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ich einundzwanzig Jahre alt war, fuhr ich über Land nach Indien. Es war ein einziges Abenteuer. Aber ein anderes als ich erwartet hatte.

      Der Drang zum Reisen steckte seit meiner Jugend in mir. Irgendwie wollte ich immer hinaus in die Welt. Der Grund dafür lag vielleicht darin, dass sich unsere Familie in meiner Kindheit, die in der Nachkriegszeit lag, keine Urlaubsreisen leisten konnte. Unsere sechsköpfige Familie hatte in meiner Kindheit kein Auto. Meine erste nennenswerte Reise konnte ich erst im Alter von zehn Jahren machen. Mit einem Freund meiner Eltern, der einen VW-Käfer besaß, verbrachte ich im Jahre 1955 die Ferien in Innsbruck, wobei aber auch nur die halbe Familie mitfahren konnte. Von Innsbruck haben wir Abstecher nach Italien gemacht, was mir eine ganz neue Welt eröffnete. Vor allem Venedig, hinter dem eine exotische östliche Welt hervorlugte, hinterließ bei mir einen tiefen Eindruck. Seitdem zog es mich immer stärker in die Ferne. Bis zu meinem zwanzigsten Lebensjahr habe ich große Teile Westeuropas, vor allem die großen Metropolen besucht – Rom etwa, Paris, London, Brüssel und Amsterdam. Mit neunzehn Jahren reiste ich erstmals nach Osten und verließ Europa. Mit zwei Freunden, die ebenso jung wie ich waren, fuhren wir mit einem VW-Käfer nach Griechenland und in die Türkei. Die Türkei war damals noch kein Reiseland. An der Südküste gab es - man kann es sich mittlerweile kaum mehr vorstellen - noch kein einziges Touristenhotel. Wir durchquerten das ganze Land auf unbefestigten Straßen bis zur syrischen Grenze und lernten eine ganz neue, die asiatische und die muslimische Welt kennen, die voller Rätsel war. Seit dem interessierte mich der Osten. Zunächst aber folgte noch ein weiteres europäisches, allerdings auch nicht eben bescheidenes Reiseprojekt. Wiederum mit einem VW-Käfer - Baujahr 1951 und einer Motorleistung von 200.000 Kilometern - ging es in den hohen Norden. Auf abenteuerlichen, ebenfalls noch unbefestigten Straßen voller Schlaglöcher reiste ich mit einem Klassenkammeraden durch die atemberaubende Fiordlandschaft Norwegens bis zum Nordkap und über das seenreiche Finnland wieder zurück. Ein Abstecher in das prachtvolle, aber heruntergekommene Leningrad eröffnete eine weitere neue Welt. Wir waren acht Wochen unterwegs und legten 14.000 Kilometer zurück.

      Das eigentlich Sitzfleisch voraussetzende Studium der Rechtswissenschaften, das ich danach begann, hatte keine Beruhigung meines Reisedrangs zur Folge. Ein neues und noch größeres Projekt musste her. Im Alter von einundzwanzig Jahren fasste ich den Entschluss, allein per Anhalter um das Mittelmeer zu fahren. Als ich meine Eltern, die meinen Reisedrang immer mit einer gewissen Sorge beobachteten, von dem neuen Projekt unterrichtete, schlugen sie die Hände über dem Kopf zusammen. Sie stellten fest, dass eine solche Reise allein und per Anhalter zu gefährlich sei. Kategorisch entschieden sie, dass dies überhaupt nicht in Frage komme. Ich hielt daraufhin nach Möglichkeiten Ausschau, meinen Drang nach etwas gänzlich Außergewöhnlichem zu befriedigen, ohne gegen das Gebot meiner Eltern zu verstoßen.

      An der allgemeinen Mitteilungstafel der Universität Mainz, wo ich studierte, fand ich im Sommer 1965 einen Zettel, wonach noch Mitfahrer für eine Reise nach Indien und zurück auf dem Landwege gesucht würden. Indien war damals das weiteste Ziel, das man von Westeuropa aus auf dem Landwege erreichen konnte. Automobilistisch war an der Mündung des Ganges das Ende der Welt erreicht, da es keine Möglichkeit gab, durch Burma zu fahren, das den Weg nach Südostasien versperrte. Ein solches Projekt wurde daher meiner Abenteuerlust gerecht. Hinzu kam, dass ich in meiner Jugend einige Bücher von Sabine Wörishöffer gelesen hatte, in welchen Jungen, bei denen es sich meist um Waisenkinder handelte, in fernen Ländern in allerhand Abenteuer verwickelt wurden. Besonders beeindruckt hatte mich dabei das Buch „Kreuz und quer durch Indien“, in dem es um die Erlebnisse zweier Leichtmatrosen aus Deutschland in der Wunderwelt Südasiens ging. Darin wurden geheimnisvolle Zeremonien in düsteren Felsenhöhlen geschildert, in denen sich Bildnisse von vielarmigen Göttern und merkwürdigen Wesen befanden, die teils Mensch teils Tier waren. Seitdem hatte Indien für mich eine Aura von Geheimnis und Abenteuer. Rudyards Kiplings Jugendbuch Kim hatte all dem noch einen Hauch von Spionage und Weltpolitik und Hermann Hesses Siddartha tiefe Mystik hinzugefügt. Ich hoffte ein wenig von der Tiefe des indischen Geistes zu erleben, von der sich nicht zuletzt deutsche Denker immer wieder angezogen fühlten.

