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BePolar. Martha Kindermann
Читать онлайн.Название BePolar
Год выпуска 0
isbn 9783748590385
Автор произведения Martha Kindermann
Жанр Языкознание
Серия BePolarTrilogie
Издательство Bookwire
Eine sehr überschaubare Maske öffnet sich und teilt den Bildschirm in mehrere Unterpunkte ein. ›Stundenplan, Dozentenverzeichnis, Lageplan, Entwurf große Halle, Hilfe und Kontakt.‹ Das System wählt eigenständig und öffnet das passende Programm. Eine dreidimensionale und um dreihundertsechzig Grad drehbare Ansicht des Raumes wird sichtbar. Am unteren Ausschnitt sind diverse Extras vorgefertigt, die per Touch in den kahlen Raum gezogen werden können. Stühle, Tische, Sofas, Pflanzen, Tapeten, und unendlich viele Möglichkeiten, eigene Skizzen oder Anregungen in leere Felder einzufügen. Eine nette Spielerei. Als Caris ihren Entwurf wenig später bestätigt, spuckt der Computer eine weiße Plastikkarte aus. »KARTE BEIM BETRETEN DES RAUMES DURCH DEN SCANNER ZIEHEN.« Verstanden.
»Du bist dran, Roya.« Das muss mir niemand zweimal sagen, denn ich spüre schon eine Ewigkeit das Kribbeln in den Fingern.
»HALLO, ROYA ROTH.« Cool, der Typ hat einen größeren Wortschatz, als ich annahm. »SCANNE NUN DEINEN FINGERABDRUCK EIN.« Gesagt, getan. Bam! Der Hintergrund färbt sich Sonnenblumengelb und zeigt mir ebenfalls die Möglichkeiten des Hauptmenüs auf. Mit einem Wisch schicke ich mir selbst den Lageplan auf mein Tablet, stelle ernüchternd fest, dass der Stundenplan völlig leer ist und öffne das Designtool.
Ich könnte stundenlang Möbel rücken, die Wände übertünchen oder Pflanzen wachsen lassen, aber dazu fehlt mir im Augenblick die Zeit. Also gestalte ich alles im klassischen Schick mit sinnvoll eingeplanten Accessoires. Vor einer goldenen Wand entsteht eine Sofalandschaft in edler Lederoptik. Kleine Tische und Hocker laden zum Verweilen und Quatschen ein. Zwei Milchglasfronten trennen die Wohlfühlzone vom Rest der Halle und sorgen so für die nötige Ruhe. In Wellenform schlängelt sich ein Bartisch vom Ascenseur an der Wand entlang und bietet Platz zum Arbeiten. Schlichte weiße Hocker und die indirekte Beleuchtung der Tischplatte machen die Workingarea perfekt. Fehlen nur noch die Mandelbäume und…
»Alle Schüler finden sich bitte im Atelier ein. Dr. Gregorio freut sich auf die erste gemeinsame Politikstunde. Viel Spa-aß.« Ceyda ist der sympathischste Drillsergant, den man sich vorstellen kann und bringt mich dazu, mit einem Schmunzeln dem Terminator auf Wiedersehen zu sagen.
»ROYA, DU BIST NUN AUSGELOGGT, AUF WIEDERSEHEN.«
Der Gong ertönt und wir sind die Ersten auf dem Ascenseur. Ich habe gute Laune und bin gespannt, was die nächste Unterrichtseinheit bringen wird.
Der fahrbare Untersatz setzt sich in Bewegung und bringt uns ins Atelier – ein passender Name für das Klassenzimmer unter dem Glasdach. Oben angekommen, begrüßt uns ein Mann um die fünfzig mit einem markanten Gesicht, einer großen Nase und graumelierten Haaren. Er wirkt griesgrämig und kühl. Seine Art, diesen Raum mit einem Blick zu beherrschen, lässt mich erschauern. Niemand sagt etwas. Alle bleiben wie angewurzelt stehen. Keiner traut sich, seinen Platz anzusteuern. Ceydas Lektion steckt wohl noch in sämtlichen Knochen.
»Mein Name ist Dr. Gregorio und ich werde Sie in Politikwissenschaft unterrichten. Ich möchte, dass Sie morgens in Midden aufwachen und abends in Midden wieder einschlafen. Sie werden nichts anderes im Kopf haben außer unseren Ministerien, ihren Mitarbeitern, den Namen der letzten Oberhäupter, der Schuhgröße unserer Präsidentin oder den Namen der Befreier. Haben Sie das verstanden?« Ich hoffe nicht, dass er eine Antwort auf diese Frage erwartet; zudem würde ich es bevorzugen, im Schutze meiner sicheren Bank den Rest der Stunde zu erleben.
»Ihr Hauptaugenmerk liegt auf folgenden Fragen: Was läuft schief, was läuft richtig? Wer sind die Macher und an welchen Strängen muss gezogen werden, um ein Ziel X zu erreichen?« Dieser Typ ist wirklich angsteinflößend. Seine Stimme kriecht durch die Reihen, um uns alle zu infiltrieren und gehörig zu machen. Er hält die Hände gefaltet vor sein Gesicht und schließt kurz die Augen. Als er sie öffnet, atmet die Klasse synchron wieder ein.
