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Das Deutsch Haus. Helmut H. Schulz
Читать онлайн.Название Das Deutsch Haus
Год выпуска 0
isbn 9783738009286
Автор произведения Helmut H. Schulz
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
Mit Bootshaken zogen sie den schon leblosen Mann heran und verholten ihn an Bord. Die Aktion war geglückt und Hartmann erinnerte sich wieder der Ruhe, die über ihn gekommen war, ob der Befriedigung über diesen Ausgang. Der Wachführer, den er nach vorn geschickt hatte, meldete einige, dem Augenschein nach unbedeutende Schäden am eigenen Bug. War auch die Schwere des Rammens nicht voraus zu berechnen gewesen, so war das Manöver im Großen und Ganzen gut ausgegangen, das eigene Boot manövrierfähig geblieben, das fremde gestoppt und der Grenzverletzer gestellt, somit der Auftrag erfüllt. Dass diese Geschichte ein Nachspiel haben würde, war ihm, Hartmann, allerdings klar gewesen; alles würde auf die Bewertung seiner Handlungen durch die Führung ankommen. Nun, in diesem Augenblick mochten die positiven Empfindungen überwogen haben, gleich, was danach kommen würde. Er musste sich dann wohl dem nächstliegenden zugewendet haben, der Rettung des Bootsführers; ihn zu töten oder schwer zu verletzten, hatte nie in seiner Absicht gelegen. Der kräftige junge Kerl, den sie aus dem Wasser gefischt hatten, war unter den Händen der Helfer in der Messe rasch wieder zu sich gekommen; er würde das kalte Bad unbeschadet überstehen, wie der Stellvertreter meldete. Zeit und Ort des Ereignisses, die Schilderung der Umstände dieser Aktion schriftlich festzuhalten, die Landbasis zu informieren, Befehle abzuwarten, der Mannschaft zu danken; dies war noch zu leisten und auf Heimatkurs nach Saßnitz zu gehen oder wohin der Chef das Boot geführt haben wollte. Übrigens entsann sich Hartmann seiner Verwunderung damals, dass dieses Holzschiff ein Fahrzeug wie das seine aus bestem Schiffsstahl beim Rammen überhaupt zu beschädigen vermocht hatte; aus einem zu spät bestoppten Anlauf hätte leicht ein Überlaufen des Kutters werden können mit erheblich größeren Schäden an den eigenen empfindlichen Schrauben. Dass im letzten Seekrieg Rammstöße häufiger waren, wusste er aus dem theoretischen Unterricht, hatte aber nie damit gerechnet, ein solches Manöver einmal ausführen zu müssen.
Während Hartmann seine Aufzeichnungen für den Rapport überprüfte, die Ohrmuscheln des Kopfhörers angeklemmt, erschien sein Politstellvertreter und erklärte stotternd, dass sich laut Aussage des Festgenommenen noch zwei weitere Personen an Bord befunden hatten, seine Frau und die Tochter, ein Kind, beide von ihnen unbemerkt, im Ruderhaus kauernd. Hartmann erinnerte sich nur zu gut dieses Augenblicks der Unheilbotschaft; sie starrten beide auf das inzwischen kieloben treibende, von den Brechern überrollte Boot, dessen Schicksal besiegelt war. Seit der Bergung und Wiederbelebung des Kutterführers, seit sie das treibende Kutterwrack, auf Befehle wartend, in langsamer Fahrt umkreist hatten, mochte eine Stunde vergangen sein, eine für Schiffbrüchige im eiskalten Ostseewasser absolut tödliche Zeit. Zwar hatte er zwei Männer, Freiwillige, zum Tauchgang hinübergeschickt; sie kehrten bald an Bord zurück; die Suche nach den Toten wurde aufgegeben. Endlich konnte er, Hartmann, das Unternehmen mit dem Befehl zur Heimfahrt abbrechen; bei Schneetreiben und Sturm herrschte in dem auf Heimatkurs liegenden Boot, den Kutter im Schlepp, eine bedrückende Stille. Die junge Mannschaft stand unter dem Eindruck des Geschehens. Der Tod fuhr mit diesem, ihrem so energischen wie glücklosen Kommandanten. Nach außen gelassen und gleichmütig taten die Stabsmatrosen ihren Dienst, vermieden aber laute und private Gespräche. Als die Backschafter in der Mannschaftsmesse auftischten, kauten und schluckten die Männer, was man ihnen vorsetzte wie an einer Henkersmahlzeit. Hartmann sah vorwurfsvolle und verschlossene Gesichter, als er die Messe betrat, um ein paar Worte zu sprechen. Bei den Offizieren auf der Brücke war die Stimmung anders, aber kaum besser, keiner sprach, wie naheliegend, über den Vorfall. Um etwas zu tun, hatte sich Hartmann den Gefangenen vorgenommen und ihn zum Sprechen gebracht. Der Mann saß in trockenen Sachen vor ihm und schluckte heißen Tee, während er berichtete. Seine Geschichte fügte sich zu diesem Bild zusammen.