      Ich rief die Kontaktperson an, die auf dem Zettel angegeben war, und erfuhr, dass man zu sechs Personen ein Fahrzeug kaufen und damit die Reise durchführen wolle. Damit waren die Forderungen meiner Eltern erfüllt. Ich teilte ihnen also mit, dass ich eine, wenn auch andere große Reise mit einer festen Reisegruppe und eigenem Auto machen werde. Nach den Vorgaben, die sie gemacht hatten, konnten sie nichts weiter einwenden. Finanzielle Fragen stellten sich ohnehin nicht. Wie immer hatte ich für die Reise in den Ferien in Fabriken gearbeitet und erwartete von meinen Eltern nicht mehr als das, was sie durch meine Abwesenheit ersparten. Als ich ihnen dann allerdings mitteilte, dass es nach Indien gehe, gab es ziemlich betretene Gesichter.

      Die Initiative zu dem Projekt ging von zwei Indern aus, die in Deutschland studierten und nach langen Jahren wieder einmal ihre Heimat besuchen wollten. Da sie das nötige Geld für die damals noch sehr teure Flugreise nicht hatten, waren sie auf die Idee gekommen, über Land nach Indien zu fahren und zur Minimierung der Kosten einige Mitfahrer zu suchen. Die sechs Leute waren bald beisammen. Es waren der Inder Vikram, Medizinstudent im 8. Semester, und seine Verlobte Gertrud, ebenfalls eine angehenden Medizinerin, der Inder Rajindra, ein Ingenieurstudent, Werner, Student der Wirtschaftswissenschaften, Franz, Philologiestudent und ich. Vier Leute aus der Mannschaft hatten feste Ziele in Indien. Vikram wollte mit Gertrud seine Familie besuchen, Rajindra die seine. Werner hatte eine junge Inderin in Amerika kennen gelernt, die er besuchen wollte. Franz und ich waren frei und vereinbarten, dass wir zusammenbleiben würden, wenn die anderen sich in Indien zu ihren Zielen begaben. Uns beide trieb Abenteuerlust. Bei mir hinzu kam aber noch die Neigung, die Festigkeit meines geistigen Horizontes zu überprüfen, der familiär und schulisch vom Katholizismus geprägt war.

      Wir trafen uns einige Male und besprachen Einzelheiten wie Reiseroute, Carnet- Visa- und Finanzierungsfragen, Impfungen, Koch- und Schlafausstattung, Gepäcklimit und Vorräte. Alle Beteiligten sollten gleichberechtigt sein und entsprechend die anfallenden Kosten tragen. Diese wiederum sollten so gering wie möglich gehalten werden, da alle knapp bei Kasse waren. Schlafen etwa sollten wir grundsätzlich im Freien. Die Federführung zog Vikram an sich, der einige Jahre älter als der Rest der Mannschaft war. Da er vorgab, etwas von Autos zu verstehen, sollte er auch das Fahrzeug, einen VW-Bus, besorgen. Anfang August sollte es losgehen. Zum Semesteranfang Ende Oktober wollte man zurück sein.

      Ich besorgte mir zur Einstimmung Literatur über den Feldzug Alexanders des Großen nach Indien, auf dessen Spuren wir ja unterwegs sein würden. Alexander war genauso alt wie ich gewesen, als er seine Expedition nach Indien begann. Wahrscheinlich musste man so jung und unerfahren sein, um sich ein derartiges Projekt vorzunehmen. Das Land am Ganges hatte, wie ich bei meiner Lektüre feststellte, die Phantasie der Europäer schon immer mächtig entzündet, was insbesondere der Alexanderroman zeigt, der in verschiedenen Fassungen die ganze Kulturgeschichte des Abend- und im Übrigen auch des Morgenlandes durchgeistert - im Mittelalter war er sogar das meist gelesene Buch nach der Bibel. Alexander selbst soll mit einem Brief an seinen Lehrer Aristoteles über die Wunder Indiens, der Teil des Romans wurde, mächtig zur Bildung der Legenden beigetragen haben, welche den Subkontinent seit je wie tropische Schlingpflanzen umwucherten. Nach dem Prinzip, je weiter etwas entfernt ist, desto unwahrscheinlicher darf die Schilderung davon sein, erlangten die Erzählungen über die mirakulöse indische Pflanzen- und Tierwelt eine Qualität, die man heute als „Phantasy“ bezeichnen würde. Besonders beeindruckt war ich etwa von den Berichten über Blumen, aus denen singende Jungfrauen wuchsen.

      Ein geeignet erscheinendes Fahrzeug hatte Vikram bald gefunden. Es war ein zwei Jahre alter VW-Bus mit einem Tachostand von etwas über 25.000 Kilometern. Der Bulli war seinerzeit das Fahrzeug der Wahl für alle, die mit schmalem Budjet auf große Fahrt gingen, nicht zuletzt weil er unendlich strapazierfähig schien. Ich taufte unser Gefährt Bukefalus, den Namen des vergöttlichten Pferdes, das Alexander bis nach Indien brachte, in der Hoffnung, dass uns der Wagen ebenso treue Dienste leisten würde.

      Als wir uns am Tag vor dem geplanten Abfahrtstermin in Frankfurt, wo Vikram wohnte, trafen, gab es allerdings die erste Überraschung. Um den Wagen mit seinem 34 PS Motor, der mit sechs Personen ja schon ziemlich voll war, auf der langen und vermutlich nicht einfachen Strecke nicht übermäßig zu strapazieren, hatten wir uns

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