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Utopia - Die komplette Reihe. Sabina S. Schneider
Читать онлайн.Название Utopia - Die komplette Reihe
Год выпуска 0
isbn 9783753187013
Автор произведения Sabina S. Schneider
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
Ich bin frei, so frei ich es in dieser Gesellschaft sein kann, bis die nächsten ins Erwachsensein treten. Es sei denn, sie ändern den Geburtenzyklus. Doch das werden sie nicht wagen. Es würde zu viel Aufsehen erregen, wenn einem Paar ein Kinderwunsch versagt bliebe.
Ich versuche in dem Moment aufzugehen, nach Daten zu suchen, die ich sonst verschämt als Spam markiere. Auf Portale zuzugreifen, die ich noch nie besucht habe.
Die ganze Zeit über bin ich mir bewusst, wie lächerlich das ist. Nur weil Au-pair meine Daten nicht wie ein schwarzes Loch aufsaugt, bedeutet das nicht, dass sie nicht registriert werden.
Jedenfalls jetzt noch nicht.
Ich arbeite an etwas und kurz bevor ich es aktivieren, den Testlauf starten kann, höre ich ihre nervige Stimme.
„Noem, warum hast du Au-pair getötet?“
Ich deaktiviere die Brille und nehme mir vor, es das nächste Mal besser zu machen. Au-pairs Signale zu stören, sie außer Gefecht zu setzen, bevor sie jemanden rufen kann. Das nächste Mal muss es geplant sein und nicht aus dem Affekt heraus passieren. Ich muss besser kalkulieren und meiner Gefühle Herr werden.
„Sie ist mir auf den Zeiger gegangen.“
„Du kannst doch nicht töten, nur weil dir etwas nicht passt.“
Töten …
„Wenn du es so bezeichnen möchtest, warum benutzt du nicht das richtige Wort: ermorden.“
Avna zuckt bei meinen Worten zusammen und ich setze nach: „Und wer sagt, dass ich dich nicht töte, wenn du mir weiter auf die Nerven gehst?“ Kaum hat die Drohung meine Lippen verlassen, springt Nanny vor Avna, als würde ich es ernst meinen. Als könnte ich Avna wirklich wehtun.
Ein Blick auf den zerstückelten Roboter am Boden lässt mich darüber nachdenken, ob ich vielleicht dazu in der Lage wäre. Wenn ich je eine Chance dazu bekommen würde.
Bevor ich auch nur einen Finger an Avna legen könnte, hätte Nanny mir so viel Beruhigungsserum in die Blutbahn geschossen, dass ich eine Woche von gigantischen Möpsen träumen würde.
„Alles ist gut, Nanny. Er meint es nicht so. Würdest du bitte draußen warten? Noem ist mein Freund. Er wird mir nichts tun.“
„Er hat Au-pair zerstört.“
„Du weißt, dass das nicht dasselbe ist.“
Der Roboter nickt und verlässt das Zimmer.
Wir müssen mit ihnen diskutieren. Ist das zu fassen? Sie sollten einfach Befehle befolgen, wie all die anderen Maschinen. Doch ich weiß, das LEE anders programmiert sind. Ich kenne den Grund, die geschichtliche Ursache und ich verfluche die Menschen, die uns dieser direkten Spionage ausgesetzt haben.
„Hast du deinen Roboter endlich überzeugt, dir zu gehorchen?“, frage ich sarkastisch.
„Du weißt, dass es so nicht funktioniert. Du kennst die Hintergründe.“
„Ja, selbstsüchtige Eltern, die ihre Kinder verkommen lassen. Nur weil ein paar ihre Pflichten vernachlässigt haben, gibt es einen Freifahrtschein für alle, die sich erwachsen nennen, ihre Kinder wie Spielzeug in die Ecke zu stellen und wieder hervorzuholen, sobald ihnen danach ist.“
„Ist es das, was dich so wütend macht? Haben deine Eltern nicht genug Zeit für dich?“
Ich gebe einen verächtlichen Laut von mir. Wie soll ich etwas bemängeln, das ich nicht anders kenne? Ein Normalzustand, der nur von wenigen Momenten durchbrochen wird. Und doch ist das eine logische Erklärung. Eine bequeme Begründung, die ich benutzen kann.
