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Epidemiologie für Dummies. Patrick Brzoska
Читать онлайн.Название Epidemiologie für Dummies
Год выпуска 0
isbn 9783527837212
Автор произведения Patrick Brzoska
Жанр Медицина
Издательство John Wiley & Sons Limited
Je länger eine Volkszählung zurückliegt, desto ungenauer werden die Fortschreibungen. Im Juli 2008, also etwa 20 Jahre nach der letzten Volkszählung in (West-)Deutschland, veröffentlichte das Statistische Bundesamt eine Pressemitteilung mit dem Titel »Bevölkerungszahl vermutlich um 1,3 Millionen zu hoch«.
Bei einem Vergleich von Daten der Melderegister und einer Stichprobenbefragung von Haushalten hatten die Bevölkerungsstatistiker etwa 3,2 Millionen Übererfassungen (das sind zu viel erfasste Personen) und 1,6 Millionen Untererfassungen (das sind zu wenig erfasste Personen) gefunden. Daneben stellten sie weitere »kleinere Abweichungen« fest. Zusammengenommen tauchen 1,3 Millionen Menschen in der Fortschreibung auf, die es in Wirklichkeit gar nicht gibt. Das verursacht Fehler in gesundheitsbezogenen und anderen Statistiken.
Die letzte Volkszählung fand im Jahr 2011 statt. Die Bevölkerungsstatistiker haben erstmals ein neues, registerbasiertes und stichprobengestütztes Verfahren angewandt. Eine Befragung aller Einwohner wie bei früheren Volkszählungen ist bei diesem Verfahren nicht erforderlich. Mehrere Tausend Interviewer haben etwa 10 Prozent der Bevölkerung (etwa 7,9 Millionen Menschen) befragt. Der Schwerpunkt der Befragungen lag in Gemeinden ab 10.000 Einwohnern, weil dort die Melderegister häufiger ungenau sind. Die nächste Volkszählung ist für das Jahr 2022 geplant.
Bevölkerungsstruktur: die Bevölkerungspyramide
Wenn Sie eine Bevölkerung nach Alter und Geschlecht gliedern, können Sie Alterungsprozesse und Folgen dramatischer Ereignisse wie beispielsweise Kriege erkennen. Besonders gut sichtbar werden sie in einer grafischen Darstellung. Dazu erstellen Demografen eine Bevölkerungspyramide, auch Alterspyramide genannt (obwohl sie häufig gar nicht pyramidenförmig ist).
Für die Darstellung von Bevölkerungspyramiden gibt es verbindliche Vorgaben. Die männliche Bevölkerung steht auf der linken Seite, die weibliche Bevölkerung auf der rechten. Die jüngste Altersgruppe bildet die Basis der Pyramide, die höchste Altersgruppe deren Spitze. Die Pyramiden können entweder die Größe der einzelnen Altersjahre oder Fünf-Jahres-Altersgruppen zeigen.
Sie können in Bevölkerungspyramiden die Anzahl der Personen in jeder Altersgruppe darstellen (also absolute Zahlen) oder den prozentualen Anteil der Personen in einer Altersgruppe an der Gesamtbevölkerung (also relative Häufigkeiten). An der Form der Pyramide ändert das nichts.
Idealtypische Bevölkerungspyramiden
Bevölkerungspyramiden bilden die Veränderungen der Bevölkerungszahlen durch Geburten, Sterblichkeit und Wanderung in den vergangenen Jahrzehnten ab. Es gibt mehrere idealtypische Formen von Bevölkerungspyramiden (siehe Abbildung 4.1).
Abbildung 4.1: Idealtypische Formen der Bevölkerungspyramide (weiß: Männer, grau: Frauen)
Pagodenform: Junge, schnell wachsende Bevölkerung mit geringer Lebenserwartung durch sehr hohe Kindersterblichkeit. Über 40 Prozent der Bevölkerung ist jünger als 15 Jahre. Beispiele: ärmere afrikanische Entwicklungsländer heute, Deutschland um 1840.
Dreiecksform: Junge, schnell wachsende Bevölkerung mit geringerer Kindersterblichkeit, aber noch hoher Sterblichkeit im mittleren Alter. Beispiele: Ghana heute, Deutschland um 1910.
