingtons hatten sich jedenfalls viele Familien ihres Ranges vom Hof und aus der Politik indigniert zurückgezogen, um hinter den grünen Jalousien ihrer Landhäuser und den Spitzengardinen ihrer Stadtresidenzen über den Lauf der Zeit zu räsonieren.

      Der jetzige Chef des Hauses hatte jedenfalls den Seitentrakt des Stadtpalais in der Herzoghofgasse komplett in Wohnungen umbauen lassen, wozu ein ohnehin vorhandener repräsentativer Seiteneingang samt leidlich eleganter Treppenanlage äußerst zweckdienlich gewesen war.

      Ein verglaster Gang verband über den hinteren Hof hinweg in Höhe des ersten Stocks die beiden Seitentrakte, so dass die Fenster der Hofseiten vom Anwesen der Familie Delanoix nicht allzu sehr in den Hof blickten.

      Darunter rankte sich allerhand an Efeu, wildem Wein und dergleichen in gewollter Zwanglosigkeit empor. In der Hofmitte stand eine tatsächlich hundertjährige Kastanie, schon etwas morsch, weshalb jede Gräfin des Hauses mittlerweile früher oder später befürchtete, diese werde eines Tages einfach so ins Esszimmer krachen.

      Im kürzeren Seitentrakt zur Falknergasse hatte man das Stadtbüro der Glasfabrik untergebracht, die allen Gütern in sämtlichen Krönländern übergeordnete Domänenverwaltung, das Familienarchiv, Personalzimmer, sowie eine Anzahl von Gästewohnungen. Die Familie selbst bewohnte mit dem engeren Personal den zum Alten Postplatz ausgerichteten Haupttrakt.

      Da das Palais schon im Ursprung in erster Linie für private Angelegenheiten Franz Stephans eingerichtet worden war, hatte man nicht mit absurd großen Ballsälen zu kämpfen, die man heute kaum noch nützen würde. Man bewohnte freilich neben komfortabel und nach modernstem Geschmack eingerichteten Privaträumen, sehr wohl eine Anzahl an repräsentativen Räumlichkeiten rund um einen großen Salon, eine Enfilade an Zimmern im reinsten Schönbrunner Rokoko, mit weißgoldenen Wandvertäfelungen und roten Brokatstoffen ausgestattet, sowie ein Eckappartement zur Falknergasse im schönsten Biedermeierstil, das für Gastlichkeiten im kleineren Kreis genützt wurde.

      Der Ecksalon zur Herzoghofgasse jedoch war schon von Franz Stephan von Lothringen als Arbeitszimmer genützt worden und war wohl einer der wenigen Räume, der von jedem Grafen Arlington neu und nach dem Geschmack der Zeit möbliert worden war, während bereits die daran anschließende Bibliothek seit dem Grafen Paul nicht mehr verändert worden war und den Schlusspunkt der Rokoko-Räume bildete.

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