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lacht sie.

      »Ich glaube doch! Jedenfalls weiß ich, dass man in manchen Regionen im Süden zu Pfingsten die Tiere auf die Weiden treibt. Die Rinder werden geschmückt und man macht eine festliche Prozession aus dem ersten Auftrieb. Der stattlichste Ochse geht dann am prächtigsten geschmückt vorweg.«

      Ihr Allgemeinwissen ist wirklich beachtlich. Ich bin beeindruckt und nehme mir vor, dazu mehr zu recherchieren.

      »Aber hier in der Heide gibt es das nicht. Oder gibt es hier Pfingstschnucken?«

      Sie lacht – und ich mag es sehr, wenn sie lacht!

      »Witzbold. Nee, hier gibt es zwar manche Ochsen, aber nicht nur zu Pfingsten, sondern ganzjährig. Dafür haben wir den Pfingstbaum.«

      »Ich denke, das ist der Maibaum? Der wird am 1. Mai aufgestellt und dann wird kräftig gesoffen.«

      Wieder lacht Maren schallend.

      »Gesoffen wird hier auch sonst recht kräftig, jedenfalls die jüngeren Leute. Uns älteren wird ja meistens schneller schlecht.«

      »Na, das sah aber beim Feuerwehrball etwas anders aus. Da haben die Alten ganz schön mitgehalten.«

      »Stimmt. Aber du hast recht. Pfingstbaum und Maibaum sind im Grunde dasselbe. Nur die Traditionen unterscheiden sich. Meist sind es Birken. Ein langer, schlanker Birkenstamm wird auf einem zentralen Platz aufgestellt. Die frühlingsfrisch belaubte Krone wird mit bunten Bändern geschmückt und in manchen Orten klettern die jungen Männer auch hinauf.«

      »Und wieso Pfingsten? Das ist doch eher Ende Mai, jedenfalls in diesem Jahr.«

      »Stimmt. Pfingsten ist jedenfalls immer fünfzig Tage nach Ostern. Daher kommt der Name. ›Penta‹ ist das griechische Wort für fünfzig. Da Ostern wechselt, ändert sich auch das Datum für Pfingsten.«

      »Dann steht der Maibaum also schon.«

      »Ja. Aber in vielen Orten bei uns im Norden werden zu Pfingsten kleine Birken vor die Häuser gestellt. Manchmal suchen junge Männer auch besonders die Häuser heraus, in denen junge Mädchen wohnen ... und dann wird Spiegelei gegessen und Schnaps getrunken. Kennst du den Spruch dazu?« Bevor ich antworten kann, redet sie schon weiter: »Der Maibusch ist genagelt, nun will er auch begossen sein. Es können ein paar Eier sein oder eine Flasche Wein.«

      Nun lache ich. »Na, das hört sich eher nach Süddeutschland an, das mit dem Wein jedenfalls.«

      »Stimmt, kann sein. Hier müsste irgendwas mit Bier und Korn kommen.«

      »Und was ist die Bedeutung dieser Bäume?«

      »Das kommt irgendwie von den Germanen und hat mit Fruchtbarkeit zu tun.«

      Was mir sofort einleuchtet. Diese Jahreszeit strotzt nur so vor Fruchtbarkeit. Kein Wunder, dass auch Jungs und Mädels ihre Kraft und Zuneigung unter Beweis stellen.

      Maren spielt an ihrem Handy herum. So macht sie es immer. Wenn sie etwas wissen will, googelt sie. Und sie will viel wissen und interessiert sich für alles Mögliche.

      »Schau hier. Früher gab es noch viel mehr Pfingstbräuche. Die waren überall verschieden. Jedenfalls galt Pfingsten auf dem Land als schönstes Fest des Jahres. Die Mägde haben am frühen Morgen noch vor dem Melken einen geschmückten Pfingstbusch ans Fenster genagelt bekommen. Oh!« sie lacht laut auf. »Wenn sie faul waren, bekamen sie statt des frischen Baumes einen trockenen Besen!«

      Ich nehme mir vor, meiner Liebsten am Pfingstsamstag einen frischen Maibaum vor die Tür zu stellen. Einen Besen haben wir schon und sie verdient ihn nicht! Hoffentlich vergesse ich meinen Vorsatz nicht ...

      Mittwoch, 28. April

      Plötzlich und schrill heult die Sirene.

      Ist heute Montag? Am Montagmittag gibt es jeweils einen Probealarm, wohl damit die Sirene nicht einrostet. Jedes Mal zucke ich zusammen und der Warnton zieht wie ein stechender Schmerz durch alle meine Glieder. Nein, heute ist Mittwoch, abends gegen neun.

