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der Wort- und BildverarbeitungWort- und Bildverarbeitung verlängern, wenn zwei unterschiedliche motorische Aktionen, die die gleichen Körperteile beanspruchen, verglichen werden, erwies sich als umso stärker, je höher die Kompetenzen der Proband:innen in der Zweitsprache entwickelt waren. Dies legt nahe, dass sich mit zunehmender zweitsprachlicher Kompetenz auch die Verknüpfung von Sprachverarbeitung und Erfahrungsspuren bzw. die körperliche, (multi-)modale (motorisch-sensorische) Verankerung von Wortbedeutungen ausbaut:

      As they [L2-learners] become more fully proficient users of their nonnative language, the connections between words and the modal representations of their meanings become stronger and more easily activated, such that they perform more like native speakers in behavioral language tasks. In other words, the more deeply linguistic representations are grounded [= embodied], the more language users understand, or, the more they understand, the deeper their linguistic representations reach. (Bergen et al. 2010: 979)

      Je besser sie [L2-Lernende] ihre Zweitsprache beherrschen, desto stärker und leichter werden die Verbindungen zwischen Wörtern und den modalen Repräsentationen ihrer Bedeutungen aktiviert, so dass sie bei verhaltensbezogenen Sprachaufgaben mehr wie Erstsprachler handeln. Mit anderen Worten: Je tiefer die sprachlichen Repräsentationen körperlich verankert sind, desto mehr verstehen die Sprachbenutzer, oder, je mehr sie verstehen, desto tiefer reichen ihre sprachlichen Repräsentationen. (Eigene Übersetzung)

      Insgesamt unterstreicht die Reaktionszeitstudie von Bergen et al. also die Relevanz von Erfahrungsspuren und generiert empirische Evidenz für ein Zweitsprachenlernen, bei dem – wie im Erstspracherwerb – Wortbedeutungen (hier von Handlungsverben) mit originären körperlichen Erfahrungen abgeglichen werden.

      Dabei ist hervorzuheben, dass die bisher thematisierten L2-Experimente (sowohl von Dudschig et al. 2014 als auch von Bergen et al. 2010) davon ausgehen, dass die Bedeutungskonzepte, die den in der L2 zu lernenden Wörtern zugrunde liegen, denen der L1 entsprechen und umgekehrt. Dass also z. B. die Wörter Flugzeug und plane potenziell mit sehr ähnlichen kognitiven Begriffsrepräsentationen verknüpft sind. Nun gibt es zwischen Sprachen aber auch beachtliche begriffliche Unterschiede. Man denke beispielsweise an das türkische Nomen merdiven, das die Bedeutungskonzepte der deutschen Nomen Leiter und Treppe vereint. Wie wirken sich derartige Unterschiede auf die Sprachverarbeitung, auf die Erfahrungsspuren aus? Der folgende Abschnitt gibt hierauf am Beispiel lokaler Präpositionen erste Antworten.

      Sprachverarbeitung in der L2Sprachverarbeitung in der L2 – bei Äquivalenz/Nichtäquivalenz mit L1-Ausdruck

      In der Studie von Ahlberg et al. (2018)4 wurde erstmals im kognitionspsychologischen Rahmen der Embodied Cognition der Frage nachgegangen, welche Erfahrungsspuren beim bilingualen Menschen reaktiviert werden, wenn dieser in der L2 auf ein Wort trifft, das sich in seiner Bedeutung und dement­sprechend in seinen Verwendungskontexten (und damit einhergehend mit den verkörperlichten Erfahrungen) unterscheidet von dem semantisch nächsten Vergleichswort der L1. Als sprachlicher Untersuchungsgegenstand fungierten lokale Präpositionen, da Zweit­sprach­lernende gerade hiermit besondere Schwierigkeiten haben.

      Präpositionen wurden bislang noch nicht im Kontext des Erfahrungsspurenansatzes untersucht. Ausgewählt hat man für das Experiment lokale Konfigurationen der oberen Peripherie (AUF und ÜBER).5

      Einige Sprachen (darunter: Deutsch, Englisch, Russisch) haben für die Konfigurationen zwei Kategorien (mit zwei unterschiedlichen Raumausdrücken; im Deutschen die Präpositionen auf und über) ausgebildet, andere Sprachen (darunter: Türkisch und Koreanisch) hingegen nur eine Kategorie. Die Annahme war, dass die mit den Raumausdrücken der L1 assoziierten Erfahrungsspuren die Verarbeitung der Raumausdrücke der L2Raumausdrücke der L2 (Deutsch) in positiver oder aber in negativer Weise beeinflussen, und zwar in Abhängigkeit davon, ob sich die Raum­kategorisierung in den beiden Sprachen gleicht oder unterscheidet. An der Studie nahmen (neben L1-Sprecher:innen des Deutschen) erwachsene Deutschlernende, deren L1 wie das Deutsche zwischen AUF und ÜBER unterscheidet (L1 Englisch, L1 Russisch), teil und Deutschlernende, deren L1 über nur einen Ausdruck für diese lokale Domäne verfügt (L1 Türkisch, L1 Koreanisch).

