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sehen, bin ich nicht ganz unschuldig an der ganzen Sache. Ich habe beiden Flausen in den Kopf gesetzt. Aber zu meiner Verteidigung muss ich sagen, die gewonnene Freiheit war es mir wert. Und beide haben sichtlich Spaß daran. In den ersten Tagen als Benni seine Kamera bekommen hatte, habe ich Zwergnase und seinen großen Bruder ertappt, wie sie sich gegenseitig Grimassen schnitten und sich jeweils überbieten wollten, wer am Witzigsten schauen konnte. Und dies nahmen sie jeweils als Beweis ihres Könnens auf. Und als sein großer Bruder mal nicht daheim war, ging Zwergnase mit seiner Kamera auf eine Sightseeing-Tour durch das ganze Haus und blieb vor jedem Schrank, jeder Lampe und jedem Vase stehen und gab mit ernster Miene seinen Senf dazu ab. Als er dabei auf sich schwenkte, wurde mir klar: Er hatte die Filmfunktion des Fotoapparats für sich entdeckt. Er lief sozusagen mit seiner Kamera als Reporter Benni durchs Haus und machte einen Dokumentarfilm über sein Zuhause. Dabei kommentierte er das Gesehene auf seine eigene Art und Weise. Ich muss gestehen, die Filmchen sind zwar keine cineastischen Sensationen, aber es sind zumindest Erinnerungen für mich, die mir in zwanzig Jahren ins Gedächtnis rufen werden, wie lebendig und kreativ mein Sohnemann in jungen Jahren war. Vielleicht amüsieren sich meine Enkel, Benni’s Kinder, später selbst einmal darüber, wie ihr Vater mit nicht einmal fünf Jahren frech in die Kamera geblickt und Grimassen geschnitten hatte. Die Filme müssen der Nachwelt einfach erhalten bleiben. Jedenfalls war Benni Stolz eine Kamera sein Eigen zu nennen. Und jedem der zu Besuch kam, zeigte er seine Kamera und wollte gleich seine Fachkompetenz in Sachen Foto unter Beweis stellen.

      „Opa schau mal! Da drauf sind die Fotos gespeichert. Auf dem USB-Chip.“, hörte ich ihn mal seinem Opa erzählen.

      Dazu hatte er die SD-Karte aus dem Kamera-Slot genommen und hielt sie dem Opa mit dem Pinzettengriff, zwischen Daumen und Zeigefinger, unmittelbar vor der Nase hin, und zwar so nah, das der Opa mit dem Kopf zurückgehen musste, um diese einigermaßen erkennen zu können.

      „Und Opa bloß nicht auf die goldenen Dinger fassen!“, klärte er den Opa weiter auf, „Sonst sind die Fotos weg.“

      Als ich das hörte, lehnte ich mich zufrieden in meinen Stuhl zurück und genoss diesen Moment. Zwergnase hatte doch, das ein oder andere von mir gelernt. Auch wenn es zwar die SD-Karte war, auf die die Bilder gespeichert werden und nicht der USB-Chip, aber meine Warnung niemals auf die goldenen Kontakte der SD-Karte zu langen, hatte er verinnerlicht.

      Gut mein Sohn. Gut gemacht., dachte ich bei mir.

      Diese Momente wiegen bei weitem die Augenblicke auf, in denen ich mich als Sündenbock vorkam. Aber ich muss gestehen, irgendwie bin ich auch froh, dass die Hersteller diese eine Sache in die Kamera eingebaut haben, worüber meine Frau dankbar ist. Nämlich:

      „BATT schwach“.

      Das perfekte Timing

      Timing. Zur richtigen Zeit am richtigen Ort sein. Das ist das perfekte Timing. Timing ist alles im Leben. Und dies beherrscht mein Sohn Benjamin in seinen jungen Jahren ganz vorzüglich in einer ganz besonderen Art und Weise. Nämlich er beherrscht die Kunst, sich die unpassendste Gelegenheit überhaupt auszusuchen. Er ist ein ausgesprochener Meister darin, das genaue Gegenteil des perfekten Moments für sich zu beanspruchen. Und dies zumindest in einer Disziplin.

      Wir wollen wegfahren. Benjamin steht schon vollkommen angezogen - Jacke, Mütze und auch Schuhe hat er schon an - im Flur.

      „Benni! Warst du schon auf dem Klo?“

      „Nein.“

      „Komm! Geh noch mal!“, fordert ihn die Mama auf.