Er wollte in Eberswalde eine gut gehende Reparaturwerkstatt betrieben, einen Einmannbetrieb, und Fahrzeuge für Behinderte umgebaut und damit gut verdient haben. Einen materiellen Grund abzuhauen, hatte er nicht, wie ja übrigens die Mehrzahl der Flüchtlinge aus gesicherten Verhältnissen heraus die Flucht in den Westen antraten, in guten Verhältnissen gelebt hatten. Von der polnischen Küstenwache unbemerkt oder nicht aufgehalten, war er in See gegangen, mit dem von ihm im Tausch gegen ein Auto und einer Zuzahlung erworbenen Fischkutter. Polen wollte er aus geschäftlichen Gründen öfter besucht haben, was ihm auch erlaubt worden war, trotz der angespannten staatlichen Beziehungen zum sozialistischen Brudervolk. Die Jahreszeit erschien ihm wegen der häufigen Schlechtwetterphasen günstig für eine Flucht, aber seine Frau hatte er doch erst an Bord zur Flucht überredet. Sie hatte geglaubt, auf einer kurzen Probefahrt zu sein. Die Frage des Gefangenen, ob er seine Frau sprechen könne, ließ Hartmann unbeantwortet. Aufgrund seines früheren Dienstes bei der Marine hatte sich der Gerettete für befähigt genug gehalten, ein Boot siebzig oder einiges mehr an Seemeilen auch bei Schlechtwetter mit Frau und Tochter nach Bornholm zu bringen.
Er markierte Stumpfsinn, als ihm Hartmann Schuld am Tode der Frau und seines Kindes vorhielt; brabbelte etwas von Weihnachten in Spanien und von einer Tankstelle, die er sich einrichten wolle. Den Gefangenen Handfesseln anzulegen, wie ihm Hartmann befahl, war der Stellvertreter zögernd nachgekommen; Hartmann mochte es, nach dem, was vorgefallen war, gereizt haben, herauszukriegen, wie weit er gehen konnte, bis ihm widersprochen wurde. Er hatte vielleicht der berüchtigte Master next God sein wollen, für eine kurze Zeit. Über seinen Befehl dachte er heute wie damals; Fesselung war bei einem so unternehmenden Mann zu ihrer aller Sicherheit vernünftig gewesen und hatte natürlich nur solange gedauert, bis sie den Mann abgeliefert hatten.
Auch die Rückfahrt verlief schlecht; die schwache Schlepptrosse brach und sie mussten das Kutterwrack aufgeben; es sank sehr schnell. Die Position des Wracks hielten sie für den Fall fest, dass es geborgen werden musste. Vor dem Einlaufen in den Standort hatte Hartmann der Mannschaft seine Anerkennung für die bestandene Prüfung aussprechen wollen, um ihnen das Schuldgefühl zu nehmen. Dass auf See die Beziehungen der Menschen untereinander, auch zu einem Feind anders sind, als an Land, verstand er immerhin. Hier hatten Seeleute einem Kameraden Schaden zugefügt. Angesichts der Stimmung verzichtete er darauf, wollte sich nicht anbiedern und überließ es dem Stellvertreter, die Männer politisch wieder auf Linie zu bringen. Übrigens hatte sich wohl auch nicht nur einer unter der Mannschaft befunden, der als geheimer Informant in seinem Bericht deutlicher werden konnte. Immerhin galten die Raketniks als ausgesucht zuverlässige Kämpfer der sozialistischen Sache, und dass ihm die Anwesenheit der beiden Ertrunkenen entgangen war, die laut Aussage des Gefangenen zu seinen Füßen im Ruderhaus gekauert hatten, hielt Hartmann auch heute nach mehr als dreißig Jahren noch für sein persönliches Versagen; anders hätten alle drei vielleicht noch leben können.
Mit den Jahren verwuchs sich die Erinnerung an das Ereignis, aber nun sollte auf Betreiben des geretteten Bootsführers, damals mit ein paar Jahren Haft bestraft und bald von der Bundesrepublik herausgekauft, der Fall juristisch aufgerollt werden. Damals war er, Hartmann, abgelöst und vom Dienst suspendiert, nach Abschluss der Untersuchung aber dekoriert und befördert worden. Hätte er, wie ihm sein Wachoffizier damals vorsichtig nahegelegt, den Mann samt Kutter entkommen lassen, würde ihm vermutlich nicht viel passiert sein, wie er sich bestätigte, und jedenfalls würde er nicht mit einem Verfahren rechnen müssen, das übel für ihn ausgehen konnte. Ob einer der ihm damals Unterstellten noch lebte, und für ihn aussagen würde? Und ob er sich in dieses Verfahren hineinziehen lassen wollte, sollte er noch leben, dies alles war ganz offen.
Als der Bus bei dem kleinen Ort Kuhle hielt, um die Fahrt in Richtung Bug fortzusetzen, sprach ihn die junge Frau an; verwundert fragte sie, ob sie denn nicht nach Juliusruh führen, da sie doch einen Dauerfahrschein beim Fahrer vorgezeigt habe. Hartmann klärte sie darüber auf, dass sie in die falsche Richtung geraten war, bis zum letzten Halt