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Schrift ein pathologischer oder physiologischer, aber doch ihr Zweck zugleich ein therapeutischer oder praktischer ist.

      Dieser Zweck ist – Beförderung der pneumatischen Wasserheilkunde – Belehrung über den Gebrauch und Nutzen des kalten Wassers der natürlichen Vernunft – Wiederherstellung der alten einfachen ionischen Hydrologie auf dem Gebiete der spekulativen Philosophie, zunächst auf dem der spekulativen Religionsphilosophie. Die alte ionische, insbesondere Thalessche Lehre lautet aber bekanntlich in ihrer ursprünglichen Gestalt also: Das Wasser ist der Ursprung aller Dinge und Wesen, folglich auch der Götter; denn der Geist oder Gott, welcher nach Cicero dem Wasser bei der Geburt der Dinge als ein besonderes Wesen assistiert, ist offenbar nur ein Zusatz des spätem heidnischen Theismus.

      Nicht widerspricht das sokratische Γνϖϑι σαϑτόν welches das wahre Epigramm und Thema dieser Schrift ist, dem einfachen Naturelement der ionischen Weltweisheit, wenn es wenigstens wahrhaft erfaßt wird. Das Wasser ist nämlich nicht nur ein physisches Zeugungs- und Nahrungsmittel, wofür es allein der alten beschränkten Hydrologie galt; es ist auch ein sehr probates psychisches und optisches Remedium. Kaltes Wasser macht klare Augen. Und welche Wonne ist es, auch nur zu blicken in klares Wasser! wie seelerquickend, wie geisterleuchtend so ein optisches Wasserbad! Wohl zieht uns das Wasser mit magischem Reize zu sich hinab in die Tiefe der Natur, aber es spiegelt auch dem Menschen sein eignes Bild zurück. Das Wasser ist das Ebenbild des Selbstbewußtseins, das Ebenbild des menschlichen Auges – das Wasser der natürliche Spiegel des Menschen. Im Wasser entledigt sich ungescheut der Mensch aller mystischen Umhüllungen; dem Wasser vertraut er sich in seiner wahren, seiner nackten Gestalt an; im Wasser verschwinden alle supranaturalistischen Illusionen. So erlosch auch einst in dem Wasser der ionischen Naturphilosophie die Fackel der heidnischen Astrotheologie.

      Hierin eben liegt die wunderbare Heilkraft des Wassers – hierin die Wohltätigkeit und Notwendigkeit der pneumatischen Wasserheilkunst, namentlich für so ein wasserscheues, sich selbst betörendes, sich selbst verweichlichendes Geschlecht, wie großenteils das gegenwärtige ist.

      Fern sei es jedoch von uns, über das Wasser, das helle, sonnenklare Wasser der natürlichen Vernunft uns Illusionen zu machen, mit dem Antidotum des Supranaturalismus selbst wieder supranaturalistische Vorstellungen zu verbinden. Αριστον ύδωρ, allerdings; aber auch αριστον μέτρον. Auch die Kraft des Wassers ist eine in sich selbst begrenzte, in Maß und Ziel gesetzte Kraft. Auch für das Wasser gibt es unheilbare Krankheiten. So ist vor allem inkurabel die Venerie, die Lustseuche der modernen Frömmler, Dichter und Schöngeistler, welche, den Wert der Dinge nur nach ihrem poetischen Reize bemessend, so ehr- und schamlos sind, daß sie selbst auch die als Illusion erkannte Illusion, weil sie schön und wohltätig sei, in Schutz nehmen, so wesen- und wahrheitslos, daß sie nicht einmal mehr fühlen, daß eine Illusion nur so lange schön ist, solange sie für keine Illusion, sondern für Wahrheit gilt. Doch an solche grundeitle, lustsüchtige Subjekte wendet sich auch nicht der pneumatische Wasserheilkünstler. Nur wer den schlichten Geist der Wahrheit höher schätzt als den gleisnerischen Schöngeist der Lüge, nur wer die Wahrheit schön, die Lüge aber häßlich findet, nur der ist würdig und fähig, die heilige Wassertaufe zu empfangen. Vorrede zur zweiten Auflage

