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verschluckt. “Von wem wenn?”, hustete ich. “Von meinem Kissen?”

      Sie zuckte nur die Schultern. “Naja, ich meine, wir waren zwar die ganzen drei Tage zusammen, aber wer weiß, was du nachts so treibst...”

      Ich verdrehte nur die Augen.

      Caro und ich waren über meinen neunzehnten Geburtstag drei Tage lange nach London gegangen. Heute war unser Abreisetag, zurück in die englische Countryside.

      “Hast du mir deshalb den Muffin gekauft?”, wollte ich wissen. “Als mein Geburtstagsgeschenk?”

      Sie seufzte. “Nein. Eher als eine mitleidige Geste.”

      Ich öffnete den Mund, um ihr etwas Kluges entgegen zu schleudern – auch wenn mir wie immer nichts Schlagfertiges in den Sinn kam -, doch dann wurden wir zum Boarding aufgerufen.

      Ich packte meinen Trolley und folgte Caro in Richtung Flugzeug. Meine Augen schweiften durch die Flughafen-Halle, doch die Frau mit dem Tattoo war verschwunden.

      “Ein Tattoo?” Caro runzelte die Stirn. Ich wusste, sie fand es albern, wenn sich ältere Leute tätowieren ließen. “Ich meine, mit den Runzeln ist das so, als hätte das Tattoo Berge und Täler”, war ihr stetiges Argument.

      “Ja”, sagte ich. “Es sah aus wie… ein Hund oder so.”

      Sie lachte laut auf. “Eine alte Dame, die sich ihren Wauwau auf den Arm malen lässt? Ich glaube kaum, dass etwas Mysteriöses an ihr dran ist. Vermutlich musste sie ihn letztes Jahr einschläfern lassen und vermisst ihn jetzt. Ehemann verstorben, ganz alleine. Glaub mir, diese Sorte von Leuten kenne ich.”

      Sie hatte nach der Schule ein Überbrückungsjahr im Altersheim gemacht, weshalb ich ihr bei solchen Dingen eigentlich immer vertraute.

      “Hm”, meinte ich nur.

      “Was spielt es auch für eine Rolle? Du hast deinen Kaffee im Magen, du bist deiner Geburtstagsparty - also deiner verrückten Schwester - entgangen und jetzt geht’s nach Hause. Alles ist gut.” Caro lehnte sich zurück und schloss die Augen.

      Mein Blick schweifte zum Fenster. Sie hatte Recht; vermutlich machte ich mal wieder aus einer Mücke einen Elefanten.

      Sie meinte oft, das Leben sei zu langweilig für mich; deshalb versuchte ich ständig irgendetwas selbst daraus zu basteln. “Einen größeren Sinn. Eine Mission”, sagte sie immer mit ihrer gesenkten Stimme. Und dann: “Ha, du hättest Agentin beim MI6 werden sollen!”

      Ich wusste zwar nicht, was das eine mit dem anderen zu tun hatte; andererseits war ich auch nicht gerade für meine außergewöhnliche Klugheit bekannt.

      In Sachen Langeweile hatte sie allerdings Recht. Während sie neben mir döste und Musik hörte, versuchte ich, nicht hibbelig in meinem Sitz herumzuhüpfen. Wir flogen gerade mal zehn Minuten und ich hatte das Gefühl, ich starb schon vom Nichtstun.

      Also versuchte ich, ebenfalls die Augen zu schließen.

      Und im nächsten Moment war ich weg.

      Es schneite. Kälte drang in meinen Körper. Eiskristalle fielen auf meine Haut und verdampften. Ich fühlte mich fast, als wäre ich einer von ihnen. Ich schien über dem Boden zu schweben, gar nicht existierend.

      Trotzdem bewegte ich mich. Es war, als säße ich in einem unsichtbaren Zug, der mich transportierte.

      Mein Blick war auf den Boden gerichtet, der aus einer einzigen weißen Decke bestand. Wow, ich hatte noch nie einen so perfekten, weißen Schnee gesehen. War ich vielleicht in Game of Thrones oder so?

      Hoffentlich kam nicht gleich ein Weißer Wanderer um die Ecke.

      Als hätten meine Gedanken es verursacht, hörte ich auf einmal ein Geräusch. Auch wenn ich nicht einmal wusste, ob ich überhaupt existierte – immerhin träumte ich -, zuckte ich zusammen. Unwillkürlich blickte ich auf.

      Hätte ich einen Mund gehabt, hätte ich geschrien. So stieß ich nur innerlich einen lauten Schrei aus.

