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Der 884. Montag. Gunter Preuß
Читать онлайн.Название Der 884. Montag
Год выпуска 0
isbn 9783847616818
Автор произведения Gunter Preuß
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
Und schöner war ich auch nicht geworden. Ich habe eigentlich, seit ich denken kann, so ein ausgesprochenes Montagsgesicht. Man muss sich einen Kopf vorstellen, irgendeinen Kopf, fast kahl, nur etwas Flaumhaar bedeckt die Schädelmitte, als hätte dort ein Vogel begonnen, sein Nest zu bauen, was er bald aus Materialmangel wieder aufgegeben hat. Und das mit achtzehn Sommern. Am Anfang habe ich mir literweise Haarwasser auf den Schädel gekippt, aber dann musste ich einsehen: Auf Asphalt kann nun mal kein Gras wachsen. Und einen harten Schädel hab ich, verdammt noch mal".
Zwischen die Mutzeln habe ich eine kleine blaue Feder gesteckt. Ich habe sie vor Jahren bei einem Klassenbesuch im Indianermuseum aus einem Häuptlingsstutz, in dem sie selbstvergessen zwischen Adlerfedern steckte, mitgehen lassen. Die Mutzeln können das Federchen nicht immer festhalten. Schon der erste Windstoß lässt es hinters Ohr rutschen, und ich sehe aus wie die linke Hand von einem Buchhalter.
Nun, ich lasse es über der Oberlippe und ums Kinn herum sprießen. Was da gedeiht, ist auch nicht zum Hinschmeißen, aber es sind wenigstens Haare, wenn sie auch so ein paar Farbblinde rot nennen. Für mich sind sie höchstens kupferfarben bis goldbronzen, zu sehen sind sie jedenfalls, wenn man sich die Zeit nimmt, genau hinzugucken. Das edelste der zu meinem Kopf gehörenden Teile ist meine Römernase, an der es rein gar nichts auszusetzen gibt, vielleicht nur, dass sie eben nicht in mein Gesicht passt. Von meinen Augen haben alle meine Pauker behauptet, dass sie unverschämt und anmaßend blicken würden. Mein Mund wäre sinnlich, so jedenfalls hat es mal eine Lady aus unserer Straße gesagt, die mit sechzehn schon einwandfrei auf den Strich ging und als Schulkleidung Strapse bevorzugte. Sie wusste genau Bescheid, wie es die Bienen miteinander machen. So etwas nennt man Spezialistin. Sie gab der Biologielehrerin keine Chance.
Der verdammte Uhrzeiger war nicht aufzuhalten. Ich warf mich also in Schale, - Billigjeans, Ramschlederweste und Sandalen aus Neandertal -, sprang auf meinen Siebentagerenner und strampelte durch die unbelüftete Stadt, um Olgas Spruch über Pünktlichkeit in Erfüllung gehen zu lassen.
2.
Endlich sprintete ich in den Krankenhauskomplex der Uni ein, ohne Freudenschreie und Beifallsrauschen. Es war ein schäbiger Irrgarten mit je-der Menge Filmkulissen: Pappbaracken, altersschwache Häuser und halb fertige Neubauten. Dann stand ich vor so einem Schuppen ohne Gesicht. Ich sah die vielen Steine, die man da aufeinandergesetzt hatte und hinter denen ich nun verschwinden sollte.
Über der Haustür stand in bröckelnder Goldschrift: PATHOLOGIE. Also so eine verdammte Fabrik, in der Leichen in Teile zerlegt und durch den Schornstein verraucht werden.
Mir war wie bei meinem eigenen Begräbnis. Ich verfluchte die pingeligen Medizinmänner, die mich für die Arbeit auf See als untauglich eingestuft hatten. Nur weil mein Herz nicht ganz nach ihren Vorstellungen schlägt. Dabei bin ich ganz zufrieden mit meiner Pumpe. Ich weiß wenigstens, dass ich eine habe, wenn sie mal sticht.
Wenn es nach mir ginge, wäre ich schon längst auf See. Ich würde in Alexandria, London oder Odessa an Land gehen und endlich tief durchatmen können. Ich brauchte mir nicht immer wieder erzählen zu lassen, wie gut es mir doch ginge, dass ich zufrieden sein könne und sich jeder Mensch seinem Schicksal fügen und den Gegebenheiten anpassen müsse.
Meinen Platz im Leben soll ich finden. Aber man weist mir dauernd einen an, auf dem ich es aushalten soll. Alle müssten das. Doch ich kann es nicht. Sie haben nur Stehplätze außerhalb des Zirkuszeltes für mich, von denen aus man absolut gar nichts mitkriegt und auf Wakan Tanka hoffen muss, dass er es endlich Licht werden lässt. Und wenn du dann wirklich mal einen Sitzplatz erwischst, ist es ein Notsitz, auf dem du mit hunderttausend anderen sitzt und womöglich ein Leben lang festklebst, obwohl du inzwischen mitgekriegt hast, dass du in der falschen Vorstellung sitzt. Es will ja jeder nur mein Bestes, solange es sein Bestes ist.
