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nahm es, zog mit zitternden Fingern ein Taschentuch heraus, wischte sich die Tränen ab und schnäuzte sich. Starrte erst auf die Tischplatte vor sich und warf Morven nach einer Weile mit gesenktem Kopf einen flackernden Blick zu. Schließlich nickte er. »Fragen Sie.« Seine Stimme war kaum mehr als ein Flüstern.

      »Danke. Zunächst ein unbedeutendes Detail. Sie haben vor Ort ausgesagt, dass Sie Ihrer Frau den Puls gefühlt haben.«

      Harrington runzelte die Stirn, ehe er nickte.

      »Der Verdächtige hat genickt«, diktierte Durie dem laufenden Aufnahmegerät.

      »Ja«, bestätigte Harrington.

      »Aber bei unserem Eintreffen haben Sie Handschuhe getragen.«

      Wieder ein Stirnrunzeln. Schulterzucken. »Habe ich das?«

      »Haben Sie«, bestätigte Morven. »Mit Handschuhen kann man aber keinen Puls fühlen. Sind Sie sicher, dass Sie Ihrer Frau den Puls gefühlt haben?«

      Harrington starrte auf die Tischplatte, knetete das Papiertaschentuch und runzelte erneut die Stirn. »Ja«, antwortete er nach einer Weile. »Ich habe einen Handschuh ausgezogen.«

      »Und ihn dann wieder angezogen?«, hakte Durie nach. »Das ist zumindest ungewöhnlich.

      Kopfschütteln. »Daran erinnere ich mich nicht. Aber das muss ich wohl getan haben.« Harrington sah auf. »Ist das wichtig?«

      »Wir versuchen nur, die Dinge logisch nachzuvollziehen«, beruhigte ihn Morven.

      »Ich mag nicht gerne Dinge anfassen. Ohne Handschuhe fühle ich mich …« Er zuckte mit den Schultern. »Also, ich habe den vermutlich wieder angezogen. Als Reflex.«

      Das war zumindest eine nachvollziehbare Erklärung, die aber noch zu prüfen sein würde.

      »Hatte Ihre Frau Feinde?«, wollte Morven wissen.

      Harrington schüttelte den Kopf, erinnerte sich aber wohl daran, dass seine Aussage aufgezeichnet wurde und ein Kopfschütteln oder Nicken als Antwort nicht genügte. »Nicht, dass ich wüsste«, fügte er hinzu. »Zumindest hat sie nie so was erwähnt.«

      »Keinen Streit mit nervtötenden Kundinnen oder Kunden, die mit ihrer Arbeit unzufrieden waren?«, hakte Durie nach. »Manche sind ja so anspruchsvoll, dass sie sich über alles aufregen.«

      Harrington nickte und schüttelte erneut den Kopf. »Klar, das kam ab und zu vor. Aber Gwyn hat nie erzählt, dass jemand sie bedroht hätte.«

      »Was ist mit der Konkurrenz?«, fragte Morven. »Wie wir inzwischen wissen, hat Ihre Frau als Goldschmiedin einen hervorragenden Ruf. Sie hat sogar zweimal einen Designerpreis gewonnen. Das hat doch bestimmt so manchen Neider auf den Plan gerufen.«

      Harrington zuckte mit den Schultern. »Vielleicht. Wenn ja, hat sie darüber nicht geredet.«

      Morven schüttelte innerlich den Kopf. Wenn sie einen Partner gehabt hätte, sie hätte ihm als Erstem von solchen Vorkommnissen berichtet. Das gehörte für sie zu einer Partnerschaft. Man tauschte sich aus, wie der Arbeitstag gewesen war und was es an Neuigkeiten gab. Offenbar hatte in der Ehe der Harringtons so einiges nicht mehr gestimmt, und Ken Harringtons Eifersucht war nur eine Baustelle von vielen.

      »Wie war das an ihrem Todestag? Sie haben vor Ort gesagt, Ihre Frau habe schon im Vorfeld ein verspätetes Heimkommen angekündigt wegen eines Kunden, der zu Ladenschluss oder vielleicht noch später etwas abholen wollte.«

      »Ja.«

      »Kam das öfter vor?«

      Harrington schüttelte den Kopf. »Nein. Darum dachte ich ja …« Er warf Durie einen kurzen Blick zu. »Darum habe ich mir Sorgen gemacht, als sie eine halbe Stunde nach der üblichen Zeit noch nicht wieder zu Hause war.«

      Nicht nur für Morven war offensichtlich, dass Harringtons »Sorgen« die pure Eifersucht gewesen war. Wieder einmal fand sie bestätigt, dass Eifersucht das logische Denken aushebelte. Kein Mensch, der den Partner oder die Partnerin betrog, würde das zu einem Zeitpunkt tun, der Misstrauen erregte wie ein vorgeschützter später Kundenbesuch, sondern den Betrug durchführen, wenn keine Gefahr bestand, erwischt oder im Vorfeld überhaupt verdächtigt zu werden: in der Mittagspause, bei einem angeblichen Meeting während der normalen Arbeitszeit …

      »Mr Harrington, wissen Sie, wer Zugang zum Laden Ihrer Frau hat? Schlüssel, Passwörter für die Buchhaltung und so weiter.«

      Harrington nickte. »Ihre Assistentin, Fiona Gall. Sie arbeitet im Verkauf, während Gwyn in der Goldschmiede …« Wieder flossen Tränen. »Sie hat so wundervolle Sachen hergestellt!« Wieder legte er den Kopf auf die Arme und heulte.

