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Eine Heimat des Krieges. Jan-Henrik Martens
Читать онлайн.Название Eine Heimat des Krieges
Год выпуска 0
isbn 9783738078183
Автор произведения Jan-Henrik Martens
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
„Meine Beine tun weh.“
Feronin half Roren, sich neben seine Tochter auf den Karren zu setzen. Roren nickte dankbar, Feronin erwiderte es und ging. „Wo ist deine Mutter?“, fragte Roren.
„Ganz vorne. Sie redet mit dem Ältesten von Gerwind.“
„Hm.“ Roren musste sich gegen die Seite des Karrens lehnen, um nicht herunterzufallen. Seine Rücken tat weh. Es war wie ein Pulsieren. Wie Wellen des Schmerzes, die zwischen Nacken und Gesäß hin und her schwappten. Und dann war da noch das Jucken, das sich allmählich in Schmerzen verwandelte, gegen die er nichts tun konnte.
„Mama war ganz traurig, weil du so lange geschlafen hast“, sagte Hilla.
„Das tut mir leid, aber ich war sehr krank. Das Schlafen hat mir gutgetan.“ Er legte seine gesunde Hand auf ihren Kopf und lächelte. „Jetzt bin ich ja wach, und Mami muss sich keine Sorgen mehr machen.“ Während er sprach, beäugte Hilla den Stumpf seines Armes, aber sie sagte nichts und richtete den Blick wieder auf ihre Füße.
„Hast du Hunger?“, fragte er. Sie schüttelte mit dem Kopf; und dann schwiegen sie, während Blätter im Wind raschelten und die Zeit verstrich.
Roren konnte nicht sagen, wie lange er mit seiner Tochter auf dem Karren saß, aber es war bereits Nachmittag, als er Arianes Stimme hörte. „Hilla, Liebes, da vorne ist ein Fluss, du solltest …“ Ariane näherte sich dem Karren, und als sie Roren erblickte, erstarrte sie, sagte bloß: „Du bist wach.“ Dann umarmte sie ihn, presste ihr Gesicht an seine Brust. „Du weißt gar nicht, wie erleichtert ich bin.“ Sie küsste seine trockenen Lippen. Roren vernahm den vertrauten Geruch ihres Körpers. Er wollte seine Arme um sie legen, doch er würde sie nie wieder mit seiner rechten Hand berühren können. Nie wieder mit beiden Händen ihre Haare streicheln, nie wieder ihre weiche Haut mit zehn Fingern spüren. Und so saß er einfach da und ließ es geschehen, ohne ihre Umarmungen und Küsse zu erwidern.
„Wie konntet ihr aus Seros fliehen?“, fragte er.
Ariane setzte sich zwischen Hilla und Roren, nahm seine Hand und sagte: „Ich habe mitbekommen, wie du das Haus verlassen hast, du weißt schon, mit Bogen und allem. Ich wusste sofort, dass du etwas Dummes vorhattest.“
„Ja, vielleicht war es tatsächlich dumm. Ich wollte den Grauen meine Hilfe anbieten, wenn sie das Dorf dafür verschonen. Aber die Grauen sind nicht gekommen.“
„Ich weiß, ich habe die Etarianer gesehen.“ Sie strich ihr Gewand glatt, sagte dabei: „Wie sie mit ihren Fackeln aus dem Wald gekommen sind und angefangen haben, die Holzhütten anzuzünden … diesen Anblick werde ich nie vergessen.“
„Was hast du gemacht? Wie seid ihr da rausgekommen?“
„Du warst verschwunden und ich hatte solche Angst. Ich dachte, die hätten dich getötet. Da habe ich Hilla geschnappt und bin in den Wald gerannt, weg von den Echsen. Haben uns da versteckt. Als sie fort waren und Seros in Flammen stand, kamen die Männer aus Gerwind. Wir haben unser Versteck verlassen, sind zu ihnen gegangen. Was blieb uns anderes übrig? Wir hatten nichts zu essen und alleine hätten wir es nicht weit geschafft. Ich wusste nicht, was ich sonst hätte tun sollen. Was wäre aus Hilla geworden?“
„Du hast das Richtige getan.“
„Ich weiß.“ Sie schenkte ihm ein Lächeln. Es wirkte gequält. „Dann habe ich dich gesehen. Ich dachte erst, du wärst tot. Du lagst auf einem Karren und warst voller Blut.“
Hilla beäugte ihre Mutter, als würde sie eine Lüge erzählen, etwas Unverfrorenes. „Papa kann nicht sterben.“
Roren und Ariane lächelten. „Offensichtlich nicht“, sagte Ariane und schaute Roren tief in die Augen. „Ich bin nur froh, dass du uns nicht verlassen hast.“ Sie küsste ihn erneut.
