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es fast keinen deutschen Schriftsteller von Bedeutung gibt – der nicht übersetzt hätte und wahrlich darauf so viel sich einbildet, als auf Originalwerke, […].“2Schlegel, August WilhelmNovalis (Friedrich von Hardenberg)Shakespeare, William

      Oehlenschlägers intensive Übersetzungsarbeit, die der Autor während seiner ganzen schriftstellerischen Laufbahn betrieb, steht also in einem literaturgeschichtlichen Kontext, in welchem das Übersetzen fast selbstverständlich zur schriftstellerischen Tätigkeit gehörte. Dies betrifft neben umfassenden Selbstübersetzungen vor allem seine – ebenfalls umfangreichen – Übersetzungen anderer Autoren aus verschiedenen Sprachen ins Dänische. Das Spektrum reicht von Catull, Properz, Ovid über Petrarca, ShakespeareShakespeare, William (u.a. Sommernachtstraum), GoetheGoethe, Johann Wolfgang von (u.a. Götz von Berlichingen, Reineke Fuchs, Hermann und Dorothea), SchillerSchiller, Friedrich von (diverse Gedichte) bis zu TieckTieck, Ludwig (zweibändige Ausgabe von dessen Werken in Auswahl) und dem schwedischen Dichter Bernhard von Beskow (die Tragödien Torkel Knutsson, Kung Birger och hans ätt).3 Zu erwähnen ist hier auch die 1816 erschienene zweibändige Märchenanthologie Eventyr af forskiellige Digtere, die Märchen und märchenhafte Legenden von Musäus, Fouqué, Grimm, Tieck, Uhland, KleistKleist, Heinrich von u.a. enthält, sowie die aus dem Altisländischen übersetzte Velents Saga.4 Ein von der zeitgenössischen Übersetzungstradition abweichendes Unternehmen stellt Oehlenschlägers Übersetzung von HolbergsHolberg, Ludvig Komödien ins Deutsche dar, die er 1822/23 zum hundertjährigen Jubiläum von Holbergs „Danske Skueplads“ herausgab. 1844 fügt er diesem Grossprojekt eine deutsche Bearbeitung von Johan Herman Wessels Tragikomödie Kjærlighed uden strømper von 1772 hinzu, eine Parodie der klassizistischen französischen Tragödie, die er dem deutschen Leser mitteilen will.5

      Die Vermittlung zwischen Sprachen, Kulturen, Dichtungs- und Gattungstraditionen erscheint als zentrale, verbindende Funktion dieser äusserst vielfältigen, heterogenen Übersetzertätigkeit, die ausserdem noch, wie erwähnt, den Sonderfall der Selbstübersetzung6Baggesen, Jens umfasst: Oehlenschläger hat den weitaus grössten Teil seines Gesamtwerks selber ins Deutsche übertragen.7Schleiermacher, Friedrich Eine spezielle Form dieser Autotranslation bilden jene Werke, die er, wie z.B. Die Inseln im Südmeere, zuerst auf Deutsch verfasste und anschliessend in seine Muttersprache „übersetzte“.8 Der Roman lässt sich daher in seiner Zweisprachigkeit nicht ohne weiteres anhand der Kriterien gängiger Übersetzungstheorien erfassen, die mehrheitlich auf der Basis „normaler“ Übersetzungsprozesse entstanden sind, d.h. sich auf Texte beziehen, die von einer anderen Person als dem Autor übersetzt wurden. Eine Forschungsrichtung der neueren Übersetzungswissenschaft stellt allerdings die Unterscheidung zwischen Selbstübersetzern und Übersetzern in Frage, da letztlich beide ein vergleichbares Verfahren benützten; es besteht jedoch auch eine Gegenposition, die dafür plädiert, Selbstübersetzer von der Übersetzungsthematik losgelöst als Autoren zu betrachten, die ihr eigenes Werk umschreiben („rewriting“; vgl. Boyden/De Bleeker 2013: 180). Diese beiden Positionen bilden die Eckpunkte eines Feldes, in dem u.a. Fragen nach der Motivation, der Funktion sowie der Zeitversetztheit resp. Gleichzeitigkeit der Selbstübersetzung eines Autors untersucht werden.9

      Bei Oehlenschläger ist die Sachlage insofern komplizierter, als er die Rollen des Übersetzers und Selbstübersetzers in einer Person vereint, und ausserdem beide Übersetzungsformen in seinem Roman anwendet, indem er ihn nicht nur in zwei Sprachen verfasste, sondern auch Texte, vor allem Gedichte, verschiedener Herkunft darin integrierte, die er je nach Sprache in eine der beiden Versionen oder in beide übersetzte. Man kann diese pluritranslatorischen Phänomene auch als potenzierte Polyphonie betrachten, indem verschiedenste Stimmen im Roman hörbar werden und der Autor selber gewissermassen mit zwei Stimmen spricht, wodurch er einen intensiven kulturellen Transfer nicht nur zwischen zwei Sprachen, sondern aus einer Vielzahl verschiedener Kulturen in die dänische und/oder die deutsche Sprache generiert.