Ich parkte also mein Rad im Innenhof der Pathologie, in einer langen Rei-he Leichenwagen. Noch einmal sah ich in den Sommerhimmel, der blau war wie das Meer und in dem die Sonne als unerreichbare goldene Insel schwamm. Schon gut, aber in so einem Montagmorgenaugenblick kann auch ein sogenannter Normaler Wahnvorstellungen bekommen.
Ich öffnete vorsichtig die schwere Tür. Es schlug mir ein Duft von Formalin, ein Saft, in dem die Innereien dahingegangener Homo sapiens konserviert werden, entgegen. Mein Magen ist stabil wie eine Blechbüchse, aber jetzt begann er doch, sich von innen nach außen zu wenden.
Ich gab mir einen Tritt, tauchte im Gemäuer unter, lief durch irrsinnig lange Gänge, in denen es nach Kaffee roch, als wäre ich in einer türkischen Mokkastube gelandet. Links und rechts Türen, Namensschildchen von Leuten, die alle ihren Platz im Leben gefunden hatten. Auf den Gängen wimmelte es von Weißkitteln. Sie hatten es furchtbar eilig, als könnten sie ihre Leichen ins Leben zurückrufen. Im Keller, an der Stelle, wo es am dustersten war, fand ich die Technikleute.
Da hockten meine zukünftigen Kollegen um einen Tisch herum. Sieben Mann, der eine telefonierte, der andere stieg aus den langen Unterhosen, der dritte bastelte an einem Radio, das bestimmt schon existiert hatte, bevor es überhaupt erfunden war. Der eine quälte die anderen gerade mit einem Witz. Und die anderen taten auch nichts.
Der Raum war ein Loch. Es war mit zwei großen Blechschränken, aus denen es bedrohlich summte, mit Spinden, Stühlen, Tischen und Werkzeugtaschen verstopft. Nur der Einschlupf war freigelassen. Es roch nach Tod und Teufel, sodass ich mich nach Olgas Fischgestank zu sehnen begann. Ich blieb in der Tür stehen, sagte nur: "Tag, ich bin wohl der Neue."
Nun musste ich stillhalten und mich beglotzen lassen wie eine Bakterie unterm Mikroskop. Dann stand so ein schniefender Walrosstyp auf. Er hatte sich soeben noch mit seinen Greifern an den Zehen rumgepolkt. Er watschelte auf mich zu und hielt mir seine Flosse hin, die ich aus Gründen der Hygiene übersah. Das schien ihn zu grämen, denn er sagte: "Mein Name ist Firat. Dir ist wohl die Hand deines Meisters nicht gut genug, he? Bist wohl ein ganz Feiner? Du musst nicht denken, dass du hier auf dein Abitur pochen kannst."
"No insults please!"
"Sprich ein ordentliches Deutsch mit mir. Wir sind jetzt alle wieder Deutsche. Oder bist du etwa gar kein Deutscher? Na, das würde passen. Das wäre dir zuzutrauen, he. Man hat uns ja schon von amtlicher Stelle vor dem Früchtchen gewarnt."
"Scheißmontag", unterbrach ich ihn. "Polkst du immer erst an deinen Zinken rum, eh du jemandem Tag sagst?"
Die anderen grinsten. Mir stand schon alles bis oben hin, obwohl es doch noch gar nicht richtig angefangen hatte.
"Du?", sagte Firat und schüttelte bedeutsam das Haupt. "Für dich bin ich Sie. Damit wir uns gleich richtig verstehen: Du bist der Lehrling. Ich bin der Meister."
Ich knallte die Hacken zusammen, was leider verpuffte, weil ich nur Sandalen und keine verdammten Kommissstiefel anhatte.
Ich riss die rechte Hand zur Denkerstirn und rief: "Habe verstanden!"
Den Walrosstyp kannte ich. In der Verblödungsanstalt hatten wir so einen Lehrer. Der konnte es nicht verkraften, wenn jemand etwas mehr wusste als er. Dieser Firat würde so lange nicht aufgeben, sein Maul an mir zu wetzen, bis ich nur noch lachte, wenn er einen Witz riss.
Firat säuselte mich weiter an: "Bisher scheint sich keiner um dich gerissen zu haben. Wir sind hier eine eingearbeitete Truppe. Wer nicht auf dem Arbeitsamt Schlange stehen will, muss ranklotzen. Hast du eigentlich einen Schimmer, was du hier lernen sollst?"
"Sie werden es mir bestimmt gleich sagen, Sir."
"Also", begann Firat mich zu belehren. "Wir sind hier für alles verantwortlich, was mit Schwachstrom zu tun hat. Und was alles hat mit Schwach-strom zu tun?"
Ich tippte mit dem Zeigefinger an meinen Denkapparat,