      Ich arbeite gerade in meinem Kellerbüro an einem Artikel über ein Konzert im Alten Lichtspielhaus. Ein engagierter Zahnarzt hat eine Initiative gegründet und im ehemaligen Kinosaal des Nachbarortes einen Kulturtreff eingerichtet. Die »Line Walkers«, eine Cover-Band, imitiert Johnny Cash und hat den wegen Corona etwas reduziert im Saal verteilten Zuschauern gestern unglaublich eingeheizt. Obwohl Tanzen, Mitsingen und Jubelstürme nicht erlaubt waren, fühlte man sich zurückversetzt in die sechziger oder siebziger Jahre. Auch ich war fasziniert. Es war überraschend, wie viele der Hits des »King of Country« ich bereits kannte. »Wenn ich die Augen schließe, meine ich, Jonny Cash sei auferstanden«. So sagte es mein ebenfalls begeisterter Sitznachbar, ein Jungsenior, vermutlich wie ich Anfang der Sechziger. Richtig gut, diese Truppe! Gerade tippe ich den Titel eines der Hits des »Man in Black« in meine Tastatur: »Ring of fire«.

      Da heult also die Sirene auf dem Dach des Tagungshauses gegenüber der Kirche los. Feuer!

      Ich ahne, was jetzt an unserer kleinen Feuerwehrstation neben dem Friedhof los ist. Vermutlich ist Gerd Meyer, ein Mittvierziger aus der Nachbarschaft, wieder als erster bei den Fahrzeugen. Er ist Truppführer bei der freiwilligen Feuerwehr von Himmelstal. Sein Chef, Ortsbrandmeister Enno Dieckmann hat mir erzählt, dass Gerd manchmal sogar auf Socken und in Boxershorts angelaufen kommt, direkt in die Ausrüstung steigt und dann sein Fahrzeug schon mal vor die Halle fährt. Ein Pfundskerl, dieser Gerd, und zuverlässig dazu. Kurz nach ihm werden auch die anderen da sein, sich umziehen, noch Reste an Ausrüstung einpacken und los geht‹s.

      Kurz nachdem ich Anfang des Jahres nach Himmelstal gezogen war, brannte es das erste Mal. Ich glaube, es war in der zweiten Februarhälfte. Es war ein alter Bootsschuppen neben einem Teich. Als die Feuerwehr eingetroffen war, gab es nichts mehr zu retten. »Vermutlich Brandstiftung«, informierte mich der Ortsbrandmeister. Ich habe nur eine winzige Meldung geschrieben, nicht einmal ein Foto gemacht. Da gab es auch nichts mehr zu fotografieren. Der morsche Schuppen mit einem löchrigen Ruderboot darin war nur noch ein Haufen Asche. Zum Glück hatten sie eine große, knorrige Trauerweide daneben gerettet und damit auch das Wohnhaus abgesichert. Wenn man den Qualm erst später entdeckt hätte, wäre ein viel schlimmerer Ausgang möglich gewesen. Etwa eine Woche danach habe ich noch mal nachgefragt. »Na ja, die Polizei war da und hat im Schutt herumgestochert«, meinte Enno, der mir, wie in diesem himmlischen Dorf offenbar üblich, gleich bei der ersten Begegnung das Du angeboten hatte, »aber die haben auch keine Spur gefunden. Und niemand hat etwas gesehen.« Damit war die Sache damals zunächst erledigt gewesen.

      Ich höre jetzt weitere Sirenen, zuerst aus dem Nachbarort, dann von Feuerwehrfahrzeugen. Der Kampf um Ruhm und Ehre hat begonnen. Ich weiß, dass nun mindestens drei Dörfer darum ringen, als erste am Brandort zu sein. Es ist der ganze Stolz freiwilliger Feuerwehren, schnell und konsequent ganz vorne mitzumischen ... Man kann das kritisch sehen, sich aber auch darüber freuen. Sie beeilen sich definitiv.

      Ich greife zum Telefon. Enno hat mir seine Mobilnummer gegeben. Er nimmt sofort ab. Im Hintergrund höre ich die Sirene des Fahrzeuges, in dem er vermutlich gerade sitzt, gleichzeitig höre ich sie durchs gekippte Fenster meines Büros. Sie sind also ganz in der Nähe.

      »Jens, ich kann jetzt nicht! Wir sind im Einsatz!«

      »Ja, ich weiß«, sage ich und hoffe, dass er nicht auflegt. »Ich würde gerne wissen, wohin ihr fahrt. Vielleicht kann ich diesmal einen Artikel machen. Bitte. Ich bin immer fair, das weißt du!«

      Ein kurzes Zögern, dann atme ich auf.

      »Es ist ganz bei dir in der Nähe, hinten am Bauhof am Ortsausgang. Komm hin, und sag’ den Kameraden an der Absperrung, du willst zu mir.« Dann legt er auf.

      »Jens, pass auf dich auf!« ruft Maren mir noch hinterher, als ich die Haustür öffne. Es klingt schon wie bei einem alten Ehepaar. Dabei ist noch alles ganz neu für mich.

      Drei Minuten später sitze ich auf meinem Stevens-Rad. Auch das habe ich natürlich aus der Kreisstadt

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