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der vom Volk abgewandten Kunst. Und dann ging er plötzlich mitten in die Politik, die ganz andre Waffen braucht, die viel sinnfälliger, rauer, gröber arbeiten muss. Es war eine Abkehr von seinen ureigenen Mitteln. Man sage, was man will: kein Schriftsteller verlässt leichten Herzens das Land, in dem er sich in jungen Jahren die Meisterschaft geholt hat. Nicht Ehrgeiz, Knopf auf dem Kirchturm zu werden, trieb ihn in die neuen Bezirke. Er hatte tief eingewurzelt einen Instinkt für das Rechte. Um politisch zu werden, brauchte er nicht die Kabbala der Ismen. Die Entbehrung war seine frühe Begleiterin gewesen. Ein Blick zurück in die wirbelnde Welt der Kriegsjahre: die dünne Schicht Ästhetizismus war abgefallen, der Revolutionär, der immer in ihm gelebt hatte, war wieder frei geworden. Als blutjunger Mensch hatte er nach rapidem Aufstieg grausamen Absturz erfahren: zwanzig Jahre bevor er die militärische Feme aufdeckte, war er das Opfer der sozialen Feme geworden. Es muss wohl jemand dies Inferno durchlitten haben, um den Mut zu finden, zum Mundstück des Gebüttelten und Niedergedrückten zu werden in dieser freiesten Republik unter der Sonne, die den, der die Wahrheit sagt, in einen Hohlweg drängt, wo rechts der Totschläger, links der Paragraph lauert. In der kleinen Schrift über seinen »Fall«, die die persönlichsten Bekenntnisse eines Herzens enthält, das sonst nicht zu Konfidenzen neigte, stehen ein paar unvergeßliche Zeilen: »Als Kind musste ich immer eingesungen werden. Eins meiner Lieblingslieder hieß: ›Freiheit, die ich meine, die mein Herz erfüllt ...‹ Es ist gar kein Wiegenlied, sondern ein Turnerlied; aber mein inneres Tempo war immer so vehement, dass ich selbst für den Schlaf einen Marschrhythmus brauchte.« Diesem innern Tempo vertraute er sich lebelang an, es führte ihn sicher, vom Versuch zur bewussten Formung, vom einmaligen Vorstoß zum dauernden Einfluß, vom Instinkt zum Wollen. Weil er wollte, konnte er bewegen und bewirken. Weil er den Marschrhythmus in sich nicht erstickte, konnte er, der Außenseiter, Dinge in Fluß bringen, wo die abgeklärten Kapazitäten der Politik die Achseln zuckten. Etwa eine Woche vor seinem Tode antwortete er im vertrauten Kreis auf die Frage, ob er nicht bedaure, als Theaterkritiker so sehr in den Hintergrund getreten zu sein: »Und wenn ich nichts getan hätte als die Aufdeckung der Fememorde, so wäre mir das genug ...« Wer so dachte, konnte etwas bewegen. Der konnte dem schreienden Karneval der Erfolglosigkeiten fernbleiben, den man bei uns öffentliche Meinung nennt, der brauchte nicht hinein in die buntscheckige Parade der Prominenzen. Er hat immer lachend abgewehrt, prominent genannt zu werden. Er hatte es nicht nötig, weil er ein bedeutender Mann war.

