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eine neue Art des Transports testete. Unter dem Quadrocopter hatte er ein Päckchen angebracht. Wasserdicht verpackt, mit Klebeband umwickelt. Mit Leichtigkeit hob sich das Fluggerät dennoch vom Boden und auch die Flugeigenschaften hatten sich nicht verschlechtert. Wenn das mit einem normalen handelsüblichen Flieger schon funktionierte, wie gut würde es dann erst mit dem Profi-Gerät klappen. Auf diese Idee war er durch die Internetfirma Amazon gekommen, die in den USA plante, ihre Pakete mit Flugdrohnen auszuliefern. Was mit einem Kleidungsstück oder einem anderen im Internet gekauften Gegenstand klappte, würde auch mit Drogen funktionieren. Und genau so eine Drohne hatte er bestellt. Damit konnte man Waren mit einem Gewicht bis zu sieben Kilogramm transportieren. Und das bei einer Geschwindigkeit von 50km/h und einer maximalen Flugzeit von einer Viertelstunde. Damit war der Transport von Kokain, Speed und Crystal Meth überhaupt kein Problem mehr. Die Fluggeräte folgten einer vorgegebenen einprogrammierten Route und kehrten auch nach einer zeitlich einprogrammierten Landephase wieder an den Ausgangspunkt zurück. Kein menschliches Versagen mehr, keine zugekifften Junkies, die von den Bullen erwischt werden konnten. Alles clean. Alles High-Tech. Und alles in seinem Köpfchen entstanden. Sein Boss, Amar Kadiu, würde große Augen machen und nicht mehr an ihm zweifeln. Das war sicher. Er würde den großen Wurf machen.

      Die Sonne war schon fast hinter den Baumwipfeln versunken und der beginnende Sonnenuntergang warf einen hellrosa Schimmer auf die wenigen Schleierwölkchen am Himmel. Sinan Shkodra lenkte die Drohne zu sich zurück und ließ das Fluggerät landen. Von Bonn aus näherte sich ein Fahrzeug. Sinan Shkodra drehte sich herum und sah, wie der Wagen an der Einmündung zur kleinen Stichstraße zum Annaberger Hof anhielt. Mit zornig zusammengekniffenen Augenbrauen erkannte er das Fahrzeug. Ein Ford Mustang. Diese protzige Kiste gehörte einem Mitglied einer kroatischen Gang, die sich mit der von Sinan Shkodra um die Drogengeschäfte in Bonn stritt. Sie hatten sich auf bestimmte Grenzen geeinigt. Der Gang von Amar Kadiu gehörte der Bad Godesberger Bezirk, der von dem Gebiet der anderen Gang umschlossen wurde. Mit einem Mal wurde Shkodra klar, dass er sich auf dem Gebiet der gegnerischen Bande befand. Der Rheinhöhenweg markierte die Grenze. Er befand sich auf dem Gebiet der anderen. Aller Wahrscheinlichkeit nach würde der Kerl mit dem Mustang sein Maul nicht halten können. Er würde einen Streit vom Zaun brechen. Als hätte Shkodra es geahnt, schlug der Fahrer die Tür des großen Sportwagens zu und marschierte wie ein Kerl in einem Western, der zu einem Duell bereit ist, über die Wiese auf ihn zu. Seine Gesichtsmuskeln spannten sich an und Sinan Shkodra machte sich bereit für die drohende Auseinandersetzung.

      *

      Donnerstag, 21.08.2014

      Sa Rapita, Mallorca

      Oliver Hell trat auf die Straße vor dem kleinen ‚Hostal Bris‘, in dem er schon seit ein paar Wochen wohnte. Wie jeden Morgen empfand er die modernen Fenster des Hauses gegenüber als störend. Nein, eigentlich empfand er diesen Neubau als störend. Ein großes Wohngebäude in rostrot mit weiß abgesetzten Fensterlaibungen und dunklen Schlagläden. Wenn er es genau betrachtete, waren es diese dunkel gestrichenen Fensterläden, die nicht in den farbenfrohen Kanon der Nachbarschaft passen wollten. Diese Häuser waren alt, weiß getüncht, aber die Fensterläden erstrahlten in hellblauem, sonnengelbem und mediterranem Grün. Sie gehörten zum alten Ortskern von Sa Rapita, waren typisch mallorquinisch. Das Haus gegenüber passte nicht hierher, es sah eher deutsch aus. Vielleicht war es das, was ihn störte. Alles, was ihn momentan an seine Heimat erinnerte, wollte er so weit von sich schieben wie nur möglich. Seinen Beruf, die Mörder, Psychopathen und Irren, die ihm in seiner Tätigkeit als Kriminalhauptkommissar fast tagtäglich begegneten. Von denen hatte er die Nase voll.