      Am besten geeignet zur Untersuchung dieser Textsituation erscheint mir der Ansatz der Descriptive Translation Studies, vor allem ihre prozessorientierte Blickrichtung und ihre Tendenz, „den Übersetzungsprozess als ein komplexes Ensemble von intertextuellen und interkulturellen Beziehungen innerhalb einer bestimmten historischen Situation aufzufassen“ (Apel/Kopetzki 2003: 60). Die Einstufung der Selbstübersetzung als „Fortschreibung eines Werks“ (Lamping 1992: 216), als offene, für gegenseitige Ergänzungen und Veränderungen der Sprachen durchlässige Struktur könnte Hinweise für eine adäquate Beschreibung der Dynamik von Oehlenschlägers Roman im intertextuellen Beziehungsgeflecht zwischen verschiedenen Sprachen, Literaturen, Schauplätzen, etc. liefern. Stellenweise sollen aber auch andere, mehr sprachwissenschaftlich ausgerichtete Konzepte der Übersetzungsforschung beigezogen werden.

      1.2.3 Psychoanalyse und Literaturwissenschaft

      Die oben beschriebenen Methoden der Intertextualität und der Übersetzungswissenschaft, die das Hauptinstrumentarium meiner Analysen von Oehlenschlägers Roman bilden, werden punktuell durch Elemente der psychoanalytischen Literaturwissenschaft ergänzt. Diese Theorie umfasst ein weites Spektrum an Untersuchungsgebieten: Einerseits entwickelt sie Erklärungen für den Ursprung dichterischer Kreativität und versucht dadurch die Frage nach der Entstehung von Dichtung überhaupt zu beantworten, andrerseits widmet sie sich der Untersuchung rezeptionstheoretischer, leserorientierter Prozesse ebenso wie der Interpretation autor-, werk- und figurenbezogener Aspekte. Für meine Arbeit stütze ich mich vorwiegend auf die letztgenannte Richtung, da sie sich für die Analyse bestimmter Figuren, genauer gesagt, ihrer Handlungen, Konstellationen und Beziehungen anzubieten scheint. FreudFreud, Sigmund selbst fand wichtige Erkenntnisse seiner Theorien in der Anwendung auf literarische Figuren bestätigt oder liess sich in vielen Fällen durch Literaturanalysen zur Schaffung bestimmter, auch zentraler Konzepte inspirieren. Gerade ein so fundamentales Modell wie der Ödipuskomplex beruht ja auf literarisch vermittelter Überlieferung des Mythos – ein Tatbestand, der im Übrigen die psychoanalytische Literaturwissenschaft mit Intertextualitätskonzepten verbindet. Freud demonstriert mittels verschiedener Literaturinterpretationen die Übereinstimmung seiner Theorien, wie er sie hauptsächlich in der Traumdeutung darstellte, mit Werken der Dichtkunst. Die Analogien zwischen seinen psychoanalytischen Erkenntnissen, vor allem in Bezug auf die Existenz und Funktion unbewusster Triebkräfte, wie Mechanismen der Verdrängung, der Verschiebung und Verdichtung, und den fiktionalen Darstellungen des seelisch bedingten Agierens literarischer Figuren überzeugten ihn von einer Ursprungsverwandtschaft zwischen Psychoanalyse und Literatur: „Wir schöpfen wahrscheinlich aus der gleichen Quelle, bearbeiten das nämliche Objekt, ein jeder von uns mit einer anderen Methode, und die Übereinstimmung im Ergebnis scheint dafür zu bürgen, dass beide richtig gearbeitet haben“ (Freud 1995: 122). Daraus lässt sich der Schluss ziehen, dass „[d]ie psychologische Korrektheit etwa der vielen fiktionalen Träume oder vielsagenden Fehlleistungen in der Dichtung […] offenbar auf der grundsätzlichen Übereinstimmung der Mechanismen des Primärprozesses im literarischen Schaffen mit denen im psychischen Funktionieren überhaupt“ beruhe (Schönau 1991: 103). Diese Aussage verbindet die Vorgänge des Entstehungsprozesses von Dichtung aus psychoanalytischer Sicht mit dem hervorgebrachten Produkt, zu dem – je nach literarischer Gattung – ein Kreis handelnder Figuren gehört. Die Analyse dieser Figuren mittels psychoanalytischer Theorien wird oft als unzulässig kritisiert, da fiktive Personen keine Psyche hätten. Es liegt auf der Hand, dass sich die literarische Figurenanalyse von jener realer Personen in wesentlichen Punkten unterscheiden muss und bestimmten Begrenzungen unterworfen ist. Dennoch halte ich den Beitrag, den die psychoanalytische Literaturtheorie für das Verständnis psychischer Prozesse fiktiver Figuren leistet, für relevant, da durch ihr Instrumentarium verdeckte Subtexte ins Bewusstsein der Leser gerückt werden können, die anders kaum wahrgenommen würden, und die der Figurenzeichnung neue Facetten und Aspekte hinzufügen, wodurch natürlich auch der Gesamttext in anderem Licht erscheinen kann.

      1.2.4 Gender Studies

      Angesichts der bemerkenswerten Anzahl neu auftretender Frauenfiguren in Oehlenschlägers Roman – bei einem insgesamt wesentlich kleineren Figurenarsenal als im Prätext – stellt sich die Frage, ob Weiblichkeit in den IS einen anderen Stellenwert habe als in Schnabels WF. In diesem Zusammenhang

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