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      Es erschien Jonas zutiefst als eine Frage jüdischer Würde und der Selbstachtung des zionistischen Gemeinwesens, daß der Krieg gegen Nazi-Deutschland nicht ohne Beteiligung jüdischer Soldaten geführt werde: „Nichts hat in der ersten langsamen, schleppenden Phase des Krieges mein Denken mehr gequält als die Furcht, dies könne geschehen – vielleicht ohne unsere Schuld, gegen unseren Wunsch und Willen, sogar trotz unserer erklärten Bereitschaft, und doch zu unserer unauslöschlichen Schande – denn das Urteil der Geschichte kennt keine Absichten, und seien sie noch so gut, sondern allein Taten.“ Seit langem war Jonas auf Grund seiner frühen Einsicht in den mörderischen Charakter des Nationalsozialismus von der Unvermeidlichkeit eines Krieges überzeugt gewesen:

      „Tatsächlich habe ich mich nur darin getäuscht, daß ich ihn viel früher erwartet hatte, wahrscheinlich aufgrund der Ungeduld meiner Gefühle. Ich sehnte mich geradezu danach, mit Deutschland abzurechnen. Ganz freimütig und persönlich gesprochen, kann ich sagen, daß in mir von 1933 an ein heftiger Wunsch nach Rache brannte, und ich schäme mich nicht des Geständnisses, daß – im Zuge des Fortschreitens des scheußlichen Alptraums Jahr für Jahr, mit dem zunehmenden Leid unseres gejagten Volks, verschärft durch das demütigende Gefühl der Ohnmacht, dieser Wunsch, zurückzuschlagen und es denen, die unsere Menschenwürde besudelten, heimzuzahlen, zur beherrschenden Leidenschaft meines Lebens wurde. Ich bekenne mich zu diesem Gefühl umso bereitwilliger, als ich niemals das Vorurteil meiner sanftmütigeren oder feineren Zeitgenossen ihm gegenüber geteilt habe. Es ist, so meine ich, nicht nur ein völlig natürliches, sondern auch ein ehrenwertes und moralisches Motiv, vorausgesetzt, man ist bereit, die eigenen Risiken und Lasten auf sich zu nehmen. Seine Vehemenz ist ein Spiegel der Tiefe der Verletztheit und der Wachsamkeit, die eine Verletzung der Ehre zurückweist. […] Schließlich gibt es Übel, die nach Vergeltung rufen, soll die Welt für den, der es erlitten hat, wieder annehmbar werden. Es gibt Verletzungen, deren Verursacher vernichtet werden muß, soll der Verletzte sein eigenes Leben wieder wertschätzen können. […] Und es obliegt dem, der das Böse erlitten hat, sein Leben und sein Glück aufs Spiel zu setzen im Kampf gegen die fortdauernde Existenz des Bösen, der ihm beides bestreitet. Ihm persönlich entkommen zu sein, bewahrt geblieben zu sein, begründet die Pflicht, ihm besser entgegenzutreten, sobald sich die Gelegenheit bietet. […] Wer konnte, selbst wenn er wollte, wirklich die Süße des Lebens genießen in der erstickenden Atmosphäre jener Vorkriegszeit, in der die Krankheit sich weiter ausbreitete und bis zu unseren Zufluchtsorten vorzudringen trachtete, selbst in unsere neue Heimat – eine ständige Erinnerung für die Vergessenden, daß es für uns keine Sicherheit gibt, solange die Macht noch auf Erden besteht? […] Hier ist der Punkt, an dem Rache und Selbsterhaltung, Ehre und Interesse, sich vereinen: Was die Erinnerung an vergangene Verletzung nicht von selbst bewirkt hat, wurde buchstäblich von der tatsächlichen Bedrohung unserer Gegenwart und Zukunft zur Geltung gebracht.“

      Dabei legte Jonas besonderen Wert darauf, daß er sich nicht in erster Linie von den offen eingestandenen Gefühlen des Hasses und der Rache leiten ließ, sondern vor allem von der Erkenntnis, daß ein Sieg Nazi-Deutschlands weltweit die Grundlagen von Demokratie und Humanität auf lange Sicht vernichten würde:

      „Ich vermittle Dir rückschauend ein Bild von meinem Gemütszustand während der Vorkriegsjahre, als mich der Haß gegen Deutschland bisweilen bis in meine Träume verfolgte. Doch dieses Bild wäre unvollständig – und würde mir, so meine ich, nicht gerecht –, wenn es sich auf diese höchst emotionalen oder spezifisch nationalen Elemente beschränkte. Vielmehr hatte ich übergeordnete Motive, den Krieg mit Ungeduld herbeizusehnen. Es war der umfassendere Aspekt der Dinge, die der Weltsituation selbst innewohnende Notwendigkeit, die am stärksten für den Krieg und gegen einen ‚Frieden’ sprachen, der unter den waltenden Umständen nichts anderes als Beschwichtigungspolitik hätte sein können. Die Frage lautete, ob die bedrohte historische Ordnung, der wir alle angehören, bereit war, um ihre Fortexistenz zu kämpfen, sollte sie sich nur kämpfend bewahren lassen. Anders gesagt, ob sie sich selbst noch als einen so hohen Wert begriff, daß sie des höchsten Opfers wert sei. In dieser Frage war alles enthalten. Hier war das Kriterium für die gegenwärtige Lebenskraft, ja, die Ehrlichkeit ihrer Ideale, und damit für das Existenzrecht dieses Systems. Diesem Kriterium nicht gerecht zu werden wäre gleichbedeutend mit einem historischen Urteil zugunsten der neuen Ideen und Kräfte, einer Rechtfertigung all ihrer bösen Erfolge. […] Doch das darf niemals geschehen, sollen nicht Jahrtausende menschlichen Strebens vergeblich gewesen sein.“

