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hält man diese Studie unter Verschluss, wandte ich ein. Eine Veröffentlichung könnte negative Folgen für den Lehrerberuf haben. Junge Lehrer könnten versucht sein, die Frühpensionierung zu beantragen und Lehramtskandidaten das Lehrerstudium abbrechen, weil eine steigende Lernbereitschaft der Schüler von Lehrern eine intensivere Vorbereitung des Unterrichts verlangt.

      Den Bildungsnotstand, der nach dem Urteil der Bildungsexperten bereits katastrophale Ausmaße angenommen hat, meinte eine allein erziehende Mutter, werde man in absehbarer Zeit beseitigen können, wenn Kinder nicht mehr auf Lehrer angewiesen sind, sondern sich ihr Wissen ohne die Bevormundung durch Erwachsene aus dem Internet holen können. Der Bildungsnotstand, erwiderte ein Lehrer, ist nicht auf unser Schulsystem zurückzuführen. Das Bildungsniveau der Kinder hat sich nur dem der Erwachsenen angepasst. Bildungsexperte Ach meinte: Die Eltern sehen die Schuld bei den Medien, die Medien bei den Lehrern, die Lehrer bei den Kultusministerien und die Kultusministerien bei den Eltern. Ich sagte: Nach meinen Beobachtungen, gedeiht das Lernverhalten dort am besten: wo Mütter einer Teilzeitbeschäftigung in der Familie nachgehen, und wenn Kinder es sich nicht leisten können, ihr Taschengeld für Magazine, Computerspiele oder Diskotheken auszugeben.

      Wir Bildungsexperten, sagte Ach, konnten – nachdem wir die Gehirnmasse wiegen und die Schädelformen heute lebender Erwachsener wissenschaftlich untersuchen ließen - keine Veränderungen oder Rückbildungen an den Schädeln feststellen. Aus der Tatsache aber, dass bei allen Versuchspersonen nach dem Besuch eines Konzertes, eines Vortrags oder nach dem Lesen eines Buches keine Gewichtszunahme gemessen werden konnte, muss der Schluss gezogen werden, dass der gegenwärtige Bildungsnotstand auf eine geistige Nahrungsverweigerung zurückzuführen ist. Aber, fragte ich: Wie misst man Intelligenz? Haben die Bildungsexperten dafür Messgeräte? Gibt es Gehirn-Scanner? Das ist doch einfach, rief ein Herr dazwischen: Man lasse das Versuchsobjekt so lange reden, bis klar wird, dass sein Gehirn Müll produziert. Wir Bildungsexperten, erwiderte Ach, erklären die wachsende Zahl schlechter Schul-Zeugnisse als eindeutigen Hinweis, wie selten Lehrer fähig sind, ihr Wissen zu vermitteln. Wir stellten fest, dass die Jugendlichen heute nicht einmal nach Schulabschluss wissen, ob die bedeutenden Persönlichkeiten in den Geschichtsbüchern oder in den Medien zu finden sind.

      Aber, mischte sich eine Grundschullehrerin ein: Man sollte nicht übersehen, dass die Kenntnisse heutiger Schüler in Umweltfragen beachtlich sind. Sie wissen alles über den Sauren Regen, wie viel Staub Feinstaub enthalten darf und wann das Leben auf der Erde nicht mehr möglich ist. Ich stimmte ihr zu und sagte: Es ist auch bewundernswert, wie die heutige Generation Gedanken, die sie nicht selbst erdacht hat und als Schutt in Archiven oder Bibliotheken am Vergammeln waren, hervorzerrt und so herzurichten versteht, dass man ihnen ihr Alter nicht mehr ansieht, und auch nicht ansieht, dass sie eben erst ins Leben zurückgeholt wurden. Es ist erstaunlich, wie leicht sie bereits verstorbene Gedanken reanimieren.

      Ich habe einen Rhetorikkurs besucht, sagte ein Politiker, weil ich mich als Vortragsredner verbessern wollte. Aber wir lernten nur, wie man sein Wissen halbiert und seine Redelust verdoppeln kann. Zu viele Worte prasseln heute wie Platzregen auf uns nieder, sagte ich. Die Leute werden nicht klug, sondern nur nass gemacht. Und jeder hebt die Worte auf, die einer eben ausgespuckt hat und nimmt sie, obwohl noch Speichel daran klebt, wieder in den Mund.

      Ach fuhr fort: Während Jahrtausende hindurch nur eine Elite lesen und schreiben konnte, brachte unsere Zeit ein Heer von Schreiberlingen hervor, die das Land mit Papier sintflutartig überfluten. Die Über-Produktion von Sätzen und der pausenlose Wortausstoß haben eine neue, ansteckende Volkskrankheit zum Ausbruch gebracht: Die Gehirne vieler leiden an Blähungen und Durchfall. Es gibt zu viele aufgedunsene Sätze, die zu viele Worte machen, und mehr sagen als es zu sagen gibt, Sätze, die viel zu spät enden, und Sätze, in denen die Gedanken fehlen. Die Sätze, die etwas zu sagen haben, wurden rar.

      Leider gibt es die Vorlesungen noch immer nicht, klagte ein Student, die nur aus wichtigen und wertvollen Sätzen bestehen, und die Professoren, die sich nie wiederholen, nie vom Thema abschweifen, nie Entbehrliches äußern und ausnahmslos nur das, was wichtig ist. Mein Professor, erzählte er, Lehrstuhlinhaber für abendländische Philosophiegeschichte habe im Sommersemester des Jahres 1998, einen Rekord aufgestellt: Er legte die Marathonstrecke vom Hellenismus bis zur Postmoderne in einer Stunde und 43 Minuten zurück und überbot damit die lange gültige Bestmarke eines Konkurrenten, der für dieselbe Strecke 19 Sekunden mehr benötigte. Der neue Rekordhalter erklärte uns: Er habe leider bei der Behandlung der Stoa wegen des Schnarchens einiger Hörer wertvolle Zeit verloren, die er bei den Platonischen Dialogen nicht mehr habe einholen können. Ich konnte die Erfahrung machen, sagte ich, dass sogar Gebildete oft nicht wissen, worin der Unterschied besteht zwischen dem Nichtwissen und dem Wissen, dass man nichts weiß.

      Das gab es noch nie, sagte Ach. Erst unsere Zeit macht es möglich: dass man Wissen mit einem Mausklick abrufen kann. Ein Stichwort genügt, und schon zeigt der Bildschirm die Antwort. Der moderne Wissensautomat, das Internet, bietet Wissen, fein säuberlich abgepackt, wie eine Ware an, ein eingefrorenes Wissen, das man nach Erhalt nur aufzutauen braucht. Niemand muss noch, wenn er Wissen erwerben will, Mühen auf sich nehmen: in Bibliotheken gehen, Kurse und Vorträge besuchen, Zeitschriften lesen oder einen Experten zu Rate ziehen. Das Internet, dieser Alleswisser, tritt als Universalgelehrter auf, der nicht mehr - wie ein Lehrer - bei einer Frage erst einmal nachdenken, um eine Antwort ringen, Zweifel überwinden oder eingestehen muss, dass er etwas nicht weiß. Er gerät nie in Verlegenheit. Am Ende seines Rundgangs durch die Bildung verteilte Bildungsexperte Ach Anmeldeformulare für Erwachsenenbildungskurse mit der Bemerkung: Diese Kursangebote wären zwar nicht billig, aber für Bildung sei das Geld stets gut angelegt.

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