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er mit dem Betonklotz in seiner Kehle. „Fahr rechts ran“, sagte er schließlich leicht krächzend.

      „Warum?“

      „Den Rest der Strecke fahre ich. Ich kenne den Weg und ich komme nicht ständig von der Fahrbahn ab oder laufe Gefahr, mit einem anderen Auto zu kollidieren. Du kannst dich ja inzwischen aufs Ohr hauen oder auf die Unversehrtheit und Gesundheit unserer Begleitung achten. Immerhin ist sie dein Schützling.“

      „Ich mache an der nächsten Raststätte halt, wir müssen ohnehin tanken. So lange wirst du es da hinten noch aushalten, denke ich.“

      Jonathan gab lediglich ein Brummen von sich und lehnte sich rücklings gegen den Sitz.

      Die Frau schlief nach wie vor – oder war immer noch bewusstlos, eines von beidem. Auf jeden Fall ruhte ihr Kopf auf seinen Oberschenkeln, sodass er auf ihr Gesicht herabsehen konnte. Ein großes Pflaster zog sich über ihre linke Wange. Woher sie diese Verletzung wohl hatte? Ebenso wie die Restlichen?

      Langsam strich er ihr Haar zurück, es war verfilzt und leicht fettig. Sie war hübsch, auf natürliche Weise. Er persönlich mochte es nicht, wenn Frauen dickes Make-up auflegten oder aussahen, als hätten sie in einen Farbkasten gegriffen.

      Plötzlich zuckte sie zusammen, schlug die Augen auf und sah ihn erschrocken an, während sie scharf nach Luft sog.

      Ohne Frage, sie hatte einiges mitgemacht, dachte er bei sich. In ihren Augen lag ein müder und gläserner Ausdruck. Er konnte sich selbst in ihrem Blick erkennen. Nicht, weil er sich in ihrer Iris spiegelte, sondern weil er diesen Ausdruck im Spiegel gesehen hatte, noch immer sehen konnte.

      „Was … Wo …“ Sie wollte sich aufrichten.

      „Es ist alles in Ordnung“, beeilte er sich zu sagen und hielt sie an den Schultern zurück. „Du bist in Sicherheit.“

      „Sicherheit?“ Sie wiederholte das Wort fragend und gleichsam anklagend. „Das hast du schon mal gesagt und dann hast du mich aus dem Krankenhaus entführt und in diesen Wagen verfrachtet. Also sag mir nicht, dass ich in Sicherheit bin.“ Sie atmete schwer. „Wohin bringt ihr mich? Wer seid ihr?“ Ihr Blick flog unruhig hin und her.

      „Marah?“ Er wandte sich nach vorne. „Sind wir bald an der nächsten Raststätte angelangt? Ich glaube, es wäre gut, wenn wir eine kurze Pause einlegen, damit Gwen ein wenig Frischluft schnappen und etwas essen kann.“

      „Was wollt ihr von mir? Und woher kennt ihr meinen Namen? Ich habe niemandem gesagt, wie ich heiße. Ich habe gesagt, dass ich mich an nichts erinnern kann. Woher wusstet ihr, dass ich in diesem Krankenhaus bin?“

      „Wir sind … Hekate schickt uns.“ Der Name ging ihm nur widerwillig über die Lippen. „Wir sind Freunde. Das am Steuer ist Marah, ich bin Jonathan“, schloss er versöhnlich.

      „Noch sieben Kilometer, dann kann ich abfahren“, meldete sich Marah zu Wort.

      Skepsis und Unglauben standen auf ihrem Gesicht geschrieben. Entweder war sie nach den vergangenen Ereignissen nun vor allem und jedem auf der Hut oder sie war von Haus auf eine vorsichtige Persönlichkeit. Allerdings musste er zugeben, dass es nicht gerade alltäglich war, dass man aus einem Krankenhaus gekidnappt wurde. Daher war ihr Misstrauen wohl gerechtfertigt.

      „Glaub mir, würden wir etwas Böses im Schilde führen, würden wir nicht anhalten um dir eine Pause zu gönnen. Schon gar nicht auf einem öffentlichen Rastplatz, wo du leicht weglaufen kannst oder von einer Menge Menschen gesehen wirst“, versuchte er sie weiter von ihren guten Absichten zu überzeugen. „Allerdings sollte unser Zwischenstopp nicht zu lange dauern. Immerhin sind wir vor deinen Verfolgern auf der Flucht. Wer weiß, wo sich die alle herumtreiben.“

      „Verfolgern?“ Sie setzte sich auf.

