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als ihr Programm. Im ganzen Wahlkampf ist kein höflicherer Artikel geschrieben worden.

      Vierzehn Tage nach der Wahl aber wird dieser Artikel zum Anlass genommen, um die Entfernung Lessings von seinem Lehramt zu fordern. Rektor, Senat und Studentenschaft spielen sich gegenseitig in die Hände. Vom Kultusministerium wird die Absetzung Lessings verlangt. In einer Beratung hinter verschlossenen Türen erklärt der Vertreter des Rektors, wenn das Ministerium nicht handle, so handle er »von sich aus«.

      Soweit das akademische Hochgericht. Dann zeigen sich die ersten Folgen des Bannspruches. Nächtliche Katzenmusik vor dem Hause des Verfemten, Familienmitglieder werden tätlich bedroht. Das Bestiarium der nationalistischen Presse wird lebendig. Zuerst trompetet der große Kriegselefant, der »Hannoversche Kurier«, los; das ist das Signal auch für die allerkleinsten vaterländischen Schakale und Hyänen. Dann die lieben Kollegen! In der »Niederdeutschen Zeitung« lebt sich ein sicherer Müller aus, Privatdozent. Dieses akademische Stück Unglück wagt es, Lessing den wissenschaftlichen Charakter abzusprechen, faselt von »geistiger Onanie« und »philosophischem Bolschewismus«, nennt das »Prager Tagblatt«, das Organ des liberaldemokratischen Deutschtums in Böhmen!, eine »deutschfeindliche tschechische Zeitung«. Warum schreibt der Mann? Will er durch sein Beispiel demonstrieren, was sich an unseren Hochschulen dozierend herumdrücken darf?

      Der Fall Lessing, richtiger: der Fall Technische Hochschule, hat zwei Seiten. Die eine geht den demokratischen Unterrichtsminister an, der hoffentlich knochenhart genug sein wird, die akademische Freiheit wahren und den Herrn stellvertretenden Rektor, den es gelüstet, »von sich aus zu handeln«, bei den stoßbereiten völkischen Büffelhörnern zu packen. Die andere Seite ist wichtiger und prinzipieller. Es heißt rechtzeitig den Anfängen einer neuen Hochkonjunktur von Majestätsbeleidigungs-prozessen zu widerstreben.

      Schon jetzt fordern Blätter, die den ersten Präsidenten in den Tod gehetzt haben und sich vor Wonne kugelten, wenn eine Beleidigung Eberts mit 50 Mark »gesühnt« wurde, eine straffe Justiz zum Schutze des Reichsoberhauptes. Die demokratische Presse hat vom Augenblick der Tatsache des Rechtssieges an in musterhafter Weise in Hindenburg nicht mehr den Kandidaten der Gegenpartei erblickt, sondern das von der Mehrheit des Volkes gewählte Oberhaupt der deutschen Republik. Wenn von der Rechten jetzt scharfe Maßnahmen gefordert werden, wenn als erster Theodor Lessings Kopf fallen soll, und noch dazu wegen eines Artikels aus der Wahlzeit, so hat das nichts zu tun mit dem sehr berechtigten Verlangen, den Reichspräsidenten besser als bisher gegen Verleumdung und Besudelung zu schützen. Es steckt dahinter der Versuch, unbequeme Kritiker und Bekämpfer eines sinnlosen Heroenkultes zu treffen, es ist ein Attentat zur Unschädlichmachung von Republikanern, die in der Republik allzu viel Monarchistisches finden. Nichts hat die Zeit Bismarcks und Wilhelms odioser gemacht als die läppischen Majestätsbeleidigungsprozesse, die nur ein Mittel waren zur Niederknittelung der Opposition.

      Die ersten Kundgebungen des neuen Reichspräsidenten haben in ihrer sympathischen väterlichen Sprache beruhigend gewirkt. Eine Ära von Hindenburg-Majestätsbeleidigungs-Prozessen dagegen würde augenblicklich eine Differenz zwischen Wort und Praxis offenbar werden lassen und das Zeichen zu neuem innerpolitischem Kampf von unerhörter Gehässigkeit werden.

      Der Kampf um Lessing kann die erste Probe aufs Exempel sein.

      Die Orthodoxen aber sollten rechtzeitig begreifen, dass mit diesem Namen kein Ruhm für sie verknüpft ist.

      Adolphe Thiers am 26. Dezember 1871

      »Und hier, meine Herren, spreche ich wie immer aus voller Überzeugung, aber glauben Sie mir, Sie, die Sie einen loyalen Versuch mit der Republik machen wollen, und Sie haben recht: dieser Versuch muss ehrlich gemacht werden. Man muss nicht Komödie spielen und eine Regierungsform versuchen wollen mit dem Hintergedanken, sie zu Falle zu bringen. Diesen Versuch muss man ernstlich und aufrichtig machen ... Nein, ich wiederhole es: wir sind keine Komödianten. Wir sind aufrichtige Männer! Wir wollen diesen Versuch ehrlich machen ...«

      So Adolphe Thiers, der einmal Minister des Bürgerkönigs gewesen war.

