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Vinz. Ingo T. Herzig
Читать онлайн.Название Vinz
Год выпуска 0
isbn 9783738090611
Автор произведения Ingo T. Herzig
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
Allerdings währte diese Inspiration nicht allzu lange. Schon nach einiger Zeit verschwanden die „Hannelore“-Entwürfe in der Schublade. Nicht, dass ihn dieses Projekt auf einmal nicht mehr interessiert hätte; es gab andere Dinge, die ihn davon abhielten, sich weiter seiner „Hannelore“ zu widmen, vor allem unsere Klassenkameradin Jacqueline, die ihm völlig den Kopf verdreht hatte und ihm jeden klaren Gedanken raubte. Als diese Geschichte schließlich und endlich ausgestanden war, fand Leif nicht mehr zur „Hannelore“ zurück, was mir leidtat; denn ich hielt seine bisherigen Entwürfe für eine reife Leistung, wenn ich auch nicht viel davon verstand.
Umso überraschter war ich, als ich Leif auf einmal wieder über den „Hannelore“-Entwürfen brüten sah. Inzwischen befanden wir uns in der Jahrgangsstufe zwölf, also ein Jahr vor dem Abitur.
Als Antwort auf meine Frage, wie er „Hannelore“ denn wiederentdeckt habe, drückte er mir die letzte Ausgabe seiner Autozeitschrift in die Hand und deutete auf eine Anzeige, in der eine Düsseldorfer Auto-Tuningfirma einen Wettbewerb für Hobbydesigner ausschrieb:
„Wer entwirft das schönste und zweckmäßigste Wohnmobil?
1 Preis: eine vierwöchige Reise für zwei Personen im Wohnmobil durch die USA und Kanada;
2 Preis: eine dreiwöchige Reise für zwei Personen im Wohnmobil durch Europa.“
Außerdem wurden noch acht Sachpreise vergeben. Die Teilnehmer sollten das achtzehnte Lebensjahr vollendet haben; aber das traf auf Leif ja zu.
Dieser rieb sich voller Enthusiasmus die Hände.
„Das ist genau das Richtige für einen Kritzler wie mich“, rief er entzückt. Er setzte sich an die Arbeit und zeichnete und rechnete Tag und Nacht, so dass er nicht selten morgens übernächtigt in die Schule kam und es ihn viel Mühe kostete, die Augen offen zu halten. Häufig übermannte ihn der Sekundenschlaf, so dass sein Kopf immer wieder nach vorne oder nach hinten kippte. Unsere Mitschüler schmunzelten schon.
Sein Fleiß wurde belohnt: Einige Wochen, nachdem er seine Entwürfe eingereicht hatte, bekam er von der Tuning-Firma Bescheid, dass er in die engere Auswahl gelangt sei, und wieder ein paar Wochen später wurde ihm mitgeteilt, dass mehrere gute Arbeiten eingegangen seien, so dass die Beurteilung schwer sei und daher ausgelost werden müsse. Leif wurde dazu nach Düsseldorf eingeladen. Für ihn verstand es sich von selbst, dass ich ihn dorthin begleitete.
Während der gesamten Bahnfahrt nach Düsseldorf zitterte Leif sichtlich vor Aufregung. Er konnte es nicht fassen, dass er faktisch vor der Möglichkeit stand Amerika zu bereisen und seine kanadische Brieffreundin zu besuchen. Vor allem aber fiel es ihm schwer zu glauben, dass seine Arbeit Anklang gefunden hatte, dass sie gewissermaßen zur crème de la crème gezählt wurde. Ich freute mich aufrichtig für ihn und träumte von einem ähnlichen Erfolgserlebnis, das sich bei mir auf dem Gebiet der Musik einstellen müsste. Auf einen Kompositionswettbewerb war ich bislang nicht gestoßen; doch stand für mich fest, dass ich an einem solchen teilnehmen und selbstverständlich gewinnen würde.
In Düsseldorf hatten sich zwanzig bis dreißig potenzielle Gewinner eingestellt. Die meisten waren nicht älter als dreißig, fünfunddreißig. Auch das weibliche Geschlecht war vertreten, wenn auch nicht sehr zahlreich. Bevor der spannende Moment kam und sie der mehrköpfigen Jury vorgeführt wurden, bekamen sie ein zünftiges Mittagessen serviert, an dem auch ich als Außenstehender teilnehmen durfte.
