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der Zeit entspannen sich deine Gesichtszüge, das beruhigt mich. Die Schatten fallen jetzt anders, lassen deine Kieferknochen weniger kantig aussehen. Zum Schluss skizziere ich die unverputzte Wand, den weißen Vorhang, der nicht bis zum Boden reicht. Als ich fertig bin, wasche ich mir die Farbe von den Unterarmen und Fingern. »Darf ich schauen?« Deine Stimme klingt eingerostet, als du zum ersten Mal seit Stunden sprichst. »Natürlich.« Du räusperst dich und trittst vor die Staffelei. Während ich meine Hände abtrockne, sehe ich, wie du bedächtig nickst. Erst jetzt fällt mir das kleine Tattoo in deinem Nacken auf; es sind zwei Krabben, die sich mit den Zangen berühren.

      »Ich habe mir gewünscht, dass es so aussehen würde.«

      »Gut«, sage ich.

      Ich reiche dir die Kleidung von dem Stuhl, auf dem du sie abgelegt hast. Ein graues T-Shirt, dunkle Unterwäsche und eine ausgewaschene Jeans. Wir ziehen uns an und verlassen den Raum. Die Leinwand lasse ich zurück.

      Alex Dreppec

      − Die Kunst des Vermoderns

      »Moderne Stillleben« hieß die Ausstellung, zu deren Eröffnung ich eingeladen war – dank Johannes, einem guten Freund, den der Job als Museumswärter erst kurz zuvor von Hartz 4 befreit hatte. Ich kannte einen der Künstler, die für die Stillleben verantwortlich waren. Ein weiterer Grund, zur Ausstellungseröffnung zu gehen.

      Bunte Variationen zum Thema erwarteten mich. Gleich die ersten Werke gefielen mir: ich ging zwischen Stapeln drei Meter hoher, überdimensionaler Porzellanteller, vorbei an in Plexiglas eingegossenen Basketbällen und Autoreifen auf Johannes zu und begrüßte ihn. Er fragte mich: »Hast Du schon gesehen, was Schmitz gemacht hat?« Das hatte ich noch nicht. Er geleitete mich einen Raum weiter. Dort stand Schmitz und erläuterte einigen Bewunderinnen sein Werk. Es bestand aus einem großen, spiralförmigen Glastisch, der mit Bergen von Obst und Gemüse bedeckt war. Wir gingen näher heran und sahen, dass es sich um echte Nahrungsmittel handelte: Auberginen, Zucchini, Äpfel, Orangen, Kartoffeln, Ingwer und vieles mehr. Dazwischen fand sich büschelweise Minze und andere Kräuter, so angeordnet, dass es so aussah, als ob sie hier wachsen würden. Überragt wurde alles von drei riesigen Kürbissen. Ein üppiger, Appetit anregender Berg. Sofort kombinierte ich in Gedanken das prächtige Aufgebot zu verschiedenen Gerichten. War das beabsichtigt? Schließlich ging es Schmitz immer darum, »Gedanken zu provozieren«, das war sein Credo, sein Mantra. Er wiederholte es so monoton, dass man den Eindruck erhielt, dass jemand bei ihm einmal andere, neue Gedanken provozieren sollte. Er war ein Nachbar meiner Eltern und ich kannte ihn schon lange etwa so gut, wie man Nachbarn in einer Großstadt kennt, die man einigermaßen sympathisch oder interessant findet, viel mehr aber auch nicht. Er hatte mich vor meinem Auszug aus der Wohnung meiner Eltern ein paar Mal eingeladen, seine Werke zu besichtigen. Manches hatte mir gefallen.

      Johannes und ich stellten uns die Frage, was mit diesem reich gedeckten Tisch geschehen sollte. Sobald wir die Gelegenheit dazu hatten, befragten wir Schmitz. »Das soll alles langsam vermodern« sagte er und erklärte, damit wolle er Vergänglichkeit und Tod symbolisieren. Johannes erwiderte, dass das seiner Meinung nach schade sei. Schmitz sagte: »Jeder reagiert so! Das ist gut, die Leute reden darüber, es provoziert Gedanken«.

      Sein Ausstellungsstück war tatsächlich eine eindrucksvolle Komposition, aber dass sie zum Vermodern bestimmt war, musste vor allem Johannes ärgern. Dieser war ein überzeugter »Mülltaucher«: zunächst aus finanzieller Not, später aus Überzeugung suchte er nachts die Hinterhöfe und Parkplätze der Supermärkte auf, um in den Containern nach leicht angeschlagener oder gerade abgelaufener, aber noch gut essbarer Ware zu suchen. Tatsächlich waren die Container voll davon. Ich hatte ihn ein paar Mal begleitet. Einmal waren wir in einer Winternacht in fast vollständiger Dunkelheit anderen Mülltauchern begegnet – Punks, die sich als sehr nett erwiesen. Einem ersten Schrecken war die Verbrüderung gefolgt. Die gefundenen Waren wurden zusammen in einer von den Punks bewohnten, außergewöhnlich unordentlichen WG verspeist. Sogar Speiseeis hatten wir dort gemeinsam in einer Eismaschine aus gefundenem Obst hergestellt, obwohl wir vom Mülltauchen alle völlig durchgefroren waren.

