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zu benutzen, sich in provozierte Geduld zu fassen und nicht satt zu essen hatte.

      Wie drückte sich die Trennung im Apartheidsystem, welches Rassen nach der Hautfarbe nach oben oder unten drückte, im beruflichen Doppelleben einer Person aus? Das fragte sich Dr. Ferdinand in Anbetracht der Spezialisten in den Uniformen hochrangiger Offiziere, die dienstags und freitags von der Militärbasis Ondangwa nach Oshakati kamen, um hier chirurgisch nach dem Rechten zu sehen. Hatten sie nicht auch andere Aufträge, etwa geheimdienstlicher Art, wo sie auch nach dem Rechten zu sehen hatten, was mit Chirurgie nicht das Geringste zu tun hatte? Er konnte sich das Kaliber dieser Doppelnaturen einfach nicht ausmalen, obwohl er sich schon vorstellte, dass die Uniform mit Intelligenz gepaart eine gute Voraussetzung war, an Dinge geheimdienstlicher Empfindlichkeit ohne Schwierigkeiten heranzukommen. Dass außer den jungen Leutnantsärzten nun auch Oberst- und Generalsuniformen mit chirurgisch und narkotisch orientierten Köpfen sich einen Weg durch die wartenden schwarzen Menschentrauben auf dem Vorplatz bahnten und den Operationstrakt, die Krankensäle und das Büro des Superintendenten betraten, war für ihn ungewöhnlich und bedenklich. Vieles konnte sich hinter dem Befehl des Uniformtragens verbergen, und vieles war möglich mit den beruflichen Doppelnaturen. Natürlich konnten sie helfen, was die chirurgischen Probleme anging, denn sie waren mit Erfahrungen angereichert, die den jungen, noch in der Ausbildung stehenden Kollegen fehlte. Aber war es noch mehr und etwas anderes, was diese Hochrangigen hierher brachte? Wie sah ihr Rapport am Ende aus, wenn sie nach zwei Wochen von anderen hochrangigen, doppelnatürlichen Offizierskollegen abgelöst wurden? Es war für Dr. Ferdinand nur zu ahnen, denn Einsicht in den Rapport bekam nur das höchste Militär mit den Beraterstäben, die sich stets der analytischen Intelligenz der Geheimdienstler bedienten. Und was die Geschichte aller Unrechtssysteme lehrte, war die Perfektion in der Tatsachenverdrehung, die verdeckten bis plumpen Torheiten der Entstellungen bis in die letzte Wahrheitskrume hinein, die verkrümmten Vorspiegelungen von gut genährten Menschen, die tatsächlich nur aus Haut und Knochen bestanden. Es waren die systemtypischen Zeichen der Cliquenherrschaft, deren Vormund sich auf steinerne Säulen stellen ließ und in der Vergrößerung des Wahnsinns mit starren Augen über das sprachlose Volk der Eingeschüchterten blickte, als hätte er es mit Blinden, Tauben und Enthirnten zu tun. Dr. Ferdinand erinnerte sich noch gut, was er als Kind gesehen hatte, als an einem schneeverwehten, frostigen Frühlingsmorgen im April des Jahres fünfundvierzig ein Zug ausgemergelter Menschen mit geschorenen Köpfen, belatschten und belappten Füßen in blau-weiß gestreiften Jacken und Hosen vom Bahnhof kommend durch die Bahnhofstraße schlürfte und hinkte. In den umknöcherten Höhlen der Gesichter lagen die Augen abgemagert und trocken zurück, sie waren enthofft und blickten weder nach links noch nach rechts. Noch vor dem Ende des Zuges wurde ein Leiterwagen, wie ihn die Flüchtenden aus Schlesien, bepackt mit letzter Habe, mit sich führten, von den Händen der Gestreiften geschoben, auf dem zwei andere Gestreifte tief gekrümmt und reglos saßen, als wären sie schon ausgehaucht und tot. Der Zug, der sich dem Marktplatz näherte, wurde beidseitig von bewaffneten SS-Leuten mit ernstfahlen Gesichtern des Gehorsams begleitet, die pflichtbewusst und mit kalten Augen keinen Spaß vertrugen. Vor dem Marktplatz bog der gesicherte Zug nach links der dreibogigen Steinbrücke zu, unter der die Spree das Wasser aus Böhmen nach Berlin führte. Der Zug überquerte die Brücke, es war die letzte. Er war noch zu jung, um zu wissen, was mit den gestreiften Menschen dann geschah, als sie in Reih und Glied und schwer bewacht die Stadt in der Oberlausitz in westlicher Richtung verließen. Es war die Zeit, als das Böllern der Geschütze aus polnischer Richtung ihm Angst und Schrecken einjagte. Ferdinand als noch nicht Elfjähriger wusste sich keinen Rat, was aus dem Zug der Enthofften werden sollte, denn unter „Endlösung“ konnte er sich nichts vorstellen, hatte das Wort als Kind noch nicht gehört. Er berichtete das Gesehene den Eltern. Ihre Gesichter waren blass und ernst, sie sagten etwas, das er nicht verstand. Erst viel später, als alles schon zu spät war, hörte und las er das Wort und begriff das Unbegreifliche, dass die Menschen geschwiegen hatten über das, was sie sahen und ahnten. Er sagte sich und war sich dabei ziemlich sicher, dass es dem Zug, der hinter der Brücke verschwand, nicht anders ergangen war als den anderen Zügen auch, die in seinem Kopf die letzte Brücke überquerten. Wovon er sich nicht beirren ließ, war die Bemerkung der Weggucker, Schein- und Zweckblinden, dass es im Krieg, unter dem alle litten, Dinge gab, die fürchterlich waren. Solche Ausreden und andere Alibi-Sprüche ließ er mit zunehmendem Alter nicht mehr gelten. Er lehnte sie für sich und sein Leben ab.