»Noch eine organisatorische Sache. Tam Baliette?« Ein Neuer? Ich durchsuche die Reihen nach unbekannten Gesichtern, denn dieser Name ist mir bisher noch nicht untergekommen.
»Hier«, höre ich eine warme Stimme hinter mir und werde sanft bei Seite geschoben. Als Tam Gregorio gegenüber steht, schlägt mein Herz ein wenig schneller. Ich kenne diese braunen Locken, unter denen das junge Gesicht nur zu erahnen ist. Aber woher? Ich erinnere mich nicht. Ich weiß nur, dass mich ein seltenes Gefühl der Vertrautheit erfüllt.
»Dann sind wir nun endlich vollzählig. Bitte setzen.« Herr Gregorio zieht eine kleine Fernbedienung aus seiner Sackotasche und öffnet auf Knopfdruck eine Klappe in der Wand. Ein großer Bildschirm wird heraus gefahren und zeigt in Gänze unser schönes Land Polar. Regionen Nord, Nord-Ost, Ost, Süd-Ost, Süd, Süd-West, West, Nord-West und Midden, das Herzstück des Landes und Sitz der Regierung. Taranee meldet sich aufgeregt. Wie ich sie für ihre penetrante Art verabscheue. Sie streckt ihre Hand, so hoch sie kann und schnipst mit den Fingern. Absolutes Kindergartenniveau.
»Dr. Gregorio, soll ich zur allgemeinen Aufklärung kurz erläutern, warum unser Land den wundervollen Namen Polar trägt?« Diese Person ist eine Zumutung für die gesamte Akademie. Jeder Idiot weiß, dass der Umriss einem großen Stern gleicht. Deswegen sind die Regionen nach Himmelsrichtungen benannt. Ich werfe ihr einen verachtenden Blick zu und hoffe auf Superkräfte, um ihr feuerrotes Haar zu entflammen. Das war natürlich nur ein Scherz, aber manchmal geht meine Fantasie mit mir durch.
»Taranee, Sie können Ihren Arm jetzt wieder senken. Ich gehe davon aus, dass alle die Antwort auf diese Frage bereits kennen. Sollte jemand unter Ihnen an irgendeiner Stelle Wissenslücken erkennen, wende er sich bitte nach dem Unterricht an Miss…«, er sieht sie desinteressiert an.
»Winterkorn, Taranee Winterkorn«, antwortet die Heldin der Nation charmant auf seine angedeutete Frage. Um nicht lauthals loszulachen, schaue ich schnell nach unten. Möglicherweise liegt ja etwas enorm Wichtiges auf dem Fußboden…
Als ich meinen Kopf hebe, sehe ich dem Neuen gegenüber direkt in die Augen. Er macht keine Anstalten, wegzusehen, sondern grinst mich nur schelmisch an. Flirtet er mit mir? Komischer Vogel, er kennt mich doch überhaupt nicht. Um sicher zu gehen, dass der Fußboden auch wirklich nichts Außergewöhnliches aufweist, suche ich ihn erneut ab und entkomme seinen geheimnisvollen Augen.
Mit aller Kraft versuche ich, dem Unterrichtsgeschehen zu folgen, ohne die Konzentration zu verlieren. Mit derartigen Anspielungen kann ich einfach nicht umgehen – zu schüchtern, zu prüde, zu unerfahren. Zugegeben – es war ein wahnsinniges Gefühl, als ich versuchte, Tams Blick standzuhalten. Ein Kribbeln vom Nacken bis in die Fingerspitzen – irre. Doch gleichzeitig könnte ich ihn für so eine Frechheit erwürgen. Diese Sorte Jungs verdreht Mädchen zur eigenen Belustigung den Kopf. Habe ich schon oft genug auf dem Schulhof beobachten dürfen, auch wenn ich nie Opfer einer solchen Attacke geworden bin – bis jetzt. Wie soll ich also reagieren?
Caris stupst mich in die Seite.
»Du starrst ihn an.« Ich wende mich verwirrt zu ihr. »Den Neuen, du starrst ihn an. Der ist süß. Gut, er ist nicht Moreno, aber er sieht schon ganz nett aus.« Wie oberpeinlich. Ich habe sicher nicht ›gestarrt‹. Oder doch? Ich muss meiner Freundin wohl zustimmen. Tam sieht ganz okay aus. Das gibt ihm aber noch lange nicht das Recht, mir so unangenehme Gefühle zu bereiten.
»Nehmen Sie bitte Ihre Tablets zur Hand und wählen Sie unter dem Politikmenü den Punkt Übersicht aus.« Gregorio macht einen gelangweilten Eindruck. Hoffentlich war Taranees dämlicher Zwischenruf nicht ausschlaggebend für den Gesamteindruck der Klasse.
»Sie sehen nun dreißig Fragen vor sich.
1. ›Aus wie vielen Mitgliedern besteht der Große Rat im Regierungspalast?‹. Das dürfte sicher noch kein Problem darstellen.
2. ›Wann findet die nächste Ratswahl statt?‹ da Sie sich, wie ich annehme, Ihrer Aufgabe bereits bewusst sind, erwarte ich korrekte Antworten.« Welcher Aufgabe sollen wir uns denn bewusst sein? »Sie haben nun bis zum Ende der Stunde Zeit, die Lösungen zu notieren. Anschließend betätigen Sie bitte den Senden-Button und verlassen