      Mit einem ‚Hola‘, das schon sehr spanisch klang, begrüßte er den Besitzer des kleinen Tabakladens neben dem Hotel. Dann ging er ohne Eile hinunter zur Avenida de Miramar. Langsam überquerte er die Küstenstraße, die parallel zum felsigen Strand verlief, lief über den holprigen Parkplatz und trat an die Klippe heran. Die Brandung klatschte gegen die zerklüfteten Steine. Auf dem Parkplatz standen nur ein paar Autos und hinter ihm donnerte ein Kühllaster vorbei, hielt ein paar Meter weiter vor einem der kleinen Restaurants mit Meerblick oder dem Spar-Markt. Oliver Hell interessierte das nicht. Er spürte nur die sanfte Brise, betrachtete die kleinen Schönwetter-Wölkchen am Horizont. Um nichts auf der Welt hätte er sich an einen anderen Ort gewünscht. Während auf dem Rest der Insel der touristische Sommertrubel tobte, war es hier ruhig. Es gab keine Hotelbunker oder Resorts, nur ein paar kleine Hotels und Pensionen. Carola Pütz hatte ihm das ‚Hostal Bris‘ empfohlen und er war nur zu gerne ihrer Empfehlung nachgekommen.

      Der Wind hatte sich gelegt und schon morgens um halb zehn zeigte das Thermometer 25° Grad an. Er sah in Richtung Westen zu der Landzunge hinüber, deren Namen er nicht kannte und überlegte, wie lange er wohl zu Fuß dorthin brauchen würde. Wandern. Eine Tätigkeit, die er in all den Jahren in Bonn nie ausgeführt hatte. Hier nutzte er die Zeit, um zu sich zu finden. Um seine Pläne zu konkretisieren. Daheim in seinem neu angemieteten Haus standen unausgepackte Umzugskisten, Möbel mussten aufgebaut werden. Doch daran verschwendete er keinen Gedanken.

      Ein Lächeln flog über sein Gesicht. „Ist doch völlig egal, wie lange du dafür brauchst, der Weg ist das Ziel“, murmelte er vor sich hin und ging los.

      *

      Bonn, Polizeipräsidium

      Mit den Fingernägeln von Zeigefinger und Daumen versuchte Jan-Phillip Wendt ein Haar von seinem Nasenrücken zu zupfen. Nach drei Versuchen klappte es und er betrachtete nachdenklich das Haar, das an seinem Fingernagel klebte. Er schnippte es weg und seufzte. Mit einer eleganten Bewegung schwang er die Füße von Oliver Hells Schreibtisch. Mittlerweile fühlte er sich dort fast heimisch. Das war nicht von Anfang an so gewesen. Nachdem ihm Staatsanwalt Pavel Retzar die kommissarische Leitung der Abteilung übertragen hatte, dauerte es gut eine Woche, bis er seinen Arbeitsplatz gegen den seines Chefs tauschte. Es verging kein Tag, an dem er sich nicht wünschte, sein Freund und Mentor Oliver Hell würde seine selbstgewählte Auszeit beenden. Alle vermissten ihn. Die Kollegen im Team, die Rechtsmedizin, selbst die Mitarbeiter der Spurensicherung – sie alle atmeten schwer, wenn der Name Oliver Hell fiel.

      Als Wendt es sich in seinem Sessel, den er Hells protzigem Sitzmöbel vorzog, gemütlich gemacht hatte, riss aus irgendeinem Grund plötzlich der Himmel auf. Die Sonnenstrahlen bahnten sich ihren Weg und landeten auf Wendts unausgeschlafen wirkenden Gesichtszügen. Er beeilte sich, die Jalousie zu schließen. Er war tatsächlich unausgeschlafen, wie so oft in der letzten Zeit. Der Grund war sehr einfach: Er und Julia verbrachten zurzeit die Abende bei ihr in Asbach, weil es in ihrem Garten viel angenehmer war als auf Wendts kleiner Terrasse. Von Asbach bis ins Polizeipräsidium in der Königswinterer Straße in Bonn-Oberwinter fuhr er morgens mindestens eine halbe Stunde, oft länger. Mit zu wenig Schlaf quälte er sich auf die Arbeit und war froh, dass die Verbrechen in diesem Jahr in einem Sommerloch verschwanden. Wendt fuhr sich mit der Hand über die Bartstoppeln und gähnte ausgiebig. Er schloss die müden Augen und schüttelte leicht den Kopf. Noch alleine im Büro, Klauk, Rosin und Christina Meinhold waren noch nicht eingetroffen, überlegte er, ob er sich für ein paar Minuten in den Sessel setzen und die Augen geschlossen halten sollte. Er stieß die Luft aus, als er sich daran erinnerte, dass Oliver Hell bei einer solchen Gelegenheit von dem ehemaligen Staatsanwalt Überthür beim Schlafen fotografiert worden war. Mitten in diese zögerliche Entscheidungsfindung hinein klingelte das Telefon.

      Das wär’s dann, dachte Wendt, ließ sich in den Sessel fallen und nahm nach dem vierten Klingeln das Gespräch an. Während er zuerst noch entspannt zuhörte, straffte sich plötzlich sein Rücken und sein Polizistengehirn wurde von einer Sekunde zur nächsten in Alarm versetzt.

      „Wie konnte das passieren?“, fragte er. Der Anrufer atmete schwer durch, blieb zunächst eine Antwort schuldig. „Wir sind dabei, das herauszufinden. Wenn wir genaue Details erfahren haben, geben wir Ihnen Bescheid, Herr Kriminaloberkommissar Wendt“, sprach die Stimme aus dem Telefonhörer mit einem schuldbewussten Tonfall.

      „In Ordnung, ist die Fahndung raus?“, fragte Wendt barsch.

      „Selbstredend“, antwortete der Mann jetzt ein wenig sicherer.

      Wendt drückte das Gespräch weg und senkte den Kopf.

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