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Das Haus am Park. C. H. Illmann
Читать онлайн.Название Das Haus am Park
Год выпуска 0
isbn 9783847647539
Автор произведения C. H. Illmann
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
Ein weiterer Vorteil meines neuen Domizils war der stark verkürzte Weg zum Park, dafür musste ich jetzt extra zum Bäcker laufen. Heute Morgen war es neblig, doch der Wetterbericht hatte einen sonnigen Tag vorausgesagt, sobald es aufklarte. Verschwitzt betrat ich den Laden und wartete, bis die Leute vor mir ihre Bestellungen aufgaben. Dabei ließ ich den Blick über die Ausgabe der Lokalzeitung schweifen.
»Suche nach vermisstem Jungen ausgeweitet«, las ich den Aufmacher, zog ein Exemplar aus dem Regal und legte es auf den Tresen.
»Schrecklich, nicht wahr?«, fragte die Bäckerin eine ältere Kundin und nickte meiner Zeitung zu, während sie kunstfertig einen viertel Quadratmeter Butterkuchen verpackte. »Der arme Dennis ist verschwunden.«
»Ach was? Entführt?«
»Das wissen sie nicht. Die Spürhunde haben die Fährte verloren und nun gehen sie davon aus, dass er ertrunken ist. Aber Taucher fanden auch nix.«
»Heutzutage laufen ja überall Verbrecher rum!«, krähte die Alte, bezahlte und verließ den Laden.
»Seit wann vermisst man ihn denn?«, fragte ich.
Die Bäckerin musterte mich abschätzig, als müsse sie abwägen, ob man mir trauen könnte: »Das ist fast eine Woche her.«
»Waren deswegen die vielen Polizisten im Park?«, murmelte ich mehr zu mir selbst, zahlte und kehrte nach Hause zurück.
Nach der Dusche saß ich beim Frühstück und las ganz altmodisch in der Zeitung. Eigentlich ging es mich ja nichts an, aber wenn in der Nachbarschaft ein Kind verschwand, war meine Neugier geweckt, schon aus beruflichen Gründen. Der Junge, Dennis, war tatsächlich beim Spielen im Park verschwunden und die Polizei hatte mit Spürhunden nach ihm gefahndet, allerdings verloren sich die Spuren dort. Der Leiter der Hundestaffel erklärte in einem Interview, dass sich die Hunde an Hautschuppen orientieren, die der Mensch jede Sekunde verliert. Wasser schwemme diese fort, daher wäre es sehr wahrscheinlich, dass der Junge im See ertrunken sei. Doch auch nachdem Taucher den See gründlich abgesucht hatten, ergaben sich keine neuen Erkenntnisse. Dennis war wie vom Erdboden verschwunden, weshalb ein Sondereinsatzkommando gegründet wurde, das in alle Richtungen ermittelte. Bisher ohne Erfolg.
Das klang sehr mysteriös. Wenn das Kind tatsächlich im See ertrunken wäre, müsste man doch etwas finden. Angeregt durch die Suchaktion neulich, hatte ich ja schon einige Notizen zu einem neuen Krimi gemacht. Ich würde den Jungen mit einbeziehen und den Fall aufmerksam verfolgen. Warum nicht über einen wirklichen Fall schreiben, statt selbst einen zu konstruieren? Das Leben schrieb doch oft die spannendsten Geschichten und im Moment mangelte es mir an Zeit.
Den ganzen Tag arbeitete ich an meinem Krimi und entwarf einen fiktiven Lebenslauf von meinem Dennis. Einen anderen Namen musste er noch haben ...
Mir fielen in diesem Zusammenhang ganz spontan »Tom« und »Martin« ein, aber das hätte früher oder später Ärger für mich bedeutet. Bei den beiden handelte es sich um meine Neffen. »Max« und »Moritz« träfe es besser. Schließlich entschied ich mich für einen Kompromiss und nannte ihn »Thomas«, damit hatte ich zumindest den Klang ihrer Anfangssilben verwurstet und außerdem war es ja nur ein verschwundener Junge.
Was konnte das Motiv sein? Ging es um eine Entführung, um Geld? Oder steckte sexueller Missbrauch dahinter? Das Zweite erschien mir ein weit niederer Grund zu sein. Ganz klar, ich wollte in meinen Lesern ein starkes Feindbild erschaffen. Sie sollten an den Rand der Selbstjustiz gebracht werden. Ja, das gefiel mir und ich lächelte diabolisch.
