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beschäftigt, aus ihm eine Maschine zu machen, die unter allen Umständen funktionierte. Eddie selbst verschonte das Schicksal stets. Es schenkte ihm von Geburt an Geld und Macht, vor allem Gesundheit, doch wozu? Im Gegenzug hatte er nie gelernt zu leben. Und so kam es, dass auch niemand mit ihm leben wollte, auch nicht die Frau, die er über alles liebte.

      Anfangs dachte Eddie, der Weggang von Jeanine wäre etwas Gutes – er redete es sich ein. Dabei hinterließen sie und die kleine Lillie ein großes, dunkles Loch in seinem Herzen. Ein Loch, das von nichts und niemandem gestopft werden wollte. Weder von Pokerfreunden noch von leichten Mädchen wie Natalie, die nur sein Bestes wollten – sein Geld. Eddie war allein, ganz allein.

      Jetzt starrte er noch immer auf die beiden Flaschen vor sich und wähnte sich in dem Gedanken, die Lösung vor Augen zu haben. Nun wich die innere Anspannung einer eigenartigen Ruhe. Gezielt und ohne Zögern griff seine rechte Hand nach einem Tumbler. Sogleich floss der ungekühlte Glenfiddich 30 in das Glas. Beherzt öffnete er die Plastikflasche, stülpte sie einmal um auf seiner Hand. Lauter kleine weiße Pillen purzelten heraus. Er zählte sie nicht. Geschwind rang er jede einzelne der Tabletten mit einem gewaltigen Schluck aus dem Tumbler hinunter. Sein Körper wehrte sich reflexartig gegen das, was ihm drohte. Doch er zwang sich, den tödlichen Cocktail nicht zu erbrechen. Als seine Welt aufhörte sich zu drehen, sank Eddie zu Boden. Es war, als würden sich seine Sinne in der Dunkelheit verlieren. Dann wurde es schwarz um ihn herum.

      4

       Wo bin ich? Bin ich schon drüben? Ich weiß es nicht, ich sehe es nicht. Ich sehe meine Hände nicht, meine Füße nicht. Alles ist schwarz.

       Da, um mich herum wird es allmählich heller. Jetzt sehe ich etwas! Aber ich kann nicht erkennen, was es ist. Ich will scharf sehen, doch es geht nicht!

       Vor mir ist etwas. Oder jemand? Mein Blick ist starr darauf gerichtet, ich kann ihn nicht umher wenden. Vor mir ist ein Gegenstand, ich kenne ihn. Ist das ein Tisch? Nein. Eine Bahre? Ja, eine Bahre.

       Langsam gehe ich darauf zu. Nein, ich gehe nicht, denn ich habe keine Füße. Ich scheine nicht Teil dieser Welt zu sein und doch nähere ich mich unaufhörlich. Träume ich?

       Da … da liegt jemand! Da liegt jemand auf der Bahre. Da liegt ein Mann! Oder ist es eine Frau? Ich erkenne es nicht. Verdammt, ich will wieder scharf sehen! Aber ich sehe nur Schatten. Farbige Umrisse, weiter nichts.

       Ich will etwas sagen, ich schreie, aber niemand kann es hören. Man kann mich nicht hören, weil ich nicht hier bin. Nicht so ganz.

       Jetzt kann ich das Haar sehen. Es ist schwarz. Mein Haar ist auch schwarz. Das Gesicht kann ich erkennen, ich bin mir sicher, dass es das Gesicht sein muss. Es wendet sich mir zu, aber es wird mich nicht sehen.

       Sein Blick verändert sich. Will es etwas sagen? Nein. Ich glaube, ja, es lächelt! Das Gesicht lächelt! Er oder sie liegt auf der Bahre … aber die Lippen sind zu einem Lächeln geformt. Wenn ich sonst nichts Klares sehe, aber das sehe ich!

       Was tut es jetzt, das Gesicht? Es lacht! Ja, es lacht wirklich! Und wie … Es lacht nicht mit dem Mund, ja nicht mal mit dem Körper, sondern mit dem Herzen. Ich bin nicht sicher, ob ich jemals zuvor ein solches Lachen gesehen habe …

      5

      Was war das? Am nächsten Morgen fand sich Eddie auf dem Boden seines Appartements wieder. Die Mittagssonne schien ihm direkt ins Gesicht und kitzelte ihn aus seinem komatösen Schlaf. Es dauerte einen Moment, bis er seine Umgebung wieder klar und deutlich sah. Als sich seine Sinne wieder halbwegs sensibilisierten, tastete er sofort seinen Körper ab. Eddie Jefferson war am Leben – er hatte die Schwelle zum Jenseits letzte Nacht nicht überschritten. Neben ihm lag die kleine Plastikflasche, darum ein paar der weißen Pillen verteilt. Schon auf den ersten Blick sah man, dass etliche der Tabletten fehlten. Doch die Dosis hatte anscheinend nicht ausgereicht, um Eddie aus dem Leben scheiden zu lassen. Sein Körper schien wahrlich unverwüstlich. Nur wusste er noch nicht recht, ob er sich darüber freuen sollte.