Auch wenn es nicht stimmt. Auch wenn es eine Lüge ist. Ich kann Au-pair und das System nicht belügen. Doch ich kann Avna etwas vormachen. Also schweige ich und lasse sie ihre Schlussfolgerungen ziehen.
Ich höre Schritte vor meiner Tür. Stimmen.
Ist das …?
„Du weißt, dass das nicht Karina ist“, sagt Avna und zerstört jede Illusion von einer Lüge, die ich über meine Gefühle und Gedanken als Camouflage legen könnte.
Ich schweige und drehe mich weg, ignoriere Avna und schalte mein Display ein. Meine Finger springen über die Tastatur.
„Noem … Ich mache mir auch Sorgen um sie. Doch deine Ängste an Au-pair auszulassen, ist keine Lösung.“
Ich schnaufe und ärgere mich, dass ich Avna unbewusst damit signalisiert habe, dass ich ihr zuhöre. Meine Finger gehorchen mir nicht, sie zittern, landen auf den falschen Tasten und zerstören meinen Code. Die Programmierung ist hin. Ein alberner Versuch, etwas zu ändern. Zu simpel in einer Welt, die auf komplizierten Kombinationen von Zahlen basiert.
Wem mache ich etwas vor?
Ich bin nicht anders als Karina. Ich bin schlimmer.
Karina hat einen Weg gefunden, einen furchtbaren, ekelerregenden Weg, doch es ist zumindest einer. Und wenn sie fertig ist, am Ende angelangt, wird nichts mehr von ihr übrig sein.
Ich verabscheue und bewundere sie gleichzeitig dafür.
Selbst wenn es eine ähnliche Möglichkeit für mich gäbe, hätte ich den Mut und die Kraft, sie durchzuziehen?
Gegen meines besseren Wissens entschlüpfen mir die Worte: „Wird sie kommen?“
„Du weißt, dass sie nicht kommen kann. Sie will sicher hier sein. Doch momentan geht es nicht“, erwidert Avna traurig.
Ich bin erleichtert. Und enttäuscht.
Ich habe es nicht hören wollen, habe mich geweigert, mit Karina oder Avna darüber zu sprechen, und doch muss ich es wissen. „Was ist es dieses Mal?“
Avna schweigt, holt tief Luft und sagt: „Es ist ihr linkes Hüftgelenk.“
Das Hüftgelenk. Wie viel von ihr ist noch menschlich? Noch Haut, Knochen, Fleisch und Blut?
„Du weißt, dass es nur äußerlich ist. Dass sie immer noch Karina ist. Die Änderung wird dir nicht auffallen. Niemand wird sie sehen.“
Ja, niemand.
Karina …
„Ich lasse einen Transportbot kommen, der Au-pairs Körper zur Recyclinganlage bringt. Lass uns zusammen Karina besuchen. Nicht virtuell sondern auf dem veralteten Weg, in Fleisch und Blut.“ Als Avna klar wird, was sie gesagt hat, blickt sie zu Boden und dann, vom Anblick erschrocken, zur Decke.
Ja, Fleisch und Blut.
Ist es das, was einen Menschen ausmacht? Ihn menschlich macht? Wenn ja, wird Karina bald kein Mensch mehr sein. Mir ist schlecht. Ich möchte weinen. Und bin unendlich froh, dass Au-pair nicht da ist. Nicht auf die Signale reagiert, die mein Körper ohne meine Zustimmung aussendet.
Wird es an meinen Gefühlen etwas ändern, wenn Karina nicht mehr aus Fleisch und Blut besteht?
Der Tag wird kommen, da bin ich sicher. Vielleicht schneller als befürchtet.
Karina – OP
„Ich schaffe ein System, in dem alle gleich sind. Ein System, in dem alle Bedürfnisse befriedigt werden, ohne dass die Umwelt darunter leidet. Ein System, in dem alle Ressourcen gelistet, gerecht verteilt und recycelt werden.“
Programmierer 2079
Ich spüre nichts. Die Schmerzmittel betäuben meine untere Körperhälfte völlig. Als bestünde mein Körper nur bis zu meinem Bauch. Es ist erschreckend. Der Gedanke, dass ich keine Beine habe und nie wieder laufen oder rennen kann, würgt