Plötzlich war ich wieder da und die Schreibblockade wie weggeblasen. Am Ende des Tages hatte ich bereits eine stattliche Anzahl Wörter in den Laptop getippt.
Bei meinem morgendlichen Lauf durch den Park hielt ich die Augen diesmal besonders offen. Ich umrundete wie gewöhnlich den See und mein Blick ruhte mehr auf der Wasseroberfläche, als auf dem Weg vor mir. Der Weg um das Gewässer war ungefähr zwei Kilometer lang und es gab einige Stellen an denen Seerosen wuchsen. Dort konnte ich nicht viel sehen, aber ich war mir sicher, dass die Taucher dort besonders gründlich gesucht hatten. Entlang des Ufers sah ich auch keine Ungewöhnlichkeiten. Ich erwartete zwar nicht, einfach so im Vorbeilaufen eine Leiche zu entdecken, aber ein wenig enttäuscht war ich schon. Nun wäre ich auf Neuigkeiten aus der Zeitung angewiesen.
Dann fiel mir der Penner ein, der neulich am Brunnen schlief. Möglicherweise hatte er etwas gesehen, deshalb beschloss ich, ihn zu fragen, falls ich ihn dort antraf. Und wirklich hatte er sich wieder mit einer Zeitung zugedeckt. Ich baute mich vor seiner Bank auf und räusperte mich.
»Hallo!«
Das Papier raschelte ein wenig und unwilliges Gemurmel erklang. Unwillkürlich stahl sich eine Szene in meinen Kopf. Die Mutter streckt den Kopf durch die Tür: »He, Du musst aufstehen und zur Schule.« Fast hätte ich erwartet, der Penner würde sich umdrehen und murmeln: »Nur noch fünf Minuten.«
»Wachen Sie auf, verdammt!«
»Was ist denn los? Können Sie mich nicht einfach in Ruhe lassen?«
»Erinnern Sie sich daran, wie hier vor ein paar Tagen die Polizisten mit den Hunden waren?«
Jetzt kam Bewegung in den Mann und er setzte sich auf. »Ach, Sie sind das! Danke für die Warnung, Mann.«
Ich winkte ab. »Keine Ursache. Die Cops haben nach einem Jungen gesucht.«
»Wirklich? Hat er was geklaut? Ich habe nichts gesehen.«
Ich zückte meine Brieftasche und hielt im einen Geldschein entgegen. Der Penner bekam leuchtende Augen und leckte sich über die spröden Lippen. Ich gab die Personenbeschreibung aus der Zeitung wieder, so gut ich mich erinnern konnte.
»Junge mit dunkeln Haaren, etwa 12 Jahre alt? So einen habe ich da hinten auf der Wiese Fußball spielen sehen. Bis er den Ball durch die Scheibe von dem Haus da geballert hat, da hat er wohl Schiss gekriegt und ist abgehauen.«
»In das Haus dort?«, ich zeigte auf mein Heim.
»Ja, ganz genau. Der ist gerannt, als müsste er die Olympiade gewinnen!«
Ich traute meinen Ohren nicht. Ich hatte mir das zerstörte Fenster also nicht eingebildet. Aber jetzt war es wieder ganz, wie konnte das angehen?
»Danke«, murmelte ich in Gedanken versunken und reichte dem Obdachlosen den Schein, den er schnell in seiner Jackentasche verwinden ließ.
»Ist Ihnen nicht gut, Mann?«
»Doch, doch«, sagte ich abwesend. Plötzlich war ich - beziehungsweise mein Haus - in diesen Fall verwickelt. Naja, vielleicht war das übertrieben, aber wenn die Bullen hier weiter rumschnüffelten und den Penner befragten, würden sie sicher auch zu mir kommen und sich das Fenster ansehen wollen, das wieder ganz war. Wenn sie keine anderen Spuren fanden, war ich als Eigentümer des Hauses der einzige Verdächtige. Mord aus Vergeltung für eine kaputte Scheibe, so absurd sich das auch Anhören mochte. Als ich endlich wieder aufsah, war der Penner verschwunden. Ich musste eine furchterregende Figur abgeben, oder er sorgte sich darum, dass ich den Geldschein zurückfordern könnte. Wie gewöhnlich machte ich mich auf den Weg zur Bäckerei, doch heute war mir die Zeitung wichtiger als die Brötchen.
Hektisch und fahrig blätterte ich durch die Seiten, doch zu meiner maßlosen Enttäuschung gab es in dieser Ausgabe keinen Artikel