      Die albernen und perfiden Urteile, welche über diese Schrift seit ihrer Erscheinung in der ersten Auflage gefällt wurden, haben mich keinesweges befremdet, denn ich erwartete keine anderen und konnte auch rechtlicher- und vernünftigerweise keine anderen erwarten. Ich habe es durch diese Schrift mit Gott und Welt verdorben. Ich habe die »ruchlose Frechheit« gehabt, schon in dem Vorwort auszusprechen, daß »auch das Christentum seine klassischen Zeiten gehabt habe und nur das Wahre, das Große, das Klassische würdig sei, gedacht zu werden, das Unwahre, Kleine, Unklassische aber vor das Forum der Satire oder Komik gehöre, daß ich daher, um das Christentum als ein denkwürdiges Objekt fixieren zu können, von dem dissoluten, charakterlosen, komfortabeln, belletristischen, koketten, epikureischen Christentum der modernen Welt abstrahiert, mich zurückversetzt habe in Zeiten, wo die Braut Christi noch eine keusche, unbefleckte Jungfrau war, wo sie noch nicht in die Dornenkrone ihres himmlischen Bräutigams die Rosen und Myrten der heidnischen Venus einflocht, wo sie zwar arm war an irdischen Schätzen, aber überreich und überglücklich im Genusse der Geheimnisse einer übernatürlichen Liebe«. Ich habe also die ruchlose Frechheit gehabt, das von den modernen Scheinchristen vertuschte und verleugnete wahre Christentum aus dem Dunkel der Vergangenheit ans Licht wieder hervorzuziehen, aber nicht in der löblichen und vernünftigen Absicht, es als das Nonplusultra des menschlichen Geistes und Herzens hinzustellen, nein! in der entgegengesetzten, in der ebenso »törichten« als »teuflischen« Absicht, es auf ein höheres, allgemeineres Prinzip zu reduzieren – und bin infolge dieser ruchlosen Frechheit mit Fug und Recht der Fluch der modernen Christen, insbesondere der Theologen geworden. Ich habe die spekulative Philosophie an ihrer empfindlichsten Stelle, an ihrem eigentlichen Point d'honneur angegriffen, indem ich die scheinbare Eintracht, welche sie zwischen sich und der Religion gestiftet, unbarmherzig zerstörte – nachwies, daß sie, um die Religion mit sich in Einklang zu bringen, die Religion ihres wahren, wesenhaften Inhalts beraubt; zugleich aber auch die sogenannte positive Philosophie in ein höchst fatales Licht gesetzt, indem ich zeigte, daß das Original ihres Götzenbildes der Mensch ist, daß zur Persönlichkeit wesentlich Fleisch und Blut gehört – durch meine extraordinäre Schrift also die ordinären Fachphilosophen gewaltig vor den Kopf gestoßen. Ich habe mir ferner durch die äußerst unpolitische, leider! aber intellektuell und sittlich notwendige Aufklärung, die ich über das dunkle Wesen der Religion gegeben, selbst die Ungnade der Politiker zugezogen – sowohl der Politiker, welche die Religion als das politischste Mittel zur Unterwerfung und Unterdrückung des Menschen betrachten, als auch derjenigen, welche die Religion als das politisch gleichgültigste Ding ansehen, und daher wohl auf dem Gebiete der Industrie und Politik Freunde, aber auf dem Gebiete der Religion sogar Feinde des Lichts und der Freiheit sind. Ich habe endlich, und zwar schon durch die rücksichtslose Sprache, mit welcher ich jedes Ding bei seinem wahren Namen nenne, einen entsetzlichen, unverzeihlichen Verstoß gegen die Etikette der Zeit gemacht.

      Der Ton der » guten Gesellschaften«, der neutrale, leidenschaftlose Ton konventioneller Illusionen und Unwahrheiten ist nämlich der herrschende, der normale Ton der Zeit – der Ton, in welchem nicht etwa nur die eigentlich politischen, was sich von selbst versteht, sondern auch die religiösen und wissenschaftlichen Angelegenheiten, id est Übel der Zeit, behandelt und besprochen werden müssen. Schein ist das Wesen der Zeit – Schein unsre Politik, Schein unsre Sittlichkeit, Schein unsre Religion, Schein unsre Wissenschaft. Wer jetzt die Wahrheit sagt, der ist impertinent, »ungesittet«, wer » ungesittet«, unsittlich. Wahrheit ist unsrer Zeit Unsittlichkeit. Sittlich, ja autorisiert und honoriert ist die heuchlerische Verneinung des Christentums, welche sich den Schein der Bejahung desselben gibt; aber unsittlich und verrufen ist die wahrhaftige, die sittliche Verneinung des Christentums – die Verneinung, die sich als Verneinung ausspricht. Sittlich ist das Spiel der Willkür mit dem Christentum, welche den einen Grundartikel des christlichen Glaubens wirklich fallen-, den andern aber scheinbar stehenläßt, denn wer einen Glaubensartikel umstößt, der stößt, wie schon Luther sagte, alle um, wenigstens dem Prinzipe nach, aber unsittlich ist der Ernst der Freiheit vom Christentum aus innerer Notwendigkeit, sittlich ist die taktlose Halbheit, aber unsittlich die ihrer selbst gewisse und sichere Ganzheit, sittlich der lüderliche Widerspruch, aber unsittlich die Strenge der Konsequenz, sittlich die Mittelmäßigkeit, weil sie mit nichts fertig wird, nirgends auf den Grund kommt, aber unsittlich das Genie, weil es aufräumt, weil es seinen Gegenstand erschöpft – kurz, sittlich ist nur die Lüge, weil sie das Übel der Wahrheit oder – was jetzt eins ist – die Wahrheit des Übels umgeht, verheimlicht.

      Wahrheit ist aber in unsrer Zeit nicht nur Unsittlichkeit, Wahrheit ist auch Unwissenschaftlichkeit – Wahrheit ist die Grenze der Wissenschaft. In demselben Sinne, als sich die Freiheit der deutschen Rheinschifffahrt jusqu' à la mer, erstreckt sich die Freiheit der deutschen Wissenschaft

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