      „Nein. Ich kann nicht.“

      „Wehe du musst unterwegs pieseln.“, höre ich mich sagen und füge noch hinzu: „Wir können unterwegs nirgends anhalten.“

      „Ich weiß. Aber ich kann nicht.“, gibt er ärgerlich zurück.

      Was will man da noch sagen.

      Wenn Sie selbst Kinder haben, kennen Sie vermutlich diese Situation. Und Sie werden wahrscheinlich schon erahnen, was jetzt kommt. Kaum sitzen wir im Auto, wir sind noch keine zehn Minuten unterwegs, meldet sich Zwergnase vom Rücksitz.

      „Papa. Wann sind wir endlich da?“

      „Bald.“

      „Wann bald?“

      „Wieso?“

      „Ach nur so.“

      Ende der Konversation.

      Nach circa einer halben Minute folgt erneut die Frage, jetzt in etwas abgewandelter Form.

      „Papa?“

      „Ja.“

      „Sind wir bald da?“

      „Wieso fragst du Benni?“

      „Ach, ich hab da so ein komisches Gefühl.“

      „Benni, musst du etwa pieseln?“

      Etwas zaghaft und schuldbewusst kommt dann auch schon die Antwort.

      „Ja, aber ich kann es noch zurückhalten.“

      Und dann folgt der Kommentar von mir, der zwangsläufig folgen muss.

      „Na toll! Warum bist du nicht daheim gegangen?“

      Ich schaue in den Rückspiegel und sehe einen mit den Schultern zuckenden Benni.

      Nach einer weiteren, nicht einmal vergangenen Minute.

      „Papa!“

      „Ja?“

      „Es pressiert jetzt langsam. Ich muss dringend.“

      Und meist ist es der Moment auf der Autobahn, in dem kurz zuvor auf einem Schild zu lesen gewesen war: Nächste Raststätte 50 km. Dies ist natürlich auch nun der Fall.

      Mist! Die nächste Möglichkeit aufs Klo zu gehen ist also in etwa einer halben Stunde. Spätestens jetzt ist der Augenblick gekommen, in dem man sich umdrehen und seinen Nachwuchs am liebsten …

      Nachdem wir, meine Frau und ich, die Konfirmandenblase meines Sohnes kennen, schicken wir ihn seit geraumer Zeit jedes Mal, sei die Fahrt noch so kurz, vorher noch aufs Klo, ob er will oder nicht. Und in den meisten Fällen muss er doch. Wir haben das Problem weitgehend im Griff.

      Als wir einmal zum Ammersee wollten um Boot zu fahren – Sie müssen wissen, dass meine beiden Kinder es lieben, Motorboot zu fahren, auch wenn es nur ein Elektro-Motorboot ist, das maximal sechs km/h schnell ist und jede Ente, die es eilig hat, uns auf dem See überholt -, war ich mir des besonderen Timings meines Sohnes bewusst. Daher schickte ich ihn daheim noch aufs Klo. Auch am Ammersee, bevor wir uns ein Boot mieteten und in dieses einstiegen, forderte ich beide auf, noch Pipi machen zu gehen.

      „Ich kann nicht.“, kam prompt von Zwergnase.

      Na gut, dachte ich mir. Er war ja daheim, kurz bevor wir aufgebrochen waren, noch auf dem Klo gewesen. Verständlich, dass er nun nicht musste. Wir stiegen also ins Boot, Benni übernahm das Steuer und so fuhren wir weit, weit hinaus, bis zur Mitte des Sees. Dort wollten wir eine kleine Pause einlegen und etwas trinken und eine Kleinigkeit essen. Die Mama hatte uns Kekse eingepackt.

      Endlich in der Mitte des Sees angekommen, schaltete ich den Motor aus, schnappte mir den Rucksack und packte unsere Brotzeit aus, auch wenn es nur Kekse waren. Kaum hatte ich die Kekse aus dem voll gepackten Rucksack herausbekommen …

      „Papa?“

      „Ja?“

      „Ich hab da so ein komisches Gefühl.“

      „Sag bloß nicht du musst jetzt pieseln?“

      Er hatte jetzt ein schuldbewusstes und trauriges Gesicht und blickte zu Boden.

      Mist! Was machen wir jetzt? Kein Baum in Sicht. Keine Insel in erreichbarer Nähe. Und ins Boot wollte ich ihn auch nicht machen lassen. Ein wenig Anstand besaßen ich und meine Söhne ja auch. Oder?

      Also

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