      Die Gründer der Dritten Französischen Republik sind ebenso wenig Revolutionäre gewesen wie die der ersten deutschen. Auch der Weg zur republikanischen Verfassung Frankreichs ging über einen niedergeworfenen Proletarieraufstand. Dort Gallifet, hier Noske.

      Aber die Pariser Bürgerdemokraten haben gewusst, dass keine neue Regierungsform sich behaupten kann, wenn nicht das gestürzte System völlig entwurzelt und sein Apparat vernichtet wird. Die deutsche Revolution hat einen bis auf die versehentlich abgebrochene kaiserliche Spitze intakten monarchistischen Staatsorganismus übernommen. Der erste Aufruf des Volksbeauftragten Ebert schon betonte: Kontinuität.

      »Man muss nicht Komödie spielen und eine Regierungsform versuchen wollen mit dem Hintergedanken, sie zu Fall zu bringen.« Die Weimarer Verfassungsmacher haben so bösartige Hintergedanken kaum gehabt. Sie haben überhaupt nicht viel Gedanken gehabt. Sie haben eine brave, brauchbare, wenn auch im Einzelnen nicht eben wasserdichte Arbeit geleistet, aber vergessen, dass Macht dazu gehört, wenn eine Verfassung funktionieren soll. Sie haben der Kontinuität vertraut. Deshalb bedeutet die Verfassung keine Grundlage, sondern ein Nebenbei. Das Bewusstsein der Kontinuität regiert. Nach sieben Jahren trägt die demokratische Republik noch alle Kennzeichen des Provisoriums.

      So kann ein kleiner Untersuchungsrichter dem Staat ungestraft Paroli bieten. Er wirft dem Preußischen Innenministerium Mordbegünstigung vor, während er selbst den ihm übertragenen Fall in bizarr parteiischer, sachlich unmöglicher Art behandelt. Der Justizminister, heißt es, hat das Disziplinarverfahren beantragt. Langes Schweigen. Nach fast einer Woche begibt sich der Vorsitzende des Disziplinarsenates, der Oberlandesgerichtspräsident in Naumburg, endlich nach Magdeburg, um sich den Fall mal anzusehen. Immer mit der Ruhe. Wäre nicht der jüdische Kaufmann Haas, sondern ein preußischer Prinz das Opfer der Inquisitionskünste des Herrn Kölling, der Herr Oberlandesgerichtspräsident hätte das erste beste Flugzeug bestiegen, und jener Kölling wäre noch am selben Tag als amtliche Existenz ausgelöscht worden.

      Der Magdeburger Fall ist nicht der schwerste. Es ist viel ärgeres Unrecht geschehen. Aber niemals zeigte sich einleuchtender der Bankrott der Republik vor dem Mechanismus des alten Staates. Und es zeigt sich, dass selbst das Beste davon, das scheinbar Überzeitliche, zu einem Instrument bösartiger Obstruktion und giftigen Unrechts wurde.

      Unabhängigkeit des Richters? Die Hugenberg-Presse höhnt: Einst war sie das Palladium des Liberalismus, heute rüttelt ihr Demokraten zuerst daran! Zunächst: richterliche Unabhängigkeit hat unterm alten Regime niemals bestanden; einzelne starke Charaktere haben sich wohl durchzusetzen gewusst, das Gros schwankte wie Rohr im Wind. Aber Unabhängigkeit hat niemals und nirgends Privileg zur Rechtsverletzung bedeutet. Grade der in seinen Entscheidungen freie Richter hat die doppelte Pflicht, nur seinem Gewissen zu folgen und ... von seinem Verstand Gebrauch zu machen. In das deutsche Richtertum aber ist ein Überheblichkeitskoller gefahren, wie er sich wahrscheinlich nur noch in der Reichswehr findet. Und damit ist selbst für diesen Staat die Grenze des Erträglichen erreicht. Eine zweite Institution wie die Reichswehr: nein, das geht nicht. Die Reichswehr, das weiß jeder denkende Republikaner (nicht jeder spricht es aus, allerdings), zählt nicht zu den republikanischen Institutionen. Sie kostet eine Stange Geld, aber tangiert uns nicht weiter. Vegetiert dahin wie eine Art Naturschutzpark, profanen Besuchern verboten. Der Fall Justiz ist ernster. Die Justiz ist dem Alltag tausendfältig verhaftet: Schicksal, Hoffnung, Rettung und Verderb für Unzählige. Eine Justiz mit den Allüren der Reichswehr, das trägt die Anarchie mitten in die Gesellschaft, viel gründlicher, als es gelernte Umstürzler jemals könnten – das unterhöhlt den Staat. Das absolute Königtum des schwarzen Talars als Monarchieersatz, das ist schlimmer als die erbliche Monarchie.

      Joseph Wirth hat in seinem Aufruf für die Republikanische Union mitgeteilt, dass im Spätherbst dieses Jahres entscheidende Ereignisse stattfinden würden. Das ist orphisch dunkel und trotzdem nicht so schrecklich, wie es klingt. Entscheidende Ereignisse? Wenn es doch einmal soweit wäre!

      Ein Tigerbiss ist besser, als bei lebendigem Leibe von Würmern zernagt zu werden. Was braucht die Reaktion eigentlich noch? Eine Bastion muss sie noch nehmen, und hier vollendet

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