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auf, in der das Erbrochene wie eine Pfütze stand und sich Millimeter für Millimeter zum Rand quälte. Es dauerte einige Sekunden bis Mike begriff, was ich ihm da erzählte, dann brach er in ein hysterisches, hohes Gelächter aus, in das ich nur mehr einstimmen konnte. Wir warteten neugierig auf den Lauf der Dinge – doch nichts geschah – das Erbrochene hing zwar unheilvoll und schwer in dem imprägnierten Stoff, so wie das Wasser nach einem Regen, doch der Rand war zu hoch, um meinen Mageninhalt freizugeben. Erst als wir später, von unnatürlichem Hunger getrieben, gemeinsam etwas Schafkäse, Oliven und Weißbrot beim Griechen kauften, der in der Nähe des bewussten Standes war, fiel dem Inhaber des Marktstandes die Beule im Stoff auf. Wütend sah er am Plafond. Ungeduldig warteten seiner Kunden. Er nahm eine Holzstange und stieß erbost in die Höhe. Das Erbrochene platschte im Bogen auf seine Kunden, die sich vor Ekel schüttelten. Wir machten uns aus dem Staub und kicherten verhalten. Ich glaube, an jenem Tag wurde Mike, der sich bis jetzt distanziert und kühl zu mir verhalten hatte, mein Freund. Ich dachte erheitert an das Erbrochene im Gang der Schule, über das die Oberstufenschüler geschlittert waren.

      Am nächsten Mittag machte ich mich nach meinen Yogaübungen, die ich mit gewissenhafter Regelmäßigkeit in der Früh absolvierte, am Weg ins Café Albert, das gegenüber dem Hirschhofer gelegen war. Über das Café Albert wusste ich mittlerweile, dass manche Schüler, die nicht den Unterricht besuchen wollten, oder ihm am späten Vormittag fernblieben, bei Kaffee und Zigaretten anzutreffen waren. Wer gar nichts, oder nur ein belegtes Brot essen wollte, war in diesem räumlich eher beschränkten Lokal, das damals auch noch ein Kino mit Tagesvorstellung war, gut aufgehoben. Ich hoffte, Tommy dort vorzufinden. Er hatte mir anvertraut, dass ich, wenn ich ihn sehen wollte, einfach ins Café Albert vorbei schauen sollte. Falls er die Schule schwänzte, hielte er sich da manchmal zum Nachdenken auf. Erst am späten Nachmittag, wenn er die Schule auch wirklich besuchte, würde er eher ins Buwo gehen.

      Das Lokal war voller bekannter Gesichter. Sie saßen um die winzigen, einbeinigen Tischchen, oder lümmelten an der Theke. Tommy war gerade ins Gespräch mit Richard vertieft, der mir wie ein gewiefter Schönling und Frauenliebling vorkam. Seine Brauen waren zynisch hochgezogen, seine Mundwinkel drückten Arroganz aus. Er hatte den Oberkörper zurückgenommen und sein Mund stand in gespieltem Erstaunen offen. Seine Haltung drückte Verachtung für das Gehörte, oder den Erzähler aus. Heute war ich ihm auf Anhieb zugetan. Zugleich empfand ich ihn als furchtbar unsympathisch, in seiner herablassenden Art Tommy gegenüber. Ich beobachtete ihn eine Weile, bevor ich näher kam. Er richtete sich auf und blies den Rauch seiner Zigarette unter höhnischem, verhaltenem Lachen in einem dünnen Strahl zu Boden. Es war eine deutlich zur Schau gestellte Geringschätzung meines Auftauchens. Tommy begrüßte mich mit seiner tiefen, hohlen Stimme. Er hob einen Zeigefinger und grinste schief. Tommy lachte selten. Es gefiel mir, dass er mich durch seinen Willkommensgruß für homolog empfand und meine Person respektierte, während Richard demonstrativ seitlich zu Boden sah und den Rauch in kleinen Wölkchen mit ausgestülpten Lippen langsam freiließ. Offensichtlich wollte er demonstrieren, dass er beschäftigt war und mich nicht ansehen konnte. Mich entnervte sein dummes Verhalten, aber ich ignorierte es, da ich der Jüngere war und das Gefühl hatte, auf Herz und Nieren überprüft zu werden, ob ich auch wirklich zu diesen elitären Leuten passte.

      Richard stammte aus Kärnten und war mit seiner Mutter nach Wien zu ihrem neuen Mann gekommen. Der Gatte hatte sie verlassen und war in der Umgebung von Velden ein bekannter, wohlhabender Lebemann, den es nicht scherte, andere unglücklich zu machen. Richard stieß über Umwege auf Tommy, da er sich nur schwer in der Stadt zurechtfand und Kontakt zu Gleichgesinnten suchte. Ihn interessierte mehr das freie Leben, als der Wille zu Karriere.