Glockenform: Stabile (stationäre) Bevölkerung, kaum Bevölkerungsrückgang oder Bevölkerungswachstum. Rückgang der Kindersterblichkeit und stabile Geburtenzahl. Beispiel: Deutschland um 1980.
Urnenform (Bischofsmütze): Schrumpfende und alternde Bevölkerung durch Rückgang der Geburten und/oder Abwanderung junger Menschen. Beispiele: Italien, voraussichtlich Deutschland um 2030.
Blattform: »Aussterbende« Bevölkerung durch dramatischen Rückgang der Geburtenzahl. Beispiel: einzelne ländliche Gebiete mit starker Abwanderung.
Real existierende Bevölkerungspyramiden
In der Realität finden Sie diese Idealtypen nur selten, denn die Pyramiden werden durch veränderte Fertilität, Wanderungsbewegungen oder katastrophale Ereignisse wie Kriege deformiert. In den Abbildungen 4.2 und 4.3 zeigen wir Ihnen die Bevölkerungspyramiden von Indien und Deutschland. Anhand der Form können Sie die Besonderheiten der jeweiligen Bevölkerungsentwicklung ableiten.
Abbildung 4.2: Bevölkerungspyramide, Indien 2020
Die indische Bevölkerungspyramide (Abbildung 4.2) weist ab der Altersgruppe 20-24 Jahre eine nahezu idealtypische Dreiecksform auf. Indien hatte also bis vor 20 Jahren eine schnell wachsende, junge Bevölkerung. Die Basis verschmälert sich aber, denn seither nehmen die Geburtenzahlen ab. Hält diese Entwicklung an, wird die indische Bevölkerungspyramide in eine Urnenform übergehen. Deutlich anders sieht die deutsche Bevölkerungspyramide aus (Abbildung 4.3). Sie hat eine Urnenform und zeigt damit an, dass die Bevölkerung altert. Dank Zuwanderung ist die Basis aber momentan stabil. Einige weitere Details:
»Pillenknick« mit abnehmenden Geburtenzahlen ab Mitte der 1960er-Jahren (A)
Geburtenstarke Jahrgänge (»Baby-Boomer«) Anfang der 1960er-Jahre (B)
Geburtenausfall während des Zweiten Weltkriegs (C)
Höhere Lebenserwartung der Frauen (D)
Gefallene des Zweiten Weltkriegs (E)
Abbildung 4.3: Bevölkerungspyramide, Deutschland 2020
Lebenserwartung in Deutschland
Die Lebenserwartung ist der Zeitraum in Jahren, den ein Mensch ab seiner Geburt bis zum Tod durchschnittlich leben würde, wenn sich die gegenwärtigen Sterberisiken nicht ändern. In Deutschland lag die Lebenserwartung in der Zeitperiode 2018 bis 2020 für die weibliche Bevölkerung bei der Geburt bei 83,4 Jahren und für die männliche Bevölkerung bei 78,6 Jahren. Frauen haben (vermutlich aufgrund ihrer gesünderen Lebensweise) eine knapp fünf Jahre höhere Lebenserwartung.
Die Lebenserwartung in Deutschland ist im letzten Jahrhundert um rund 30 Jahre gestiegen. Ursachen sind der Rückgang der Säuglingssterblichkeit und die heute bessere Überlebensprognose bei Erkrankungen im höheren Alter – mehr zu diesem Thema erfahren Sie in Kapitel 1.
Eine der höchsten Lebenserwartungen weltweit haben die Menschen in Japan (Frauen 87,5 Jahre und Männer 81,4 Jahre, Angaben für 2019). In Simbabwe, einem einstmals blühenden Land im südlichen Afrika, betrug um die Jahrtausendwende die Lebenserwartung von Frauen 37 Jahre, die von Männern 38 Jahre. Eine Ursache war die Aids-Pandemie, die dort Frauen noch stärker traf als Männer. Daher war die Lebenserwartung der Frauen niedriger als die der Männer, anders als in fast allen anderen Ländern. Weitere Ursachen waren die große Armut und politische Unterdrückung.
Als Grundlage der Berechnung