Endlich näherte sich der spannende Augenblick: Eine junge Frau zog zehn zusammengefaltete Zettel mit Namen aus einer Art Urne, die vorher gründlich durchgeschüttelt worden war. Hierauf wurden die zehn Gewinner von hinten nach vorne verlesen, d. h. in umgekehrter Reihenfolge der Preisverleihung. Ich sah, wie Leif kaum zu atmen wagte. Seine Hände zitterten wie Espenlaub, wo doch seine Linke – er war Linkshänder – den Bleistift stets völlig ruhig zu halten pflegte. Ich erlebte meinen langjährigen Schulfreund von einer ganz neuen Seite, hatte ich ihn doch bisher als eine Natur gekannt, die sich so leicht von nichts und niemandem aus der Ruhe bringen lässt; aber irgendwann stoßen wir alle an unsere Grenzen.
Das Zittern seiner Hände steigerte sich, je weiter sich das die Namen verlesende Jurymitglied von Platz zehn in Richtung Platz eins vorarbeitete. Leif fiel auf den zweiten Platz. Er konnte es gar nicht fassen, dass seine Arbeit auf ein so gutes Echo gestoßen war, und saß – ich weiß nicht, wie lange – da wie eine Salzsäule, so dass ihn der Herr aus der Jury noch einmal gesondert und vor allem mit mehr Lautstärke aufrufen musste.
Es war so: Er hatte den zweiten Preis gewonnen, daran gab es nichts zu rütteln.
Es dauerte noch einige Tage, bis er sich soweit gefangen hatte, dass er sich überlegen konnte, wohin denn die Reise gehen sollte. Es handelte sich ja um eine Wohnmobilreise durch Europa, und die Reiseziele konnte der Gewinner nach eigenem Gutdünken selbst bestimmen.
Für Leif war es gar keine Frage, dass er die Fahrt zusammen mit mir antreten würde. Als die Sommerferien begannen, fuhren wir abermals zusammen nach Düsseldorf, um das Wohnmobil in Empfang zu nehmen. Es war neu, aber nicht sehr groß; es bot gerade Platz für zwei Personen. Imponieren konnte man damit niemandem; doch dies hatten wir auch gar nicht vor. Wir wollten uns lediglich ein paar wunderschöne Tage machen. Ohne dass wir auch nur ein einziges Wort darüber hätten wechseln müssen, waren wir uns einig, das Gefährt auf den wohlklingenden Namen „Hannelore“ zu taufen.
Am Anfang gab es leichte Unstimmigkeiten, was das erste Ziel betraf. Leif wollte nämlich nach Südfrankreich fahren, während ich einen geradezu unwiderstehlichen Zug in die entgegengesetzte Richtung, genauer gesagt, nach Schottland verspürte. Ich hatte Peggy während all der Monate keinen Augenblick vergessen. Immer wieder tauchte ihr Bild vor mir auf, und immer wieder pochte mir das Herz, wenn ich an sie dachte. Leider hatte sich der anfängliche Briefwechsel nicht aufrechterhalten, da Peggy, wie sie mir gleich zu Anfang mit prophylaktischer Entschuldigung geschrieben hatte, keine große Briefeschreiberin sei. Schade! Ich hatte ihr danach noch zwei- oder dreimal geschrieben, es dann aber sein lassen, um nicht aufdringlich zu erscheinen. Nun aber war ich nahezu besessen von der Idee, sie in Stirling zu besuchen. Da aber Leif der Gewinner der Reise war, lehnte ich mich nicht gegen seinen Wunsch auf, die gemeinsame Rundreise in Südfrankreich zu beginnen; jedenfalls nach außen hin nicht. Innerlich aber kochte es ganz schön in mir, ich konnte es nicht verdrängen, geschweige denn abstellen.
Als wir schon fast Dijon erreicht hatten, steuerte Leif unsere „Hannelore“ ganz unvermittelt von der Autobahn herunter und fuhr in der Gegenrichtung wieder auf.
„Ich weiß doch genau, wo’s dich hinzieht, Vinz“, sagte Leif und so kam es doch noch, dass wir unsere „Hannelore“-Ferien in Schottland begannen.
Die Fahrt von Folkestone, wohin wir mit der Fähre übersetzten, hinauf bis nach Schottland verlief trotz Linksverkehr ohne Probleme. Ich konnte mir selbst nicht so recht erklären, warum; aber ich freute mich wie ein kleines Kind unterm Weihnachtsbaum und auch Leif wurde davon angesteckt. Die ganze Strecke sangen und blödelten wir vor uns hin, so dass wir ganz und gar vergaßen, Pausen einzulegen. Lediglich zum Fahrerwechsel und um gewisse menschliche Geschäfte zu erledigen hielten wir zwischendurch kurz an. Ansonsten ging es stracks durch.
Der Abend dämmerte herein. Wir hatten Stirling schon fast erreicht, als uns eine bleierne Ruhebedürftigkeit überfiel. So steuerten wir den Wagen mitten in die Natur hinein und hielten in der Nähe eines schmalen Flusses. Wir wussten zwar nicht, ob es erlaubt