      Natürlich setzte ihm die Wirkung der Medikamente dennoch zu. Sein Schädel wurde von noch nie dagewesenen Kopfschmerzen malträtiert. Der erste Versuch, seinen Körper vom dunklen Teppichboden seines Appartements aufzurichten, endete in einem Sturz aufs Steißbein. Er schrie in Erwartung starker Schmerzen, doch tat er das mehr aus dem Reflex heraus. In Wahrheit spürte er den Aufprall so gut wie gar nicht. Seine Wahrnehmung war noch immer getrübt.

      Was war das nur für ein merkwürdiger Traum …? Je besser sein Körper wieder funktionierte, desto stärker traten auch die Erinnerungen an die vergangene Nacht hervor. Er hatte die verschwommene Silhouette eines Menschen gesehen, der auf einer Bahre lag, offenbar außerstande, sich zu bewegen. Seiner Situation zum Trotz, fing dieser Mensch aus vollstem Herzen zu lachen an. Eddie konnte sich an jedes Detail seines Traumes erinnern, doch einordnen konnte er ihn nicht. Was hatte dieser Traum zu bedeuten? Wer war der Mensch, den er auf der Krankentrage liegend gesehen hatte? Kannte er diese Person? Oder war er es selbst, den er dort liegen sah? Fragen, die zu beantworten er noch nicht in der Lage war.

      An diesem Nachmittag wurden Eddies Gedanken nur von diesem einen Traum beherrscht. Er dachte an den ihm fremden Ort, wo sich die Trage mit dem Menschen befand. Erstmals seit sieben Wochen dachte er in einer freien Minute weder an Jeanine noch an Lillie, geschweige denn an die Arbeit. Es schien, als könne er vorerst nicht mehr Edward »Eddie« Jefferson, Junior-Chef eines renommierten Immobilien-Unternehmens sein. Die Geschäfte mussten erst einmal warten. Kaum war Eddie einmal durch die Wohnung gewankt, griff er zum Hörer. Auf der anderen Seite klingelte es ein paar Mal, bis die gewünschte Person endlich abnahm. Im Hintergrund war das vergnügte Quietschen von Kinderstimmen zu hören.

      »Ja, Master Jefferson?«

      »Javier, du musst mir einen Gefallen tun.«

      »Natürlich, Sie wünschen?«

      »Sag bitte das Meeting für mich ab. Ich schicke dir eine E-Mail mit den Details.«

      »Was soll ich denen sagen?«

      »Nichts Konkretes. Sag, ich bin verhindert und dass ich mich melden werde.«

      »Verstanden … Master Jefferson, ist alles in Ordnung?«

      »Ich denke schon …« Ich weiß es nicht …

      6

      »Hallo, was kann ich für Sie tun?«

      »Hallo, ich ähm … ich habe versucht, mich umzubringen …«, diese Worte fielen ihm schwer. Nachdem er Javier darüber informiert hatte, dass das Geschäftsessen heute Abend nicht stattfinden würde, hatte Eddie diesen Ort aufgesucht: Das St. Fellaus Hospital. Das kostete ihn einiges an Überwindung. Er hoffte, dass die kräftig gebaute, afroamerikanische Kranken-schwester hinter dem Tresen ihn nicht sofort erkennen würde. Anscheinend hatte er Glück. In seiner Branche war man nicht automatisch prominent, nur weil man ganz oben mitspielte. In Wahrheit hatte sein Anliegen hier überhaupt nichts Außergewöhnliches an sich. Weshalb sich auch die zweite Schwester, die im Hintergrund Wasser für einen Tee aufbrühte, nicht umdrehte. Weil Eddie hier einer von vielen war, ging die junge Dame ihm gegenüber einfach weiter im Text. Sie bückte sich nur kurz, um im nächsten Moment ein paar an ein Klemmbrett geheftete Zettel und einen Kugelschreiber hervor zu holen.

      »Hier, bitte sehr. Nehmen Sie das, setzten Sie sich hinten links um die Ecke und lesen Sie es in Ruhe durch. Beantworten Sie die Fragen so gut Sie können.«

      »Vielen Dank.« Eddie nahm Stift und Klemmbrett an sich und ging die paar Schritte in den Wartebereich hinein. Bis auf die Stühle und Tische war nahezu alles um ihn herum weiß und steril – kein Wunder, schließlich saß er in der Notaufnahme eines Krankenhauses. Er kannte diese Umgebung aus Kindertagen, sonst nur aus Filmen. Eddie war nur ein paar Mal hier, wenn es darum ging,

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