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noch den ersten Abend-Publikumspreis gewann: ein Digital-Radio. Okay, sie hatte Glück, denn der Jury-Hauptpreis von 2.000 Euro ist trojanisch garniert mit einer Danaer-Strafexpedition nach Peking, ersonnen vom überaus spendablen Goethe-Institut. In jene Hauptstadt einer kommunistischen Diktatur also, die von Smog und neuartigem C-Virus eingefangen ist. Alexandra Riedel aus Berlin, Siegerin mit dem Debütroman »Sonne, Mond, Zinn«, darf dafür jetzt den Koffer packen, auch wenn sie sich das Frühjahr vielleicht anders vorgestellt hatte.

      In manchen Fällen geht’s aber auch hinaus ins Freie: Wer etwa den Meck-Pomm-Preis gewinnt, der darf für viele Wochen nach Alshoop ziehen auf jene wunderbare Halbinselkette Fischland-Darß-Zingst in der Ostsee, wo man schon immer mal hin wollte, und wo sie sicher begeistert sind, wenn endlich ein Künstler aus dem Süden kommt. Auf Antrag schickt einen Schreibartisten der bayerische Kultusminister aber auch hinüber nach Quebec, vorausgesetzt, sein Wohnsitz ist in Bayern, denn auch dort, im französischen Kanada, wartet eine wunderschöne alte Villa auf Belebung durch einen dichtenden Bayern. Und so muss man sie sich alle sitzend vorstellen, unsere Autorinnen und Autoren, auf Koffern, wartend auf die nächste Message, mit Rollen vermutlich, die grünes Licht gibt, zum Aufbruch.

      April 2020

      Ausgeweint

      Selbstauflösung, große Sache das! Schwer im Kommen. Müllsäcke, italienische etwa, wie man hört. Oder die Plastik-Milchkapsel, die sich in heißem Kaffee auflöst. Ganz so weit ist es mit dem leblosen menschlichen Körper noch nicht, aber auch er, immerhin – was wäre hier los, wenn er es gar nicht täte! Doch Schluss mit diesem morbiden Thema – richten wir den Scheinwerfer lieber auf den Literaturnobelpreis, den alternativen natürlich, der im Oktober an die frankofone Dichterin Maryse Condé vergeben wurde von einer schwedischen Spontanjury, die sich längst wieder selbst aufgelöst hat. Dadurch kann es gar nicht erst zum Skandal kommen. Bravo! Vorbild war sicher der Deutsche Buchpreis, dessen Jurys nach Wahl der Longlist (zwanzig Romane), Shortlist (sechs) und First Place sich sofort auflösen und in alle Winde zerstreuen. Dabei könnte sie sich durchaus noch eine Ehrenrunde gönnen, die Jury 2018, denn ein Roman wurde Nummer eins, der – so die meisten Rezensenten – zwar unlesbar ist, aber originell – und diesen Treffer muss der Jury erst mal einer nachmachen. Schon früh war durchgesickert, dass die deutsch-kanarische Kandidatin mit Wurzeln in Teneriffa »es« werden würde. Großinterview im Spiegel Wochen vor der offiziellen Bekanntgabe: Der Reporter T. Würger (nomen est omen?) rang der Autorin Inger-Maria Mahlke das Geständnis ab, sie würde nahezu jeden Tag dreißig Minuten weinen, bevor sie dann sechzehn Stunden schriebe. Die Kritiker hatten der Einundvierzigjährigen fast alle bestätigt, dass ihre Romantechnik verblüffend sei, ihre Sprache faszinierend, man aber nach der Hälfte spätestens aussteige – na schön, mehr lesen Rezensenten sowieso nur selten, also gab es keinen Totalverriss. Die Jury war, das muss man einfach zugeben, diesmal mutig, nachdem sie in den letzten Jahren eher lang bekannte Routiniers gekürt hatte.

      Auch deshalb konnten zwei Ex-Wahlmünchner einfach nicht mithalten, obwohl auch sie eher am Rande des Literaturbetriebs operieren und brandneue Romane vorgelegt haben. Wolf Wondratschek, der mit seiner »Macho-Attitude« wohl endgültig abgeschlossen und zu seinem fünfundsiebzigsten Geburtstag das leicht fade Alterswerk »Selbstbild mit russischem Klavier« gemalt hat. Und Maxim Biller, 58, der vor Jahr und Tag in seinen »Hundert Zeilen Hass« alles und jeden beschimpft hat – außer Gerhard Schröder, seine heimliche Liebe. Aber der Gerd saß nicht in der Jury. Und diese clevere und – wie alle Jurys der Welt – ungerechte Jury wollte Billers neuen, mit ständigen Perspektivwechseln raffiniert geknüpften Familien-Kurzroman »Sechs Koffer« einfach nur bis zur Shortlist kommen lassen. Biller wird’s tränenlos verkraften, Inger Mahlke ihre Tränen mit frischem Ruhm abwischen und Wondratschek hat schon 2017 den »alternativen Büchnerpreis« bekommen – na also, geht doch!