      Ich überlegte, ob ich einen Zugang zu halluzinogenen Substanzen erreichen würde, wenn ich es schaffte, sein Vertrauen zu erwerben. Wahrscheinlich hatte Richard eine leitende Funktion in der Gruppe. Sein Urteil konnte wichtig sein, wenn ich in ihre Aktivitäten eingeweiht werden sollte. Ein untrügliches Gespür sagte mir, dass diese Menschen noch ein Geheimnis hatte, von dem ich nichts wissen sollte. In den vergangenen Tagen hatte ich die Outsider, denen ich auf der Straße begegnete, eingehend studiert. Ich kam zu dem Schluss, dass sich das Benehmen meiner neuen Freunde vom Betragen anderer Jugendlichen abhob, die tranken und Haschisch rauchten. Derzeit fühlte ich mich nur als Mitläufer, dem es an Geduld fehlte. Mein erklärtes Ziel war es, selbst über den Stoff zu verfügen, den sie vielleicht zu sich nahmen. Ich würde den Zeitpunkt bestimmen, wo und wann ich etwas und aus welchem Grunde, einnehmen wollte. Mir gefiel der Gedanke nicht, von der Laune meiner Freunde abhängig zu sein. Inzwischen wurde wohl getestet, ob ich eine Gefahr für die Runde als jüngeres Mitglied darstellte. Ich überlegte, ob man es für wahrscheinlich hielt, dass ich durchdrehte und den Verstand verlor, oder mit den Veränderungen nicht zurechtkam, welche die Einnahme dieser verbotenen Drogen mit sich brachte. Ich las immer wieder über einzelne Fälle von Jugendlichen, die den Eltern in einer schwachen Stunde ihre Sünden beichteten und den Weg zurück in die Familie und ihr altes Leben suchten. Dann wurde die Schuld den Verführern gegeben und unvermeidliche Verhaftungen waren die Folge. Darum wurde alles im Verborgenen gehandelt und nach außen drang kaum etwas.

      Tommy war neugierig, was ich fern vom Rahmen der Schülerzeitung schrieb und ich hatte einige Texte vorbereitet, die ich ins Café Albert mitnahm und ihm vorlegte. Er führte sich stumm und sichtlich angestrengt ein Manuskript zu Gemüt. Der Inhalt der zusammengehefteten Blätter behandelte die Begegnung mit meiner eigenen schon stark gealterten, vergreisten Person. Dieses gealterte Ich stand an einem verlassenen Bahnsteig, eine Laterne schwenkend und rief immer wieder: »Apleptschn! Apleptschn!«

      Richard vertiefte sich demonstrativ in seine Zeitung und tat so, als säße er allein am Tisch. Er bestellte jedoch zwei kleine Braune und schob mir – ohne von seinem Blatt aufzusehen – eine Tasse hin, als die Serviererin das Gewünschte brachte. Als Dank legte ich ihm eine Seite einer kurzen Geschichte über die aufgeschlagene Seite seiner Zeitung, die er gerade hingebungsvoll studierte. Er zeigte überhaupt keine Reaktion. Weder fegte er das Papier weg, noch lachte er hämisch. Er veränderte einfach unmerklich die Ausrichtung seiner Pupillen und las in meinem Text weiter. Die maschinebeschriebenen Seiten handelten von einem Fallschirmspringer, der noch, bevor er an der Reißleine zog, begriff, dass es ihm freistand, zu tun, was ihm beliebte. Er war Herr über Leben und Tod. Er war zu Gott geworden und er traf eine Entscheidung. Er zog nicht an der Reißleine. Ich hatte das Richtige, auf ihn förmlich maßgeschneiderte, Treatment ausgesucht. Richard hob plötzlich den Kopf und sah mir direkt in die Augen.

      »Das ist allerdings arg. Der Typ hat das alles begriffen.«

      Entweder sprach er von dem Fallschirmspringer, oder von mir in der dritten Person. Er gab sich übergangslos entspannt und stellte mir Fragen zu meinen Vorstellungen vom Leben. Ich hatte eine höhnische Zurechtweisung erwartet, doch stattdessen begannen wir eine angeregte Diskussion über die Entscheidung, nicht an der Reißleine zu ziehen und dadurch zu Gott zu werden. Ich merkte sofort, dass er am Lande zu einem gläubigen Christen erzogen werden sollte und gezwungen war, sich in der Enge eines Dorfes mit der Existenz Gottes auseinander zu setzen. Ich stellte mir genauso die Frage nach einer übergeordneten Macht, hatte aber kein besonderes Problem mit dem katholischen Gott, dem Teufel und der Sünde. Mein Vater hatte stets Entschuldigungen geschrieben, um uns Kinder vom Religionsunterricht und einer kalten, ungeheizten Kirche, in der wir uns nur verkühlen konnten, fernzuhalten. Die wenigen Anlässe, bei denen wir als eine Familie die Messe besuchten, verhielt sich mein Vater lausbubenhaft. Zu meiner Erstkommunion furzte mein Vater, drehte sich entsetzt zu den hinteren Reihen um und rief: »Pfui, Teufel. Wer war das?«

      Bei einer Messe, zu der die Eltern eingeladen wurden, rülpste er und sagte, ihm sei von der Oblate schlecht, weil sie zu üppig fabriziert wurde. Schließlich täuschte er einen quälenden Schüttelfrost vor und hauchte in die Hände, hustete erbarmungswürdig und stellte den Mantelkragen auf. Wir Kinder dachten dann, unser Vater sei ein Vampir, der das Gotteshaus tunlichst meiden sollte, wenn er überleben wollte.

      Bei Richard aber war die Beschäftigung mit der Problematik jenseits der witzigen Komödie. Wie sich herausstellte, haderte er mit den eingefleischten Vorstellungen der Christen. Seiner Erziehung durch den strengen Großvater, zeigte ihm den Weg des Menschen entweder geradewegs in die Hölle – durch einen liederlichen Lebenswandel, wie ihn sein lasterhafter Vater

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