      Der innere Marschrhythmus hat der deutschen Demokratie gefehlt vom ersten Tag an, und wo sie ihn hämmern fühlte, hat sie ihn unbarmherzig erstickt. Deshalb können die Republikaner noch heute nichts mit der Revolution anfangen, deshalb sprechen sie lieber von Max von Baden als von den Kieler Matrosen, und ihre Helden stammen aus einer Kategorie von halben Liberalen, die, durch die Ereignisse emporgehoben, ihre Stellung benutzten, um die alten Mächte zu konservieren. So befindet sich der deutsche Liberalismus auf einer ewigen Heldensuche, und er kann nicht wählerisch sein, weil die Auswahl nicht sehr groß ist. So schreiben jetzt die Demo-Blätter, dass Deutschland elend in Scherben gegangen wäre ohne den General Wilhelm Groener. Anlaß zu dieser beachtlichen Feststellung gab Herrn Groeners sechzigster Geburtstag. Die liberale Presse mit ihren guten Manieren und ihrer ausgesprochenen Einflußlosigkeit ist die geborene Gratulantin, so zeremoniöse Akte gelingen ihr ganz ausgezeichnet. Aber es fragt sich doch, ob sie nicht des Guten zuviel getan und zur Ergötzung des Volkes einen Monumental-Groener aus Zeitungspapier aufgebaut hat, der sich als Ganzes recht stattlich macht, aber bei einer Besichtigung, die weniger auf Figur gibt als auf akkurate Einzelheiten, qualitativ verliert. Herr Groener ist übrigens an dieser Berühmtheit nicht ganz unschuldig. Im Münchner Dolchstoßprozeß hat er zuerst den Novemberpakt zwischen dem Volksbeauftragten Ebert und der OHL als schallenden Trumpf ausgespielt und in einem Nachruf auf Friedrich Ebert dessen unerschrockenen Patriotismus gelobt: »Er war jederzeit und vorbehaltlos bereit, seine persönlichen und politischen Anschauungen und Wünsche zurückzustellen, wenn es galt, der Not des Vaterlandes gerecht zu werden. Auf diesem gemeinsamen Boden haben sich die damalige Oberste Heeresleitung und Friedrich Ebert zum festen Bunde die Hände gereicht, um der Revolution Herr zu werden und dem deutschen Volke Recht und Gesetz wiederzugeben.« Wäre Herr Groener der große Politiker, so hätte er diese Konfessionen hübsch bei den Akten liegenlassen als historisches Material für eine spätere Generation, die bei der Enthüllung eines Geheimvertrages keinen Stachel mehr fühlt, weil die Mächte nicht mehr da sind, die ihn abgeschlossen haben. Herr Groener ist kein großer Staatsmann, aber er hat Geruch für effektvolle Demagogie. Glaubt er wirklich, mit dem patriotischen Führungsattest für Ebert auch nur einen einzigen Konservativen zu überzeugen? Die Leute wollen alle Gewalt, und sie pfeifen darauf, ob Ebert ein guter oder schlechter Patriot gewesen ist. Wohl aber muss solche Eröffnung erschütternd auf die Arbeiterschaft wirken. Und es war wohl auch mehr Herrn Groeners Absicht, der Sozialdemokratie einen Dämpfer zu geben, als den toten Ebert zu entlasten. Denn was hätte es auch für einen Sinn, einen Mann in den Augen von hundert Konservativen zu rehabilitieren, der durch die gleiche Aussage für eine Million Sozialisten zum Verräter gestempelt wird? Für Herrn Groeners politischen Scharfsinn wird gern ins Feld geführt, dass er als Vertrauter Erzbergers den Herren Offizieren die Annahme des Versailler Vertrags mundgerecht gemacht habe. Aber noch im Dezember 1918 wollte der gleiche Groener, der doch einen Monat vorher in Spa ohne Zweifel begriffen hatte, dass der Krieg verloren war, die Volksbeauftragten zu einer Expedition nach Ostland überreden, um Posen zurückzuholen. Im Dezember 1918, im allgemeinen Debakel, wo nichts mehr kompakt war als der Bankrott! Die Volksbeauftragten wollten übrigens nichts davon wissen; nur des Genossen Otto Landsberg roter Shylockbart nickte Zustimmung. Wie die tägliche Beeinflussung Eberts durch Groener war und empfunden wurde, darüber besitzen wir einwandfreies Zeugnis in der Aussage des Abgeordneten Dittmann im Ledebour-Prozeß. Herr Dittmann führte nach dem stenographischen Protokoll aus: »Nun stellte sich aber sehr bald beim Zusammenarbeiten im Rat der Volksbeauftragten heraus, dass die drei Mitglieder der mehrheitssozialistischen Partei – Ebert, Scheidemann und Landsberg – fortgesetzt geneigt und willens waren, Konzessionen zu machen an die alte Bürokratie, an die Vertreter der kapitalistischen Parteien und an die Vertreter des alten Militärregimes ... Es war für uns sehr bezeichnend, dass besonders die Einwirkung des Generals Groener, des Leiters des Großen Hauptquartiers, auf Ebert an jedem Morgen bemerkbar war: abends um elf Uhr pflegte er sich mit dem Großen Hauptquartier telefonisch zu verständigen über die Dinge, die sich am Tage vorher ereignet hatten und am nächsten Tage vielleicht brennend wurden; dann war am andern Morgen stets der Einfluß Groeners bei ihm bemerkbar. Wir Unabhängigen Sozialdemokraten hatten dann fortgesetzt dagegen anzukämpfen, dass wieder die alten militärischen Anschauungen bei den Regierungsmaßnahmen zur Geltung gebracht wurden. Das setzte sich unausgesetzt bei jeder einzelnen Regierungshandlung fort, so dass sich im Rat der Volksbeauftragten ein stiller Kampf abspielte ...« Das Reichsbanner hat neulich ein Dreimännerdenkmal Ebert, Erzberger, Rathenau vorgeschlagen. Die Zusammenstellung ist nicht ganz glücklich. Man sollte sich auf ein Ebert-Groener-Denkmal beschränken, das die beiden darstellt, so wie sie sich im Novemberpakt die Hände reichen. Das Schicksal der Republik von gestern und heut und für das ungewisse Morgen liegt in diesem Händedruck.

      Die Weltbühne, 29. November 1927

      Mein Freund und Kollege Berthold Jacob und ich sind von dem Erweiterten Schöffengericht Charlottenburg zu einer Gefängnisstrafe von zwei Monaten respektive einem Monat verurteilt worden. Das Delikt wird erblickt in einem Artikel Jacobs, »Plaidoyer für Schulz«, hier erschienen am 22. März dieses Jahres und von mir verantwortet. Strafantrag hatte gestellt der Herr Reichswehrminister für die Herren Oberst von Schleicher, Oberst von Bock und Hauptmann Keiner. Der Staatsanwalt, ein höflicher und zurückhaltender Herr, hatte nur die Verhängung finanzieller Sanktionen beantragt, jedoch die Charlottenburger Emminger-Kammer, aus einem Landgerichtsdirektor, einem gelehrten Richter und zwei ungelehrten Volksrichtern bestehend, entschied sich für Prison. Also Prison. Wir sind nicht pathetisch genug veranlagt, das zum Anlass zu nehmen, die Hände zum Himmel zu recken, wo unveräußerlich die ewigen Rechte wohnen; wir haben Freunde und Sekundanten, wir sind nicht wehrlos, und, vor allem, wir sind illusionslos. Dennoch mussten wir einen kleinen Ärger überwinden, als wir das Urteil vernahmen, das uns für ein paar Wochen aus dem geselligen Treiben der Reichshauptstadt verbannt, wenn die Berufungsinstanz es bestätigen

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