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Titel setzen, dann ist auch das eine Realität. Mit den internationalen Firmen kommt deren Macht. Lippenbekenntnisse zum Schweizer Bildungswesen müssen an den tatsächlichen Fakten überprüft werden.

      Zweifellos ist der duale Weg ein Erfolgsmodell. Was hier aber nicht beabsichtigt wird, ist ein rhetorisches Einebnen der Unterschiede. Das schulische Niveau muss in der Berufsmaturität ein anderes bleiben als am Gymnasium, schon allein, weil auf den beiden Stufen nicht gleich viel Zeit in die schulische Bildung investiert werden kann. Dafür wird auf dem dualen Weg anderes gelernt, das man in der Schulbank nicht lernen kann. Auch künftig wird die Frage nach dem Wert des dualen Wegs zentral sein. Was hat es mit all den Beteuerungen seitens der Fachhochschulen auf sich, keine Hochschulen zweiter Klasse zu sein?[28] Die Formel der Gleichwertigkeit, aber Andersartigkeit, die bei der Gründung der Fachhochschulen geprägt wurde, ist aus politischer Perspektive völlig richtig: Keine Arbeit ist mehr wert als eine andere, so wie auch kein Mensch mehr wert ist als ein anderer. Aus wirtschaftlicher Perspektive hingegen sieht es anders aus: Auf dem Arbeitsmarkt werden unterschiedliche Arbeiten und Qualifikationsniveaus sehr wohl unterschiedlich entlöhnt. Hier gelten andere Massstäbe. Wir leben in einem Wirtschaftssystem, das Unterschiede und Hierarchien kennt. Diese Realitäten sind bei der Berufs- beziehungsweise Studienwahl ebenso wichtig wie die theoretische Gleichwertigkeit.

      Dank der Berufsmaturität wird das Bildungssystem durchlässiger.

      Die Berufsmaturität gilt als Paradepferd der neueren Schweizer Bildungslandschaft. Zuweilen erwartet man ungemein viel von ihr. Als eine Art eierlegende Wollmilchsau soll sie alles leisten, was an Forderungen an die Bildung herangetragen wird: vom Upskilling bis zur Integration. Man meint, sie ächzen zu hören unter diesem Erwartungsdruck. Dabei ist sie ein eher filigranes Konstrukt: Von Beginn weg musste sie die Doppelbelastung von Schule und Arbeit im Betrieb stemmen. Es gilt, von den Jugendlichen, die diesen Weg wählen, nicht Übermenschliches zu erwarten. Ist die Berufsmatura ein Murks? Ja und nein. Ja insofern, als sie eine Doppelbelastung darstellt. Man kann sich an die eigene Jugendzeit, die eigene Lehre erinnern, vermutlich hätten viele das nicht stemmen können. Nein insofern, als der duale Bildungsweg geschätzt wird. Viele Jugendliche nehmen lieber eine zusätzliche Belastung in Kauf, als länger die Schulbank zu drücken. Andere wissen schlicht nicht, was auf sie zukommt. Aber: Wenn der duale Weg eher akzeptiert wird als ein vollschulisches System, kann man die Beliebtheit dieses Bildungswegs nutzen.

      Für sozial schwächere Familien beziehungsweise deren Kinder ist die Berufsmaturität ein Weg und Mittel zum Aufstieg. Doch was ist sie für Akademiker*innenfamilien? Wie wird sie zur echten Alternative? Was braucht es, dass auch sie diesen Weg für ihre Jugendlichen in Betracht ziehen? Man kann den Akademiker*inneneltern Vorurteile, Bildungsdünkel und Unkenntnis des Schweizer Bildungssystems vorwerfen. Das ist aber keine so gute Strategie. Ein besseres Argument ist die Durchlässigkeit. Die Architekt*innen des dualen Bildungswegs haben das früh erkannt. «Kein Abschluss ohne Anschluss» lautet die Formel. Die Möglichkeit, vom dualen jederzeit auf den akademischen Weg wechseln zu können, kann für Akademikerfamilien ein entscheidendes Argument sein. Nach der Berufsmatura kann man über die Passerelle an die Universität wechseln. Auch nach der Fachhochschule ist das möglich. Zwar sind diese Wechsel mit Aufwand verbunden und das Vertrösten, Bildung könne mit dreissig oder vierzig Jahren immer noch nachgeholt beziehungsweise ausgebaut werden,[29] ist nicht unproblematisch. Doch allein die Möglichkeit ist von zentraler Bedeutung. So können Richtungsentscheidungen später im Leben revidiert werden – und zwar auf beide Seiten. Profan ausgedrückt: Wenn Akademiker*inneneltern fürchten, ihre Kinder an die Welt der dualen Bildung zu verlieren, besteht doch die Hoffnung, dass sie später, falls sie möchten, zurückkehren können zur akademischen Bildung. Man mag lächeln über ein solches Argument. Doch es ist wichtig. Hinzu kommt: Nicht alle Jugendlichen schaffen den Sprung ins Gymnasium. Die Berufsmaturität bietet auch jenen echte Bildungskultur, die den dualen Weg nicht freiwillig antreten.

      Die Berufsmaturität etabliert eine neue Bildungskultur.