Diesmal erwiderte Roren den Kuss, mit seinen Gedanken war er jedoch woanders. Als sich ihre Lippen lösten, fragte er: „Weißt du, warum die Etarianer uns das angetan haben?“
„Nein, das weiß ich nicht. Ich will es auch gar nicht wissen. Wir können nur hoffen, dass es Abtrünnige waren. Wahnsinnige, die voller Menschenhass sind.“
Roren wusste, warum sie das sagte, ihm ging es da nicht anders. Die Etarianer waren ihre einzige Hoffnung im Kampf gegen die Grauen, falls es diese Kreaturen tatsächlich gab. Wenn die Echsen die Menschen tot sehen wollten, sie sogar angriffen, dann konnten sie gleich im Wald bleiben und auf den Tod warten. „Es müssen Abtrünnige gewesen sein“, sagte Roren. „Ja, es muss so sein. Etovernem würde einen solchen Angriff niemals befehlen. Schließlich haben sie den Friedensvertrag unterzeichnet; und sie halten ihre Verträge in hohen Ehren, richtig?“
Ariane antwortete nicht, sagte stattdessen ihrer Tochter, dass sie endlich etwas essen müsse. Roren fragte sich, wer sie schneller in den Abyssus schicken würde. Die Grauen, die Etarianer oder der Hunger.
In der Nacht saßen zwei Dutzend Flüchtlinge aus Gerwind und Seros am Lagerfeuer. Holz knackte und Funken stoben auf. Arianes Kopf ruhte in Rorens Schoß. Seit dem Nachmittag schwieg sie, starrte nun in die Flammen. Roren legte seinen linken Arm um Hilla, die ruhig atmete und zu schlummern schien.
Der Älteste von Gerwind, ein dicker Mann mit Glatze und grauem Schnauzbart, stand als einziger. Er schritt um das Feuer, während er sagte: „Unser Proviant reicht für drei Wochen, wenn wir sparsam damit umgehen. Das sollte reichen, um Rygmoor zu durchqueren und nach Austadt zu gelangen. Ich bin sicher, Fürst Aureld wird uns dort Nahrung für die Weiterreise geben. Dann müssen wir Etovernem erreichen. Die Echsen haben eine Armee und starke Mauern. Dort sind wir vor den Grauen sicher. Und die Echsen haben bestimmt eine Antwort auf den Angriff dieser etarianischen Abtrünnigen. Wenn wir ihnen davon berichten, werden sie die Bastarde bestrafen, ihr werdet sehen. Sie werden den Friedensvertrag nicht brechen.“
„Warum sollte uns Fürst Aureld helfen?“, fragte Roren. Der Älteste verstummte, alle Flüchtlinge schenkten Roren ihre Aufmerksamkeit. Der Qualm des Feuers stieg ihm in die Nase. In der Ferne heulte ein Wolf. Roren sagte: „Ich meine, warum sollte er sein wertvolles Getreide für uns opfern?“
„Weil wir Menschen sind“, sagte Feronin und kratzte sich an seinen Brandblasen. „Und wenn Ogwen sagt, dass der Fürst uns helfen wird, dann wird’s schon stimmen.“
Roren hielt das nicht gerade für einen triftigen Grund, doch er wusste, dass es zwecklos war, hier und jetzt über die Gutherzigkeit eines Fürsten zu streiten. Menschen konnten stur sein, wenn sie sich an eine vage Hoffnung klammerten.
„Sei’s drum“, sagte Ogwen. „Wir werden so oder so das Fürstentum Aureld durchqueren müssen, es gibt keine andere Möglichkeit. Die Wege entlang der Dorrküste im Osten sind länger, die Pfade durch das westliche Feskott-Gebirge beschwerlicher. Das würden wir nicht schaffen.“
„Das heißt, der gesamte Erfolg unserer Reise hängt von Fürst Aureld ab?“, fragte Roren.
„Mehr oder weniger.“
Roren legte seinen Arm fester um Hilla. Die anderen Flüchtlinge schwiegen. Den meisten fielen bereits die Augen zu. Auch Roren fühlte, wie sich Müdigkeit in seine Glieder schlich. Der Tag war anstrengend gewesen, obwohl er die meiste Zeit auf einem Karren gesessen hatte. Wenigstens tat sein Rücken nicht mehr weh. Doch was seine rechte Hand betraf, sah das ganz anders aus.
„Hört mal, ich kenne Fürst Aureld“, sagte Ogwen. „Er wird uns helfen, da bin ich sicher.“
„Woher kennst du ihn?“, fragte Roren.
„Hab im Glaubenskrieg an seiner Seite gekämpft. Nun, vielleicht nicht an seiner Seite, aber ich war im Norden und habe in der Wüste Blut vergossen. Fürst Tiogan würde für das Wohl der Menschheit alles tun. Er ist ein nobler Mann.“ Ogwen nickte, als müsse er damit seine eigenen Worte bestätigen. „Wir sollten nun alle etwas schlafen. Morgen wird ein langer Tag.“
Ariane,