      Blut. Überall war Blut. Der schneebedeckte Boden, den ich gerade eben noch so bewundert hatte, war nun nicht mehr weiß, sondern rot.

      Das Blut tropfte von den Ästen der kahlen Bäume, bedeckte die Steine und den Boden. Ich hatte das Gefühl, mich übergeben zu müssen.

      Und dann hatte ich plötzlich einen Körper. Ich saß inmitten der Blutlache, direkt auf dem Schnee, doch seltsamerweise spürte ich überhaupt keine Kälte. Dafür roch ich das Blut. Ich fragte mich, ob mein Kaffee jetzt wieder hochkommen würde, doch plötzlich war ich mir nicht einmal mehr sicher, ob sich dieser überhaupt in meinem Magen befand. Es kam mir vor wie eine andere Welt.

      Um zu überprüfen, ob es sich ebenso echt anfühlte wie es aussah, streckte ich meine Hand aus und berührte den Boden.

      Und dann hörte ich das Knurren hinter mir.

      Mein Herz begann zu rasen. Ich sah, wie meine Hand zu zittern begann; dann schaffte ich es, langsam den Kopf zu drehen – und fand mich Angesicht zu Angesicht mit einem gigantischen Wolf.

      Er fletschte seine Zähne.

      Ich öffnete den Mund und schrie.

      “Rose? Rose, verdammt was ist denn los? Au – schei – Halt die Klappe!” Jemand kickte mich gegen das Schienbein.

      Ein hysterisches Kreischen drang in mein Ohr.

      Es dauerte einen Moment, bis ich begriff, dass ich diejenige war, die hier so einen Lärm veranstaltete. Es gelang mir, meinen Mund zu schließen.

      Als ich langsam die Augen öffnete, befanden sich die Blicke sämtlicher Passagiere des Flugzeugs auf mir.

      Verdammt, dann hätte ich es vorgezogen, meinen fünften Kaffee noch zu verschütten.

      Ich stammelte etwas von schlecht geträumt und versuchte, Caros Blick zu ignorieren, der langsam ein wenig besorgt wurde. Unwillkürlich wanderte mein Blick zu meiner Hand hinab. Ich war mir sicher, dass sie blutverschmiert war.

      So oft ich sie drehte und wendete, es war kein Tropfen Blut daran zu sehen.

      Caro beobachtete meine Versuche, meine Hand in unnatürliche Richtungen und Positionen zu verrenken, mit gerunzelter Stirn. “Alles in Ordnung?”

      Ich blickte auf. “Ja.” Meine Stimme klang ein wenig heiser. “Ja klar, warum nicht? Ich hab nur ein kurzes Nickerchen gemacht. Wollte nur kurz die Augen schließen.”

      “Rose.” Sie sprach so langsam und deutlich, als hätte sie es mit einer geistig Behinderten zu tun. “Wir sind schon gelandet. Du hast den ganzen Flug verschlafen.”

      Erst jetzt kehrten meine Sinne zurück. Vage registrierte ich, dass alle um uns herum schon angefangen hatten, ihr Gepäck zusammen zu suchen.

      “Klar”, sagte ich und bemühte mich um einen lässigen Ton. Mein Herz raste noch immer. Die Tatsache, dass ich das Gefühl gehabt hatte, nur drei Minuten lange geschlafen zu haben und jetzt in Wirklichkeit schon fast zwei Stunden vergangen waren, beruhigte mich nicht gerade.

      Abgesehen davon hätte ich schwören können, dass hier irgendwo der Wolf noch saß und mich mit seinen eisblauen Augen beobachtete. Ich schauderte.

      Seit wann hatten Wölfe überhaupt eisblaue Augen?

      “Ein wenig kalt, hm?”, sagte ich, als Caro mich anglotzte, als wären mir gerade Flügel gewachsen.

      Sie hob die Augenbrauen. “Klar, hat auch nur 25 Grad.”

      Ich stieß einen Ton aus, halb lachen und halb gurgeln. Dann quetschte ich mich an ihr vorbei, um an mein Gepäck zu kommen. Denn mir war kalt, mir war sehr kalt; ich hätte schwören können, dass noch immer Schneeflocken auf meiner Haut saßen. Mich wunderte es, dass mein Atem keine Wolken vor meinem Mund formte.

      Was war nur los mit mir?

      Caro und ich sagten kein Wort mehr, bis wir uns vor dem Flughafen befanden. Vielleicht

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