      Dr. Ferdinand kam in seinen Gedanken nach Afrika zurück und stand vor dem Büro des Superintendenten, als Dr. Eisenstein, der ärztliche Direktor vom Range eines Colonels, durch die geöffnete Tür trat. Sein Gesicht blickte ernst, er trug eine Mappe unter dem Arm, grüßte zurück und ging zu seinem schräg gegenüberliegenden Büro, dessen Klimaanlage auf Hochtouren lief. Sie hatte nicht das schlagende Rattern wie die alte Anlage im Raum der Morgenbesprechung. Die Anlage im Büro des ärztlichen Direktors war moderner, überhaupt war es besser eingerichtet, der große Schreibtisch mit der auf Hochglanz polierten, leeren Schreibplatte, auf dem lediglich ein goldfarbener, metallener Ständer mit aufgesetztem Füllhalter neben dem Jahreskalender stand, war ebenso neu wie die beiden bequemen Stühle vor dem Schreibtisch und der noch bequemere, fahr- und drehbare Schreibtischsessel mit hoher Rückenlehne. Von der Rückwand schaute der südafrikanische Präsident aus dem verglasten, dünn umrahmten, aufgehängten Foto dem Colonel ständig über die Schulter. Dr. Ferdinand hatte sich vor einigen Tagen gefragt, als er auf einem der bequemen Stühle vor dem Schreibtisch saß, um ein Gespräch in persönlicher Sache mit dem Direktor zu führen, ob diesen das ständige Über-die-Schulter-Gucken des streng blickenden Präsidenten nicht bedrückte, oder ihn gar bei den notwendigen Entscheidungen, die für das Hospital zu treffen waren, irritierte. Das war nicht der Fall, als der Direktor gegen Ende des Gespräches auf die nicht zu unterschätzende Bedeutung der jungen Leutnantsärzte zu sprechen kam, deren Einsatz und Leistungen er in den höchsten Tönen lobte. In diesen Lobpreisungen kam Dr. Hutman besonders gut weg. Der Direktor vergaß nicht zu sagen, dass er das Tragen der Uniform bei allen Armeeangehörigen für unverzichtbar hielt. Der Grund lag auf der Hand, vor den Augen von Dr. Ferdinand. Der Bevölkerung sollte der gute Wille, die Einsatzbereitschaft und Leistungsfähigkeit der südafrikanischen Truppe vor Augen geführt werden. Also doch die Augen, wiederholte sich Dr. Ferdinand gedanklich. Als der Direktor sich länger bei diesem Thema aufhielt und die Vorzüge der südafrikanischen Schutzmacht dick unterstrich, die es ermöglichte, dass südafrikanische Ärzte im Hospital ihren Dienst ableisteten, glitt das Gespräch vom eigentlichen Thema einer persönlichen Aussprache so weit ab, dass Dr. Ferdinand es schon als beendet betrachtete, während der Direktor ganz als Bure weiter sprach. Das Wort „Besatzungsmacht“ nahm er nicht in den Mund. Er ließ sich nicht aufhalten, während Dr. Ferdinand beim Zuhören ihm auf den Mund und dem verglasten, aufgehängten Präsidenten ins Gesicht sah. Es kam ihm vor, als hätte er einen Gärtner in der Uniform des Colonels vor sich, der die schönsten Blumen auf einem Beet aus burischer Erde aufgezogen hatte. Dabei hätte er nicht Unrecht, denn die blumigen Verzierungen seiner Sätze kamen ja aus der burisch gedüngten Gedankenerde. Dass die dahinfließende Satzfolge zum Thema der Aufwertung der südafrikanischen „Schutzmacht“ in den Augen und im Bewusstsein der schwarzen Bevölkerung nicht frei von Schnörkeln und spiraligen Wiederholungen war, das paste zum Schreibtischarzt, der nicht um eine Diagnose zu ringen und den Patienten unter den miserablen Bedingungen zu behandeln hatte; es passte nicht zum uniformtragenden Offizier, der mit knappen Worten zu sagen hatte, was Sache war, dem die Befehlsform näher war als die epischen Verschweifungen. Dr. Ferdinand konnte sich zugute halten, dass er den Direktor bei seinen gedehnten und geschmückten Ausführungen über die Bedeutung der Burenmacht in Uniform nun mehr als Zivilisten kennen gelernt hatte. Wie dem auch war, dieses Gespräch war vor einigen Tagen, und endete mit dem Ergebnis, dass der Direktor ihm eigentlich und „expressis verbis“ seine persönliche Unterstützung nicht zusichern konnte, da das Gespräch schon vorher in die pretorianische Schieflage abgerutscht war. Alles war weiß, was der Direktor sagte, obwohl die Wirklichkeit draußen schwarz war. Dr. Ferdinand trennte das weiße vom schwarzen Sehen, als ihm die schwarzen Menschentrauben auf dem vom Uringeruch überzogenen Platz vor dem Hospital vor Augen standen. Das Bild mit dem Schwarz-Weiß-Kontrast formte er aus in eine Käthe-Kollwitz-Skulptur von der sitzenden Mutter, die ihren Kopf über das schlafende Kind senkt, das sie mit ihren Armen an sich drückt. Ihm kam Beethovens „Eroica“ ins Ohr, als er versuchte, die Skulptur so in Richtung Pretoria zu

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