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zu ihnen, meinte Gwen, und so tauften sie ihr Gefährt einfach Barbarix. Zusammen hatten sie schon viele aufregende Zeiten erlebt und auch viele schwierige Fälle gelöst. Sie waren beide ebenso schlau, wie damals Barbarix.

      Dieser Idiot wird sich noch umbringen, grollte Stefan zu sich selbst, als er merkte, dass der Wagen hinter ihnen mit einer irren Geschwindigkeit dabei war, den Notarztwagen und ihn selbst zu überholen. Im Bruchteil einer Sekunde war der Wagen an ihnen vorbeigeschossen. Ein roter Porsche, war ja klar, dachte Stefan und schrie aufgebracht dem davonbrausenden Wagen hinterher: »Du Penner, muss das denn sein?«

      Da bremste dieser abrupt ab, als wenn er es gehört hätte, und bog scharf links in die Seitenstraße ein, wo er sich plötzlich einem Kleintransporter gegenüber sah. Nur eine Vollbremsung der beiden Wagen konnte einen Zusammenstoß vermeiden. Reifen quietschten und eine graublaue stinkende Wolke von verbranntem Gummi umgab die beiden Fahrzeuge, als sie zum Stillstand kamen.

      Stefan riss erschrocken die Augen auf und erfasste im Bruchteil einer Sekunde die Situation. Er erkannte wie der rote Porsche und ein weißer Lieferwagen mit Aufschrift an den Seiten, im Abstand von nur wenigen Metern voreinander, zum Stillstand gekommen waren. Beide Fahrer saßen erschrocken in ihren Fahrzeugen und schienen unverletzt. Seine Ladung wird der Transporter erst einmal neu sortieren dürfen, dachte Stefan und offensichtlich brauchten sie seine Hilfe im Moment nicht. Gerne wäre Stefan ausgestiegen, um dem Porschefahrer seine Meinung zu sagen, aber dazu war jetzt keine Zeit. Sein Freund brauchte dringend einen Arzt. Das war das Wichtigste. Stefan deutete dem Notarzt hinter ihm durch ein Handzeichen aus dem Fenster an, dass sie weiterfahren würden und gab Gas.

      ♦♦♦

      Die verbleibende Fahrt zum Krankenhaus dauerte keine zehn Minuten. Mit quietschenden Reifen kamen der Streifenwagen und der Notarztwagen vor der Notaufnahme zum Stehen. Die Ärzte im Bundeswehrkrankenhaus waren informiert und warteten bereits. Mit sorgenvoller Miene entstieg Gwen dem Wagen und stolperte hektisch in Richtung Eingang der Notaufnahme. Dr. Michael Peters öffnete die hinteren Türen des Notarztwagens, lief zu Gwen und nahm sie in die Arme. Er drückte sie fest an sich und sie wandten sich von ihrem Mann ab, der bereits auf der Trage und auf dem Weg in den Untersuchungsraum war.

      »Du musst nun sehr tapfer sein, Gwen«, flüsterte Michael und fuhr fort. »Dein Mann hatte während der Fahrt einen weiteren Herzstillstand erlitten. Wir konnten nichts mehr tun und die letzte Hoffnung liegt bei den Ärzten hier im Krankenhaus.«

      Gwen ließ ihren Gefühlen freien Lauf und schluchzte laut auf. Michael drückte sie noch fester an sich und strich ihr mit einer Hand über ihr langes Haar. Gwen konnte ihre Tränen nicht mehr halten und sackte in Michaels Armen zusammen. Mehrere Minuten standen sie so da und Michael versuchte, Gwen durch sanfte Worte und Streicheln ihres Nackens zu beruhigen.

      »Lasst uns doch reingehen, ihr erkältet euch noch«, sagte Stefan und mit den Worten: »Ich fahre kurz den Wagen auf den Parkplatz«, verschwand er auch gleich wieder.

      Minuten darauf trafen sich Michael, Gwen und Stefan im Warteraum wieder. Es war ein kalter und steril wirkender Raum. Ohne Atmosphäre und das Weiß an den Wänden war alles andere als beruhigend. Lediglich das Bild eines Sonnenunterganges hing an einer Seite des Raumes, der ansonsten nur mit Plastikstühlen an den Wänden und einem Tisch in der Ecke bestückt war.

      Gwen hatte sich etwas beruhigt und wandte sich mit fragendem Blick an Stefan.

      »Was soll nur werden, wenn Paul jetzt stirbt? Wie soll ich ohne ihn weiterleben? Was wird aus Phil? Wie soll ich das alleine alles unter einen Hut bringen?«

      Stefan trat einen Schritt auf Gwen zu und umarmte sie. »Soweit muss es nicht kommen Gwen, die Ärzte bemühen sich um Paul so gut es geht. Du darfst die Hoffnung nicht verlieren.«

      Stefans Worte waren noch nicht ganz ausgesprochen, als sich die Tür zum Untersuchungszimmer öffnete und ein Arzt mit Unheil verkündender Miene herauskam. Stefan und Michael ahnten nichts Gutes, für Gwen war es bereits in diesem Moment Gewissheit. »Neeeeeiiiiiin!«, schrie sie auf und ihre Beine versagten ihren Dienst. Stefan fing sie gerade noch auf, bevor sie auf dem Boden aufschlug. Er setzte sie auf dem nächsten Stuhl ab. Der Arzt nickte Dr. Peters zu, um Gwens Vermutung wortlos zu bestätigen. Dann wandte er sich an Gwen, die ihr Bewusstsein gerade noch behalten konnte.