      Seit dem deutschen Einmarsch im Rheinland 1936 und der Tschechoslowakei-Krise 1938, deren Lösung durch das Münchner Abkommen Jonas als verhängnisvolles Zurückweichen der europäischen Mächte gegenüber Hitlers Weltmachtplänen erschien, war er zu der Einsicht gelangt, daß ein Krieg, obgleich er sich der damit verbundenen Grausamkeiten voll bewußt war, den vernichtenden Folgen der nationalsozialistischen Herrschaft vorzuziehen sei:

      „Sollten die Kapitulationen kein Ende haben? Sollte die Flut ganz Europa ohne jede Gegenwehr überrollen? Der einzige Hoffnungsstrahl in der Finsternis war Winston Churchill, dessen Schriften ich damals verschlang, der aber kaum mehr als ein Prophet in der Wüste war. Auf dem Hintergrund eines beständigen Rückzugs der Demokratien seit 1936 erlebte ich den Ausbruch des Krieges im September 1939 mit wahrer Erleichterung. Das klingt blasphemisch angesichts der unermeßlichen Schrecken und Zerstörungen, die dieser Krieg mittlerweile mit sich gebracht hat und bis zum bitteren Ende verursachen wird (und bitter wird selbst der Preis des Sieges sein). Und doch stehe ich zu meinen Empfindungen jener Stunde, wie damals, als die Niederlage nahe schien. Gott weiß, daß ich diese tragische Entscheidung nicht mit leichtem Herzen begrüßte. Eine Generation, die während des letzten Krieges zum Bewußtsein erwachte und zutiefst erfüllt war von dem Geist des ‚Nie wieder!’, verfällt nicht leicht dem Kriegsfieber. Wir alle rangen mit dem Pazifismus jener Zeit. Zudem hegte ich keine Illusionen über einen leichten Sieg, ja ich war mir nicht einmal gewiß, daß der Sieg eintreten werde; allerdings konnte niemand die dramatische Plötzlichkeit und das verheerende Ausmaß der Katastrophen voraussehen, die noch kommen sollten. Doch ich vertrat die Auffassung, es sei selbst im Falle des Scheiterns, den derjenige, der sich der Laune des Kriegsglücks aussetzt, als mögliche Folge bedenken muß, besser, kämpfend unterzugehen, als ohne Widerstand in den Abgrund gerissen zu werden.“

      Ganz persönliche Passagen des Briefes bringen Jonas’ der Trauer abgerungene Erleichterung darüber zum Ausdruck, daß sein Vater, der im Januar 1938 einem langjährigen Krebsleiden erlegen war, von weiterer Verfolgung verschont bleiben werde – „aus dieser teuflischen Situation hinweggenommen zu werden, gefangen im Nazi-Land, ist in diesen Zeiten für unsere alten Menschen ein guter Ausweg, in vielen Fällen eine wahre Erlösung“. Zur Sprache kommt aber auch die Verzweiflung über das Scheitern der Emigration seiner geliebten Mutter, die ihr Zertifikat für Palästina ihrem zeitweise in Dachau inhaftierten jüngsten Sohn Georg überlassen hatte und, wie Jonas durch das Rote Kreuz erfuhr, 1942 ins Ghetto Lodz deportiert worden war. Erst 1945, bei seiner Rückkehr nach Deutschland wurde ihm zur Gewißheit, was er befürchtet hatte: daß die Nazis seine Mutter in Auschwitz ermordet hatten – „eine dunkle Geschichte, der große Kummer meines Lebens. Diese Wunde hat sich nie geschlossen“, wie Jonas in hohem Alter sagte.28

      1940 war Jonas Soldat in der First Palestine Anti Aircraft Battery der britischen Armee geworden, 1944 Mitglied der Jewish Brigade Group, mit der er über Nordafrika nach Italien zog29 und im Juni 1945 in Deutschland einmarschierte. Dort erfuhr er die ganze Wahrheit über die Schoah, erhielt in Mönchengladbach Gewißheit über das Schicksal seiner Mutter, stieß auf jüdische Überlebende, die die Begegnung mit den am Davidstern erkennbaren Soldaten der Jüdischen Brigade – „als Siegern, nicht als Märtyrern und Opfern“ – bejubelten,30 machte die Erfahrung der geringen Bereitschaft der Deutschen, sich mit den Verbrechen der Nazis auseinanderzusetzen, und sah, wie er freimütig zugab, mit einem Gefühl der Genugtuung auf seinen Reisen durch Deutschland die zerstörten Städte.31 Als er im November 1945 nach Jerusalem zurückkehrte, lagen hinter ihm die Emigration in eine Welt, die einen vollkommenen Abbruch der Existenz bedeutete, welche das Fundament seiner bisherigen wissenschaftlichen Arbeit gewesen war, und mehr als fünf Jahre Krieg, die auch in seinem Denken eine tiefe Zäsur bildeten.

      Der Kriegsaufruf des Jahres

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