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Transasia. Von Karachi nach Beijing. Ludwig Witzani
Читать онлайн.Название Transasia. Von Karachi nach Beijing
Год выпуска 0
isbn 9783753156163
Автор произведения Ludwig Witzani
Жанр Изобразительное искусство, фотография
Издательство Bookwire
Noch spannender als diese Detailansichten pakistanischer Erziehung war der Stopp an der Polizeistation hinter Chaukundi, an der wir gestern hatten umkehren müssen. Diesmal schoben drei andere Soldaten Dienst, waren aber mit erkennbar weniger Elan bei der Sache als ihre Kollegen gestern. Ein kurzer Blick in den Bus genügte, und wir konnten weiterfahren.
Beim nächsten Stopp in einem namenlosen Dorf im Nirgendwo betrat ein islamischer Prediger den Bus. Ohne sich um die Aufmerksamkeit der Fahrgäste im geringsten zu kümmern, begann er sofort mit einem eintönigen Salbader, das alles Mögliche bedeuten mochte, ohne dass es die Zuhörer sonderlich beeindruckt hätte. Der Prediger besaß eine sehnige Figur und ein asketisches Gesicht und glich ein wenig dem Klischee des klassischen mohammedanischen Sufis, jener Gilde heiliger Männer, die seit dem 8. Jahrhundert durch den Sindh und später durch den Punjab gezogen waren und gegen die Ungerechtigkeiten der Sultane gepredigt hatten. Ihr Vorbild und ihre Bereitschaft zum Märtyrertum hatten mehr als alle gewalttätigen Massenbekehrungen dazu beigetragen, dass diese Region Alt-Indiens so früh dem Islam anheimgefallen war.
Auch heute noch predigten ihre Nachfolger gegen die politische Korruption in Islamabad und die Raffgier der Großgrundbesitzer. Was die Bestrafung von Übeltätern betraf, vertraten sie die Scharia, nach der ein Dieb mit seiner Hand und der Mörder mit seinem Leben büßen muss. Nun stiegen sie sogar in die Fernreisebusse, was immerhin den Vorteil hatte, dass ihnen niemand davonlaufen konnte. Trotzdem gelang es dem jungen Mullah mit seinem gutmütigen Auftreten nicht wirklich, die Aufmerksamkeit der Passagiere auf sich zu ziehen. Er zog stimmlich gegenüber einem Wasserverkäufer den Kürzeren, der an der nächsten Haltestelle den Bus betrat und, unbeeindruckt von dem frommen Mann, voller Inbrunst seine Erfrischungen anpries.
Draußen zog die Landschaft des südlichen Sindh vorüber. Im flimmernden Dunst der Mittagshitze verschmolzen die Umrisse von Akazien, Ruinen und Lehmhöfen zu bizarren Silhouetten. Manchmal standen defekte Lastwagen am Straßenrand, Öl lief auf die schwarzgebrannte Erde, und ein pakistanischer Fahrer lag wie leblos im Schatten seines Wagens. Überblickte man die gleichförmigen Ebenen auf beiden Seiten der Straße, wunderte man sich, dass in dieser Mondlandschaft überhaupt Menschen leben konnten. Die meisten flohen nach Karachi und Hyderabad, grotesk expandierenden Millionenstädten inmitten einer langsam versteppenden Landschaft. Die verbleibenden Bauern, die sich mit Viehzucht, Baumwoll- und Gemüseanbau durchschlugen, standen unter der Kontrolle der Großgrundbesitzer und wussten oft keinen anderen Ausweg als die Flucht in das Banditentum.
Zum Glück war von den Räuberbanden an diesem Tag nichts zu sehen. Vielleicht war es auch einfach zu heiß für einen Überfall. Die Sonne näherte sich ihrem Zenit, und rechts und links der Straße verdorrte der Ginster in der gnadenlosen Hitze.
Inzwischen hatten wir den Bezirk von Bhanbore erreicht, den Ort, an dem Alexander der Große nach seinem Zug durch den Punjab im Jahre 327 v. Chr. nur kurz vor weiteren indischen Eroberungen verschnaufen wollte, ehe er unter dem Druck seiner makedonischen Gefolgschaft eine unerwartet frühe Heimreise antreten musste.
Über eintausend Jahre sollten danach vergehen, bis ein zweiter Feldherr im Jahre 711 seinen Fuß auf den Boden des Sindh setzte: Muhammad ibn al-Qasim, mit neunzehn Jahren noch jünger als Alexander, stieg aus dem Hochland des Iran herab und unterwarf an der Spizte seiner Kamelreiterarmee den Sindh für den Kalifen in Damaskus. Dieser Dienst wurde ihm schlecht vergolten, denn der Kalif ließ ihn nach seiner erfolgreichen Eroberung heimrufen und, eingenäht in nasse Kuhhäute, in den Tigris werfen.
