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klettert, grinst sie uns an.

      »Na, Kameraden, das war doch mal eine erfolgreiche Brandwehr!«

      Enno knufft ihr gegen den gesunden Arm und lächelt väterlich.

      »Kerstin, du Draufgängerin! Ich sage nur fürs nächste Mal ›Hals und Beinbruch!‹. Hoffen wir, dass in der Zwischenzeit nicht unser Brandstifter zugeschlagen hat.«

      »Na, ihr geht aber doch sicher noch eine Runde.«

      »Ach Kerstin, ohne dich ist es viel zu langweilig.« Ich meine sogar ernst, was ich da sage.

      Samstag, 1. Mai

      Die Redaktion einer Tageszeitung ist fast immer besetzt. Was nicht bedeutet, dass Journalisten immer arbeiten. Der »Tag der Arbeit« wird für uns allerdings seinem Namen gerecht. Demos, Gewerkschaftsversammlungen und politische Statements am 1. Mai wollen besucht und aufgezeichnet werden. Wenn dies alles auch in diesem Jahr wegen der Pandemie noch auf Sparflamme läuft – trotzdem findet einiges statt.

      Abstand halten, Maskenpflicht und Hygienekonzepte müssen auch im Jahr nach dem ersten Ausbruch von Covid19 noch strikt eingehalten werden. »Wir müssen lernen, mit dem Virus zu leben«, wird von Politikern und Virologen gebetsmühlenartig wiederholt. Das Virus hat nicht nur vielen Menschen das Leben gekostet, unzählige in Angst und Panik versetzt, viele Existenzen zerstört und unsere Reise- und Kulturlust spürbar gedämpft, es hat die Gesellschaft auch weiter gespalten. Was sich bereits schon vorher im Rechtsruck mancher Bevölkerungsschichten und dem Erfolg von Pegida und dann der AfD niederschlug, haben die Pandemie und die deswegen getroffenen politischen Entscheidungen noch vertieft. Zum Glück sind die Menschen, die von wo auch immer nach Braun gewechselt sind, nicht wesentlich mehr geworden. Der Großteil unserer Bevölkerung hält weiter an den demokratisch-freiheitlichen Werten fest und steht hinter Verfassung und Regierung. Allemal seit nicht nur die Landesfürsten und die Bundesregierung die Entscheidungen über unser Pandemie-Verhalten treffen, sondern die Parlamente wieder entscheiden, stabilisiert sich die Lage. Trotzdem kriselt es an allen Enden.

      Es brennt noch nicht, denke ich, aber beim nächsten Funken – wer weiß? Interessant, wie das Pfingstthema »Feuer« auf viele Ebenen anwendbar ist. Sogar auf die Pandemie. Viel schneller als damals der christliche Glaube, hat sich dieser tödliche Flächenbrand über die gesamte Welt ausgebreitet. Immer wieder flammen Glutnester auf, auch angefacht durch aggressive Mutationen des Virus. Überall versucht man zu löschen oder zumindest einzudämmen. Seit Anfang des Jahres wird wie wild geimpft. Bis die erhoffte »Herdenimmunität« erreicht ist, dauert es allerdings noch.

      Einige behaupten zu wissen, wer die Brandstifter sind. Die Chinesen, die Pharmaindustrie, Bill Gates, das Establishment. Diese Typen werden mit ihren Verschwörungstheorien selbst zu »Brandstiftern«. Als ob man ein Feuer löscht, indem man die Schuldigen ausmacht!

      Andere stellen das Virus als Chance dar. Digitalisierung und medizinische Innovation, Vernetzung staatlicher Organisationen und weltweite Solidarität sollen entwickelt und zur Brandbekämpfung eingesetzt werden. Klar, wenn ein altes Haus abgefackelt ist, kann man ein schönes neues bauen. Was nicht unbedingt besser ist ...

      Ich bin auf dem Weg zurück von einer Demo in der Kreisstadt, als mir all diese Gedanken durch den Kopf gehen. Mein Golf surrt über die inzwischen wohlbekannte Kreisstraße. Jeden Tag wird das Grün jetzt üppiger, dunkler und satter. Die Buchen bilden ihr dichtes Blattwerk. Das Wintergetreide auf den Feldern steht kniehoch. Einige der schon im März mit der Blüte beginnenden Rapsfelder schimmern immer noch gelblich. Die Kartoffeln bilden auf einigen Feldern grüne Linien entlang der Furchen. In Blumenkübeln, Balkonkästen und Vorgärten blüht es. Allerdings: Zwischen all dem Grünen und Bunten liegen braune Flächen. Einige Äcker werden erst vorbereitet. Die Eichen wirken noch braun und leblos. Neben weiß blühenden Schlehen, gelben Forsythien und ersten Kirschblüten markieren winterlich kahle Büsche, dass wir in einer Übergangszeit leben und noch warten müssen, bis alles sommerlich bunt wird.