      Abb. 2.13:

      Versuchsaufbau bei Ahlberg et al. (2018)

      Der experimentelle Aufbau entsprach im Wesentlichen dem der Studie von Lachmair et al. (2011) und Dudschig et al. (2014). Den Versuchs­personen wurden die Präpositionen in unterschiedlichen Farben auf einem Bildschirm präsentiert (Abb. 2.13). Ihre Aufgabe bestand darin, auf diese Farben entweder mit einer Handbewegung nach oben oder einer Handbewegung nach unten zu reagieren. Hinweise auf eine sensomotorische Repräsentationsensomotorische Repräsentation bei der Sprach­verar­beitung liegen vor, wenn auf die Präpositionen auf und über, die ein Objekt auf der Vertikalen oberhalb eines Relatums verorten, schneller mit einer Handbewegung nach oben reagiert wird (kompatible Reaktion) als mit einer Handbewegung nach unten (inkompatible Reaktion). Gleiches gilt umgekehrt für die Präposition unter. In der Tat zeigten sich in der Studie solche Kompatibilitätseffekte – Evidenz dafür, dass beim Sehen der Präpositionen auto­matisch lokale Informationen aktiviert und die körperlichen Reaktionen entsprechend beein­flusst werden. Damit liefern die Ergebnisse dieser Studie für eine weitere Wortart (neben Nomen und Verben) empirische Evidenz für den Erfahrungsspurenansatz.

      Dabei zeigten die deutschlernenden Proband:innen bei der Verarbeitung von Raumausdrücken der L2 Deutsch in Abhängigkeit der Raumkategorisierung in ihrer L1 unterschiedliche Aktivierungs­muster: Im Englischen und Russischen gibt es für den oberen Raum zwei lokale Präpositionen. Die mit diesen Raumausdrücken verknüpften Erfahrungsspuren werden von den englischen und russischen Deutschlernenden beim Lesen der deutschen Äquivalente reaktiviert. Dement­sprechend konnten bei auf und bei über Kompatibilitätseffekte beobachtet werden. Im Kontrast dazu reagierten die koreanischen und türkischen Deutschlernenden, deren jeweilige Erst­sprache für den oberen Raum nur einen Raumausdruck nutzt, im Experiment auch nur auf eine der beiden lokalen Präpositionen, auf die sie offenbar ihre mit dem oberen Raum assoziierten L1-Erfahrungsspuren projizierten. Dass die Präposition auf (und nicht etwa über) als L1-Äquivalent fungiert, kann auf ihre höhere Gebrauchsfrequenz zurückgeführt werden.

      Bezugnehmend auf die zum Teil lang anhaltenden Schwierigkeiten, die Zweitsprachenlernende mit dem Erwerb des L2-Raumausdruckssystems haben (u.a. Becker & Carroll 1997; Bryant 2012; Grießhaber 1999), ist anzunehmen, dass bei Unterschieden zwischen der L1- und der L2-Raumkategorisierung die L1-Erfahrungsspuren den L2-Erwerb im jeweiligen Bereich erschweren. Auf den Ansatz der Erfahrungsspuren vertrauend, sollten die Lernenden in solchen Fällen mit Sprache verknüpfte sensomotorische Angebote erhalten (u.a. Bryant 2012: 207f, 287; siehe auch Kap. 14 in diesem Band für einen performativen Vorschlag, Raumausdrücke mit Bewegung zu vermitteln). Als Inspirationsquelle eignet sich der handlungsbegleitende Input, den Kinder im Erstspracherwerb erhalten (siehe auch Kap. 3 und 4). So könnte (die kritischen Kategorien) betreffend neben dem bestehenden L1-Muster ein neues L2-Muster an Erfahrungsspuren etabliert werden.

      2.4 Fazit

      Kognition und Körper interagieren in einem komplexen Zusammenspiel: Kognitive Prozesse der Sprachverarbeitung beruhen auf unseren körperlichen Erfahrungen. Begriffe (Bedeutungskonzepte) sind dynamische kognitive Repräsentationen von der Welt: Sie können in Abhängigkeit eines individuellen Lernprozesses nicht nur zahlreicher, sondern auch in sich reichhaltiger werden – je nachdem, was wir in unserer spezifischen Umwelt erleben, wie wir diese erfahren und wie wir sie reflektieren. Eine Passung von Bewegungs- bzw. Wahrnehmungsimpulsen und Sprachinput beschleunigt und entlastet die Sprachverarbeitung sowohl in der Erst- als auch in der Zweitsprache.

      Die in diesem Kapitel dargestellten, empirisch belegten Zusammenhänge haben auch didaktische Implikationen für den (Zweit-)Sprachenunterricht: Wenn Konzepte bzw. der begriffliche Inhalt von Ausdrücken mit neuen körperlichen Erfahrungen eine Erweiterung und Vertiefung erfahren, können und sollten wir den Körper als Ressource für die Förderung der Begriffsentwicklung und der Sprachverarbeitung

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