Auf Muhammad ibn al-Qasim und seine Kamelreitersoldaten folgten im Laufe der nächsten Jahrhunderte Iraner, afrikanische Sklaven, Rajastanis, Türken, Belutschistanis und Araber und bildeten in ihrer Gesamtheit die kosmopolitischen Fermente, aus denen die Bevölkerung des Sindh entstand. Im elften Jahrhundert, als der Sindh als Randposten der muslimischen Welt bereits fest in die islamische Ökumene integriert war, etablierte sich die Somra-Dynastie und erklärte die Herrschaft des Kalifen für beendet. Die Somra mussten im 14. Jahrhundert den Samme weichen, und diese unterlagen im 16. Jahrhundert den Arghunen und Tarkhanen. Eine jede dieser Dynastien richtete zu Beginn ihrer Regierungszeit ein Blutbad unter den überlebenden Angehörigen des alten Herrscherhauses an, baute Moscheen für das Freitagsgebet, hielt die Bewässerungsanlagen instand, errichtete Festungen und versuchte sich aus den Konflikten der Herrscher von Kabul, Lahore oder Isfahan herauszuhalten. Beschäftigte man sich ein wenig mit ihren Biografien, gewann man den Eindruck, dass sie zu Lebzeiten nichts Besseres zu tun gehabt hatten, als sich so schnell wie möglich gegenseitig unter die harte Erde der Makli-Hügel zu bringen.
Eintracht herrschte nur unter den Toten, die von den Angehörigen der Nachwelt in ihren Mausoleen besucht werden konnten. Nichts war von ihnen geblieben außer einer schier unvorstellbaren Zahl von Gräbern auf dem großen Hügel von Makli, einige Kilometer westlich von Thatta.
Dreihunderttausend, fünfhunderttausend oder gar eine Million Menschen sollen hier im Laufe eines halben Jahrtausends begraben worden sein: Sultane, Minister, Generäle, Künstler, Dichter, Musiker, Sufis - aber auch eine unüberschaubare Zahl einfacher Sindhis hatten auf in den Hügeln von Makli ihre letzte Ruhe gefunden.
Der Bus aus Karachi hielt genau am Eingang der Grabhügel, und der erste Blick fiel auf eine in der Gluthitze des Mittags flimmernde Wüstenlandschaft. Die Ticketverkäufer hatten vor der Hitze das Weite gesucht, so dass ich die größte Nekropole der Erde zum Nulltarif besuchen durfte. Allein und ungestört durchwanderte ich ein Freilichtmuseum der mohammedanischen Architektur und bestaunte Mausoleen mit großen Kenotaphen im Zentrum ihrer Höfe. Ich betrachtete die Portale mit ihren blau-weißen Glasuren und fuhr mit den Fingern über die Ornamentik persischer Schriftzeichen und Girlanden.
Sultansgräber auf dem Totenhügel der großen Nekropole von Makli
Je länger ich über das fünfzehn Quadratkilometer große Grabgelände wanderte, desto weiter zurück in die Vergangenheit führten die Gräber. Bald wurden die monumentalen Portale und Mauern seltener. Ich ging über ein Meer aus Steinen, zerbrochenen Schildern, Platten oder zerbröselten Steinplatten über die Gräber der Unzähligen. Gerade diese unscheinbaren Passagen des Makli-Hügels wurden von den Einheimischen am meisten besucht. Hier erhob sich über Millionen von Knochen eine grün gekachelte stillos-kitschige Moschee, in deren Umkreis sich die Wünsche der unfruchtbaren Frauen, der Gebrechlichen und der Armen mit den Anpreisungen der Obst-und Wasserverkäufer zu einer bizarren Melange der Hoffnung verbanden. So wie im Umkreis der Fürstengräber der Kontrast zwischen der Namenlosigkeit der Despoten und der Dauer ihrer Gräber frappierte, so überraschte auf den Feldern der einfachen Toten das völlige Fehlen jeglicher Ästhetik.
Pilgergruppen aus Karachi, Thatta und Hyderabad entstiegen ihren Reisebussen vor dem Eingang der grünen Moschee, durchwanderten den Umkreis des Gotteshauses, beteten oder schliefen im Schatten und versammelten sich anschließend zu einem makabren Picknick auf dem Hügel der Toten. Manchmal improvisierten die Pilger auf den Gräberfeldern auch eine Art Freiluftmoschee, indem sie Teppiche über die Steine rollten, Pflöcke in die Erde steckten und über das gesamte Gelände große Ballen weißer Tuche spannten. Koran-Exemplare, Megaphone, und Schemel - nichts fehlte der Gemeinde, als sie sich im Licht des späten Nachmittags gen Mekka verneigte. Sogar Kanister mit frischem Wasser standen im Schatten der improvisierten Moschee für jedermann bereit, auch für einen Wanderer wie mich, der sich auf