      Der Graben zwischen bunt und braun ist tief, denke ich. Zum Glück haben wir hier bei uns keine amerikanischen Verhältnisse. Allerdings können wir nicht behaupten, dass alles im Griff sei. Auch wenn es hier keine Rassenunruhen gibt, keine Schlammschlachten bei Wahlen und keine bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen Wählergruppen – auch durch Deutschland zieht sich ein tiefer Graben.

      Die Demo der Gewerkschaft war zunächst friedlich verlaufen. Coronahilfen, Mindestlohn, Kündigungsschutz, wirtschaftliche Situation in der Pandemie – die Themen wurden sachlich und engagiert angegangen. Etwa zweihundert Leute, alle mit Mundschutz und Abstand, hatten sich auf dem Platz vor dem alten Rathaus versammelt. Nach Extremisten hatte es nicht ausgesehen.

      Dann allerdings gab es in einer Ecke Tumulte und Menschenknäuel. Ich bin sofort hin, mit gezückter Kamera.

      Lautstark schrien sich zwei Lager an. Etwa zehn Männer und einige Frauen streckten Fäuste gen Bühne und brüllten die bekannten Parolen. »Deutschland den Deutschen!« »Wir sind das Volk!« »Keine Impfpflicht!« Sie sahen nicht aus, wie man sich Rechtsextremisten vorstellt, die offenbar gerade erst gezückten Schilder verrieten jedoch ihre Gesinnung. Masken trugen sie keine. Ich erinnere mich an einen Spruch, den ich irgendwo gehört habe: »Früher waren Radikale, Randalierer, Gangster und Terroristen maskiert, heute ist es das Volk.«

      Schnell waren die Randalierer von einer Überzahl maskierter Demonstranten umgeben. Die Gruppen brüllten sich an. Ich steckte jetzt mittendrin, konnte kaum noch fotografieren und von Abstand konnte natürlich nicht mehr die Rede sein. Einer der Typen schlug sogar nach mir und brüllte sein »Lügenpresse!« in meine Richtung. Klar, wer nicht meiner Meinung ist, der lügt!

      Bis die Polizei kam, dauerte es etwa zehn Minuten. Dann jedoch war schnell Ruhe. Der Tross löste sich auf und die Abstände wurden wiederhergestellt. Wir sind hier eben doch in der Provinz und nicht in Hamburg oder Leipzig.

      Jetzt, unterwegs nach Himmelstal, überlege ich, was ich in den Artikel über die Demo schreibe. Ich will diesen Chaoten auf keinen Fall mehr Platz geben, als sie tatsächlich eingenommen haben. Von zwei Stunden waren das vielleicht zehn Minuten. Also bloß nichts aufbauschen und den Rechten jene Publicity verschaffen, die sie provozieren wollten! Andererseits: Was mich am meisten erschreckte war nicht, dass diese Leute auftauchten, sondern dass es so »normale« Bürger waren. Sie sahen wie alle anderen bei der Demo aus. Keine Lederklamotten oder Glatzen, keine Hakenkreuze und SS-Symbole. Ein älterer Herr war dabei, der mein Vater, eine junge, modisch gekleidete Frau, die meine Tochter und ein Typ mit Kamera, der mein Kollege hätte sein können.

      Erschreckend, wenn die braune Gesinnung sich wie ein Krebsgeschwür in die Mitte der Gesellschaft hineinfrisst. Am Rand, okay. Dort kann man es isolieren und vielleicht auch abschneiden – in der Mitte gelingt dies vermutlich nicht.

      *

      Am Nachmittag wird der Maibaum »gepflanzt«. Ich will das sehen und verlasse deshalb meinen Schreibtisch im Kellerbüro. Der Artikel von heute Morgen ist bereits beim Redakteur, der die Seite zusammenbaut.

      Maren hat heute frei.

      »Wenn du schon pausenlos arbeiten musst und wir keine Zeit zusammen verbringen können«, meint sie, »dann komme ich jetzt einfach mal mit! Immerhin ist es ja auch mein Dorf! Und am Abend gehen wir dann ins Konzert.«

      Sie meint das vom »Regionalen Kirchentag« veranstaltete Konzert einer farbigen Sängerin samt Band. Ich bin einverstanden, zumal ich ja darüber berichten soll.

      Wir ziehen uns Jacken und Schuhe an und sind fünf Minuten später am Dorfplatz. Schon von weitem hören wir Musik. Sie klingt jedenfalls nicht nach Soul oder Gospel.

      Mehrere Bierzeltgarnituren wurden aufgestellt. Über die Hälfte davon sind besetzt. Nicht alle, aber die meisten tragen, wie es sich in der Menge gehört, eine Maske. Ein Bierwagen steht in einer Ecke des Platzes. Mehrere Männer lehnen an der Theke, ein Bier vom Fass in der Hand, die Masken unter dem Kinn. Links davon gibt es einen Bratwurststand. Auch dort stehen Leute. Unter einem Pavillon hat eine kleine Kapelle ihre Anlage aufgebaut. »Die Egerländer-Heidjer«

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