      Akademiker*inneneltern fürchten bisweilen, der duale Bildungsweg unterstütze die Anstrengungen ihrer Erziehung nicht, sondern unterlaufe sie geradezu. Sie fürchten um die Bildungskultur innerhalb der Berufsmaturität. Erfährt dort nicht Geringschätzung, was ihnen wichtig ist? Nämlich Bildung um der Bildung willen? Was geschieht mit der Welt des Geistes, des Spiels, der Kritik – in einem streng auf Nützlichkeit hin ausgerichteten Bildungsverständnis? Ist durchökonomisierte Ausbildung nicht das Gegenteil von Bildung?

      Ein Beispiel dafür, wie man mit Bildungskultur nicht umspringen sollte, liefert die gegenwärtige unselige Diskussion über die zweite Landessprache in der Bildungsreform «Kaufleute 2022».[30] Diese sollte für angehende Kaufleute vom obligatorischen Grundlagen- zum Wahlpflichtfach herabgestuft werden. Zur Wehr gesetzt hat sich der Dachverband Lehrerinnen und Lehrer Schweiz.[31] Auch gibt es politischen Widerstand. In seiner Antwort auf eine Interpellation hält der Bundesrat fest:[32] Die Inhalte der Grundbildung sind zwar Sache der Organisationen der Arbeit, doch ausnahmsweise soll den Kantonen das Recht eingeräumt werden, in dieser politisch sensiblen Frage mitzureden. Obwohl es nur die Grundbildung betrifft, machen Beispiele wie dieses misstrauisch. Die Berufsmaturität ist für Akademiker*inneneltern nur dann eine echte Alternative, wenn sie Bildungskultur repräsentiert. Wenn sie mehr ist als blosse Ausbildung. Mit Bildungskultur ist jene Kultur gemeint, die vereinfachend als klassisch humanistisch bezeichnet werden kann. Die Chancen dafür stehen gut. Die Berufsmaturität beinhaltet Allgemeinbildung, ästhetische Bildung, abstraktes Denken. Übrigens: Nach der öffentlichen Aufregung ist die Reform «Kaufleute 2022» auf ihren Entscheid zurückgekommen. Der Kaufmännische Verband empfiehlt jetzt, den Französischunterricht beizubehalten.

      Das Gymnasium kann viel lernen von der Berufsbildung. Umgekehrt gehört in die Berufsbildung eine Bildungskultur, wie sie am Gymnasium gelebt wird. Das ist keine Selbstverständlichkeit, denn Lerninhalte werden auf Ebene der Grundbildung vor allem von den Organisationen der Arbeit vorgegeben. Auch bei den Lerninhalten der Berufsmaturität sprechen sie ein gewichtiges Wort mit. Aber dort ist die Situation anders. Das wird durch die Struktur der BM sichergestellt. Die Eidgenössische Berufsmaturitätskommission EBMK[33] besteht aus 15 Vertreter*innen von Kantonen, Organisationen der Arbeitswelt, Berufsfachschulen und Fachhochschulen. Mit dieser Verteilung wird sichergestellt, dass die Bildungsziele im Verbund festgelegt werden – und so als Abbild einer Bildungsidee gelten können, die sich aus dem Widerstreit verschiedener Interessen ergibt.

      Der Rahmenlehrplan der Berufsmaturität[34] zeigt: Die BM versteht sich nicht als rein fachlich orientierte Bildung. Allgemeinbildende und berufsspezifische Fachbereiche stehen in einem ausgewogenen Verhältnis zueinander. Die Berufsmaturität folgt einer Gliederung in einen Grundlagen-, Schwerpunkt- und Ergänzungsbereich. Der Grundlagenbereich ist für alle gleich, er umfasst die erste und eine zweite Landessprache, Englisch und Mathematik. Je nach Ausrichtung unterscheiden sich die Fächer innerhalb des Schwerpunkt- und des Ergänzungsbereichs. Von den vielfältigen Bildungszielen der Berufsmaturität betont der Rahmenlehrplan BM besonders zwei: Das eine ist die Fachhochschulreife. Das zweite ist die erweiterte Allgemeinbildung, genauer der Aufbau von Wissensstrukturen auf der Grundlage der beruflichen Erfahrung. Beide Ziele beinhalten sowohl Fachkompetenzen als auch weiter gefasste Kompetenzen wie geistige Offenheit, persönliche Reife, Verantwortung und Selbstreflexion. Mit der Berufsmaturität kehrt wieder mehr Bildung in die Ausbildung zurück. Das ist ein erfreulicher Prozess. Dass es ökonomische Faktoren sind, welche die Bildung fördern, ist eine spannende Pointe der Geschichte.

      Das Verhältnis von Bildung und Ausbildung muss neu gedacht werden.

      Moderne Bildung ist von Beginn weg zweierlei: Sie ist eine Folge der Industrialisierung, gleichzeitig definiert sie sich in Abgrenzung dazu. Diese Dialektik führt die Schule zum Erfolg – ohne dass die Diskussionen darüber, was Bildung genau sein soll, jemals verstummt wäre. Oft wird diese Dialektik sowohl zweckfreier als auch funktionalistischer Bildung an Humboldt festgemacht. Wilhelm von Humboldt ist ein wichtiger Bildungsreformer im Deutschland des späten 18. und frühen 19. Jahrhunderts. Seine Bildungsreform knüpft an den humanistischen Kern der Aufklärung an. Aufbauend auf Humboldts Ideen wird im deutschen Sprachraum jene Aufteilung in

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