      War sie tatsächlich unwissend oder tat sie nur so? Möglicherweise war sie auch durch und durch naiv. „Allerdings. Zum Beispiel deinem Sensatenfreund aus dem Krankenhaus.“

      Ein kurzes Zucken ging durch ihren Körper. Die restliche Fahrt bis zur Raststätte blieb sie stumm und in Gedanken versunken.

      * * *

      Zehn Minuten später fuhren sie von der Autobahn ab auf einen großen Parkplatz. Gwen hatte immer noch keine Ahnung, ob die beiden die Wahrheit sagten und sie wirklich in Sicherheit bringen wollten. Obendrein war ihr nicht mal zur Gänze bewusst, vor was – oder wem – genau sie in Sicherheit gebracht werden musste.

      „Bist du fit genug, um Auszusteigen?“, fragte Jonathan.

      „Das kriege ich schon hin. Allerdings“, sie sah an sich herunter, „falle ich wohl ziemlich auf, wenn ich so rausgehe.“ Sie trug immer noch das weiße Krankenhausnachthemd.

      Die Schiebetür glitt auf und die Frau kletterte in den Van. Sie war in etwa so alt wie sie selbst, hatte blondes Haar, das sie zu einem lässigen Zopf gebunden trug und blaue Augen. Ihre Hose war in kurze Schnürstiefel gesteckt. „Kein Problem. Ich habe jede Menge Ersatzklamotten dabei.“ Sie griff auf die hintere Sitzreihe und zog eine Tasche nach vorne. „Such dir einfach was aus. Da hinten liegen auch noch Schuhe und eine Jacke. Wir warten draußen, während du dich umziehst.“

      „Danke.“

      Marah fing ihren Blick ein. „Wir wollen dich wirklich nur beschützen“, fügte sie warm lächelnd hinzu. „Das einzige, um das du dir Sorgen machen musst, sind höchstens Jonathans Manieren.“

      „Herzlichen Dank auch“, kam es säuerlich von Besagtem, ehe er sich seine Jacke griff und aus dem Van sprang. Einen Augenblick später folgte die Frau ihm und schloss die Schiebetür.

      Gwen starrte unschlüssig durch die geschwärzten Scheiben nach draußen, wo Marah und Jonathan standen. Eigentlich hatte sie nicht das Gefühl, dass die beiden logen, doch war sie sich nicht mehr sicher, ob sie ihrem Gefühl über den Weg trauen konnte. Womöglich wollte sie einfach nur glauben, dass die beiden ihr Bestes wollten.

      Gedämpft reichten Bruchstücke eines Gesprächs an ihr Ohr.

      … durch den Wind …

      … keine gute Idee …

      … Verletzungen … auffallen …

      … spät nachts …

      Langsam zog sie die Infusionsnadel aus ihrem Unterarm und drückte eine Weile auf die offene Stelle. Dann griff sie ein langärmliges Shirt, Jeans und Socken aus der Tasche, schlüpfte hinein, schnürte die Sneakers und zog sich die Jacke über. Über ihren Körper zogen sich immer noch eine Menge blaue Flecken und natürlich Schnitte. Sie vermutete, dass man die Wunde an ihrer Wange genäht und anschließend ein Pflaster darüber geklebt hatte, damit sie nicht daran herumnestelte oder Dreck an die Verletzung kam. Mit einem Schauder erinnerte sie sich daran, wie Céstine erst das Messer, dann ihre Fingernägel in ihre Haut gebohrt hatte.

      Unwillkürlich hob sie die Finger an das Pflaster. Es war groß – weil der Schnitt groß war. Womöglich würde eine Narbe zurückbleiben. Mitten in ihrem Gesicht. Sie kniff die Augen zusammen.

      Von außen her pochte es an der Scheibe. „Bist du fertig?“

      „Ja, ich komme.“ Sie trat an die Schiebetür heran, öffnete sie und kletterte langsam nach draußen, die Belastbarkeit ihrer Füße testend.

      „Wie gesagt, wir sollten uns nicht zu lange hier aufhalten. Du kannst auf die Toilette gehen, dich frisch machen, ein wenig Luft schnappen und eine Kleinigkeit essen, aber alles in zügigem Tempo“, klärte Jonathan sie auf. „Geht schon mal vor, ich tanke währenddessen und komme dann nach.“

      „In Ordnung“, entgegnete Marah und bedeutete ihr mit einem Nicken, ihr zu folgen. „Wie geht es dir?“

      Gwen drehte den Kopf seitlich. „Ich weiß nicht genau“, sagte sie seufzend.

      „Hast du Schmerzen?“

      „Die Schmerzmittel vom Krankenhaus halten noch her. Mir ist nur ein bisschen übel und mein Kopf

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