      Morven sah keinen Sinn in der Fortsetzung der Vernehmung, die sowieso nichts brachte, weil Harrington zu wenig wusste. Mit etwas Glück konnte Fiona Gall ihnen mehr helfen. »Ende der Vernehmung: zehn Uhr fünfzehn«, sprach Morven ins Mikrofon und schaltete das Aufnahmegerät aus. Sie gab Constable Morris, der stumm in der Ecke neben der Tür stand, einen Wink, Harrington in die Zelle zurückzubringen. Seufzend lehnte sie sich zurück und schüttelte den Kopf, kaum dass Harrington draußen war.

      »Sie glauben ihm seine Unschuldsbeteuerung?«, vergewisserte sich Durie.

      »Sie nicht?«

      Durie wiegte den Kopf. »Ich schließe nicht aus, dass er unschuldig sein könnte. Aber meine Vorgesetzte sagt immer, dass wir nur den beweisbaren Tatsachen glauben sollten.« Er zwinkerte ihr zu.

      Morven grinste flüchtig. »Womit sie Recht hat«, stimmte sie ihm zu. Sie sah auf ihre Armbanduhr. »Wir können ihn noch bis Montag ohne Haftbefehl festhalten. Wenn wir bis dahin keine stichhaltigen Beweise oder zumindest Indizien für seine Schuld gefunden haben, müssen wir ihn gehen lassen.«

      Durie wiegte den Kopf. »Der Knackpunkt ist das Seil. Wenn wir das finden, müssten sich daran außer DNA vom Opfer auch Faserspuren von Harringtons Handschuhen befinden. Vorausgesetzt, er ist der Täter. Und vorausgesetzt, er hat es nicht irgendwo entsorgt, wo alle Spuren zerstört oder kontaminiert wurden. Zum Beispiel in einem Gully.«

      Morven schnitt eine Grimasse. »Dann würden wir es sowieso nicht finden, denn wir können nicht jeden Gully entlang der Straße, in der das Geschäft liegt, nach dem Seil absuchen. Ganz abgesehen davon, dass die Kanalisation es längst sonst wohin gespült hat, falls der Täter es tatsächlich in einen Gully geworfen hat.« Sie stand auf. »Wir befragen die Assistentin. Sicherlich kann sie uns mehr sagen.«

      »Wenn sie nicht nur Mrs Harringtons Assistentin, sondern vielleicht auch ihre Freundin war, ganz bestimmt«, stimmte Durie ihr zu.

      Sie verließen den Verhörraum. Vor der Tür kam ihnen Detective Sergeant Molly MacKay entgegen, einen Folder in der Hand, mit dem sie den beiden zuwinkte.

      »Die Berichte über die Durchsuchung von Harringtons Haus und Auto und die Untersuchung seiner Kleidung, die er am Tatort getragen hat. Ich fasse kurz zusammen. Weder im Haus noch im Auto noch anderswo auf dem Grundstück wurde ein Seil gefunden oder ein Rest davon, das zu den Fasern an der Leiche passt. An seiner Kleidung befinden sich keine Spuren der Kleidung, die seine Frau am Todestag getragen hat. Die Handschuhe weisen ebenfalls keine signifikanten Spuren auf. Nur ein paar wenige Hautzellen seiner Frau, die aber zum Beispiel bei einem Handschütteln zum Abschied übertragen worden sein können oder dass sie die Dinger beiseite geräumt hat, als sie ihr im Weg lagen. Hätte er seine Frau erdrosselt, müsste erheblich mehr DNA vorhanden sein – und auch an anderen Stellen der Handschuhe, beispielsweise auf den Fingerrücken.«

      Und Harrington hatte keine Zeit gehabt, die Kleidung zu wechseln, um unkontaminierte anzuziehen, bevor er die Polizei rief.

      »Außerdem haben zwei Nachbarn unabhängig voneinander ausgesagt, dass Harrington am Tatabend um ungefähr neun Uhr weggefahren ist«, ergänzte Mac­Kay. »Man weiß das deshalb so genau, weil er, ich zitiere: ›mal wieder die Garagentür geknallt hat, dass die Wände wackelten‹. Offenbar hat er noch ein mechanisch schließendes Tor.« Sie reichte Morven die Akte. »Wie es aussieht, ist Mr Harrington nicht der Täter.«

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