      Johannes hatte jedoch noch andere Sorgen. Er fragte Schmitz, was er sich bezüglich des Modergeruchs für Gedanken gemacht habe, der ja wohl spätestens gegen Ende der vierwöchigen Ausstellung in diesen Räumen unerträglich sein müsse, in denen er schließlich Dienst habe. Schmitz äußerte sein Bedauern, es werde ja gelüftet, davon abgesehen müsse er aber schon dazu bereit sein, dieses Opfer zu bringen. »Hätten sie nicht wenigstens alles in Plexiglas einschließen können wie nebenan?«, fragte Johannes. Schmitz erwiderte, dann würde alles durch die Vermoderung im Undefinierbaren verschwimmen. Johannes ließ nicht locker: »Aber das symbolisiert den Tod doch ganz gut, verschwimmen wir da nicht auch im Undefinierbaren?« Schmitz lachte. Mir fielen die Vitrinen des Beuys-Blocks ein, die auch nach Jahrzehnten wegen der darin befindlichen Würste und toten Ratten noch ausdünsteten. Schmitz ergänzte, der Modergeruch sei Teil des Kunstwerks, ebenso wie die zu erwartenden Schimmelberge und das Nässen auf den Fußboden. Wir ließen Schmitz mit einer weiteren Bewunderin stehen. Es handelte sich um die für den Raum zuständige Museumswärterin, eine Kollegin meines Freundes, die er nicht mochte. Er war verärgert: »So eine Verschwendung! Und wir dürfen hier dann arbeiten bei dem Gestank und giftige Schimmelpilzsporen einatmen! Als ob jetzt im Winter nur wegen uns so viel gelüftet würde. Ich mag diesen Schmitz nicht. Und dann diese blöde Garners, himmelt ihn an mit großen Augen! Nach unten tritt und vernünftig arbeiten kann sie auch nicht. Aber immer in der vordersten Reihe stehen, wenn irgendwo ein Fotoapparat ist«.

      Das Museum schloss, wir verabschiedeten uns voneinander.

      Am nächsten Tag traf ich Johannes wieder. Er war noch immer verärgert: seine Kollegin hatte sich krank gemeldet, er hatte einspringen und in dem Gemüsezimmer Dienst tun müssen. Noch war nichts verschimmelt, aber er wurde ständig von den Besuchern angesprochen. Er ahmte die Stimmen nach: »Ist das echtes Obst?«, »Was passiert denn damit?« und dergleichen wurde er in einem fort gefragt, um dann vor allem von den älteren Besuchern für die Verschwendung angegriffen zu werden, als sei es sein Kunstwerk. Er äußerte den Wunsch, das ganze Zeug zu zermatschen. »Stehlen müsste man es!« sagte ich zu ihm. Ich hatte überlegt, am folgenden Sonntag mit Freunden ein Fest zu feiern. Man konnte mit einer solchen Beute dreißig Leute satt machen. Obwohl ich Johannes’ Schmerz wegen der Verschwendung nicht ganz teilte, gefiel mir diese Idee. Johannes war begeistert. Wir überlegten gemeinsam, wie wir das Gemüse stehlen könnten. Solange er für den Raum verantwortlich war, würde er sich ins eigene Fleisch schneiden, wenn er den Tischbelag abräumen würde. Seine Kollegin wurde am nächsten Tag zurück erwartet, wir mussten wohl unter ihren Augen handeln. »Ich schlage vor, ich hänge das Zeug tütenweise aus der Toilettentür und Du gehst in den Hinterhof und holst es ab« sagte Johannes. Das war nicht ganz ungefährlich, obwohl wir uns schnell einen recht gut klingenden Plan zurecht legen konnten. Wir überlegten, was uns wohl blühen würde, wenn wir erwischt werden würden. Konnte man sich damit rausreden, das sei Mundraub, wenn man in diesem Fall sogleich mit gespieltem Heißhunger einen Teil der Beute verschlang? Und wie hoch war die Strafe für Mundraub? Wir hatten beide unabhängig voneinander einmal gehört, sie sei nicht sehr hoch, wussten aber nicht, was das genau hieß. Und was es in dem Fall bedeutete, in dem die Zerstörung eines Kunstwerkes damit verbunden war, wussten wir erst recht nicht. Den Job wäre Johannes dann wohl jedenfalls los.

      Wir beschlossen, unseren Plan trotzdem in die Tat umzusetzen. Schon am nächsten Tag räumte Johannes in einer unbeobachteten Minute etwas von dem Gemüse ab, so dass es noch nicht auffiel. Er stapelte den Rest kunstvoll so, dass es nach etwas mehr aussah. Als ich das hörte, war ich nicht begeistert, denn es war gut möglich, dass jemand die Veränderung bemerken würde – beispielsweise Schmitz selbst, der womöglich mit jeder einzelnen Konstellation von Gurke und Feige etwas aussagen wollte. Tatsächlich lag an drei Stellen jeweils eine Salatgurke, mit einem Ende auf zwei Feigen gestützt. Ich machte Johannes darauf aufmerksam. Er sagte: »Penis und Eier«. Ich sagte: »Nein, Feige symbolisiert Vagina«. Er sah mich an und fragte mich, ob ich ernsthaft glaubte, Schmitz, der große Erneuerer, halte sich hierbei an überlieferte Konventionen. Niemand bemerkte etwas von der Veränderung durch Johannes‘ Eingriff.

      Am

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