      November 2018

      Staubsaugen, bitte

      Die Fuckability wird in L. A. hoch geschätzt, wie wir gerade aus einem Interview mit dem TV-Sternchen Susanne Bormann gelernt haben – ja gut, in der Filmbranche ist die geschlechtliche Rollen-Verwendbarkeit ein hartes Kriterium. Das Schöne am literarischen Thomas-Mann-House und seinen Fellows in L. A. ist, dass jene F. keine Rolle spielen sollte, ganz im Gegenteil. Diese Villa, und das jetzt für Leser, die solche Dinge grad gar nicht »auf dem Schirm« haben, ließ Thomas Mann anno ‘42 bauen, und sie wurde vor zwei Jahren vom deutschen Außenministerium für schlanke fünfzehn Millionen US-Dollar gekauft – was mutig war vom verdächtig superkorrekten F.-W. Steinmeier. Sofort aber stellte sich die Frage, was machen wir jetzt damit, riesiges Haus, Garten, drei Palmen, Pool, Balkon, San Remo Drive 1550, nahe Los Angeles? – Mit Frido Mann spazieren gehen?

      Stipendiaten! – das war sofort der Knüller in den Köpfen der Berliner Entscheider. Stipendien sind ja eine so feine Sache! Wir haben da schon einige ältere Villen, in die locken wir regelmäßig unsere Künstler und Wissenschaftler, und die explodieren dann vor Kreativität, ist bekannt. Villa Aurora (ehemals Lion Feuchtwanger), auch bei L. A., Villa Massimo und Casa Baldi in Rom oder Villa Waldberta in Feldafing – alles Toperfolge! Der Künstler, das weiß jeder, braucht ständig Veränderung, change, switch, ist doch klar, sonst kommt da nichts mehr! Der Wissenschaftler erst recht – die wollen sich doch ständig austauschen! Wir sehen den Lyriker morgens beim Kaffeekochen neben dem Formkünstler, wie sie den Binnenreim mit der schwebenden Badewanneninstallation vergleichen und dabei endlich Distanz zur heimatlichen Clique, vulgo Familie schaffen, die sie schon lange nervt und ihre Kunst bremst. Endlich kreativ Schreiben in Rom, zehn Monate, oder in der Villa Aurora, drei Monate, und jetzt auch noch in L. A. mit dem Spirit Thomas Manns im Rücken! Dreitausendfünfhundert Euro gibt’s da im Monat und Flug und »Bewegungspauschale«, das ist viel mehr, als in den anderen Villen. Denn die »Fellows«, wie sie sich nennen, sollen ja raus ins amerikanische Land und dort Deutsches verbreiten – die Amis warten nur darauf, die brauchen das von uns! Wir sehen Prof. H. Detering, Literatur, der Sätze sagt, die so beginnen: »Wir Intellektuellen …« und hoffen inständig für ihn, er muss nicht selbst Staubsaugen in seinem Zimmer. Das Konzept, alle Fellows dort volle zehn Monate hinzuschicken, ist übrigens sofort geplatzt, denn die haben ja Berufe, sind weder Rentner noch Studenten, und dann wäre da auch noch das lästige Problem mit den zurückgelassenen emotional-sexuellen Partnern, das hat der korrekte Steinmeier ausgeblendet, oder dachte er, die sind sowieso alle über der F-Grenze, altersmäßig? Im Übrigen, lieber Frank-Walter, es gäbe auch noch Remarques Casa Monte Tabor, steht seit drei Jahren leer, Lago Maggiore, läppische fünf Mio., sofort zu kaufen, beinahe vor unserer Haustür und direkt am See, wir haben uns erkundigt, traumhaft!

      Oktober 2018

      Aufrichten, bitte!

      Der immer dichter wabernde Nebel über den gewaltigen Literaturpreisen dieses Herbstes hat sich endlich gelichtet, die Prämien werden rechtzeitig vor dem Fest bei den Dichtern eingehen, der Prix Goncourt mit sehr deutscher Thematik hat uns alle überrascht, und die Weihnachtsbäumchen leuchten allerorten. – Alles gut! Die arme Thea Dorn wird sich aus der liegenden Position langsam aufrichten, nachdem sie der jüngste Franzobel-Roman »Das Floß der Medusa« (bereits im August, vor dem ZDF-Quartett) »umgehauen« hatte. Gut, dass sie ihm jetzt auch noch als Jurymitglied den berühmten Bayerischen Buchpreis zusprechen konnte! Eben alles doch sehr familiär! München darf sich die Hände reiben, denn der Schweizer Buchpreis ging an den Neu-Münchner Jonas Lüscher mit sagenhaften 30.000 SFR, die der Autor sicher in unseren lokalen Wirtschaftskreislauf einspeisen wird! Da der Deutsche und der Österreichische Buchpreis mit der Familie Robert und Eva Menasse ebenfalls an benachbarte Alpenländler ging, wäre jetzt nur noch die Schweizer Fernseh-Literaturkritikerin Nicola Steiner (SRF und 3sat) aufzurichten, die hin und wieder von ihr rezensierte Bücher schlicht »zum Niederknien« findet. Da sie aber auch in der Jury des Schweizer Preises saß, wird ihr unser Jonas schon aufhelfen können.

      Ja, es sind harte Zeiten für Rezensenten hoher Literatur, so kurz vor X-Mas, das ja schon längst zu einem XXXL-Mas geworden ist, an dem achtundzwanzig Millionen Weihnachtsbäume abgeholzt und von pestizidgeschwängerten, überdüngten Spezialplantagen in deutsche Wohnzimmer verfrachtet werden, um nach wenigen Wochen auf dem Müll zu landen – wo bleibt

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