      »Es tut mir sehr leid, Frau Fisher, wir konnten nichts mehr tun.« Nach einer kurzen Pause fügte er hinzu: »Mein herzliches Beileid für Sie.«

      Ärzte waren auch nicht die geborenen Redner, aber was hätte er in dieser Situation groß sagen sollen, dachte Stefan, während er weiterhin versuchte, Gwen zu beruhigen. Stefan deutete Michael durch ein Nicken an, er solle heranrücken, denn schließlich würden sie ohne Paul zurück nach Hause fahren müssen, um auch Beth und letztendlich Phil die schlechte Nachricht zu überbringen.

      Schweigend fuhren sie im Streifenwagen die wenigen Kilometer zurück nach Felm, einem kleinen Örtchen, den Paul und Gwen schon vor einigen Jahren als Wohnort für ihre Familie auserkoren hatten. Umgeben von Reiterhöfen, Wald und Feldern ein wunderbarer Ort für einen Heranwachsenden, um sich auszutoben sowie exzellenter Erholungswert am Abend und Wochenende für die Erwachsenen mit ihren anstrengenden Jobs unter der Woche. Das Gymnasium Kronshagen, welches Phil besuchte, lag auf halben Weg zu Gwens Arbeit, so dass sie es immer gut verbinden konnte, ihren Sohn zur Schule zu bringen.

      Gwen hatte während der gesamten Fahrt nichts gesagt. Was würde nun aus dieser Idylle werden, dachte sie. Wie soll es nun ohne Paul weitergehen? Gwen brach erneut in Tränen aus. Michael nahm sie abermals in den Arm, während Stefan den Wagen ruhig durch die Nacht gleiten ließ. Sie kamen an der Stelle vorbei, an der sich auf der Fahrt zum Krankenhaus fast ein Unfall ereignet hatte. »Zum Glück ist wohl nichts passiert«, murmelte Stefan in sich gekehrt, als er sah, dass die beiden Fahrzeuge nicht mehr da waren.

      Phil war bereits seit einigen Stunden im Bett, als Beth ihre Tochter an der Eingangstür des Hauses in Empfang nahm. Ihr geblümter Morgenmantel war kein Schutz vor der Novemberkälte und sie zitterte schon am ganzen Körper, als sie ins Freie trat. Ein Blick in die Augen ihrer Tochter sagte alles und ihr Zittern verstärkte sich nur noch mehr, als sie Gwen umarmte. »Sag mir, dass das nicht wahr ist!«, flehte sie.

      »Sie konnten leider nichts mehr für Paul tun«, erklärte Michael, dem klar war, dass Gwen in diesem Moment zu keiner Antwort fähig war. »Es tut mir so leid für Sie beide. Lassen Sie uns reingehen. Es ist sehr kalt heute Nacht.«

      Sonntag, 18. November 2012, 03:20

      ›Jeden Tag eine gute Tat‹, hatten ihm seine Eltern eingebläut. Mark Stein war glücklich und in einem Zustand größter innerer Zufriedenheit. Obwohl es spät war, hatte er seine gute Tat für heute endlich vollbracht. Nun war er müde. Nachdem er seinen Wagen in der Garage abgestellt hatte, wollte er nur noch nach Hause und ins Bett. Mark war groß, ca. 1,90 Meter und kräftig gebaut, nicht dick, und gut trainiert. Seine langen Beine trugen ihn schnellen Schrittes zurück in die Siedlung, in der sich seine kleine Wohnung befand. In den alten Bauten gab es noch keinen Luxus wie eine Tiefgarage oder Stellplätze. Wer zuerst kam, mahlte zuerst, und konnte einen der wenigen Parkplätze an der Straße ergattern. Dieses Glück war Mark selten beschert und es hatte ihn schon immer geärgert, auch im Winter und bei schlechtem Wetter erst zu seiner Garage laufen zu müssen, bevor er mit seinem Wagen zur Arbeit fahren konnte.

      Weit nach Mitternacht betrat Mark seine Einzimmerwohnung fast lautlos, um die Nachbarn im Haus nicht zu wecken. Es war eine kleine, aber sehr ordentliche Zuflucht mit allem, was man zum Leben brauchte. Ein kleines Bad, spartanisch eingerichtet mit weißen Möbeln aus dem Supermarkt, ein kombiniertes Wohn-/Schlafzimmer mit einer Ausziehcouch und eine kleine Küche. Mark lebte alleine, seitdem er bei seinen Eltern ausgezogen war. Eine Frau an seiner Seite konnte er sich zurzeit nicht vorstellen. Er lebte für seinen Beruf. Tagein, tagaus immer der gleiche Trott, aber er erfüllte ihn mit Stolz und Befriedigung. Er konnte hier wirklich etwas Gutes tun, und das jeden Tag.

      Obwohl Mark müde war, entschloss er sich, noch einen kleinen Moment mit seinen Freunden im Internet zu verbringen. Schließlich hatte er sie die letzten Tage etwas vernachlässigt. Aber es war ja für einen guten Zweck gewesen.

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